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Der New Deal für die USA

Als Franklin D. Roosevelt am 4. März 1933 sein Amt als Präsident antrat, hatte er es mit einer verzweifelten Nation zu tun. Das kapitalistische Wirtschaftssystem der größten Volkswirtschaft der Welt stand vor dem Zusammenbruch. Mit dem "New Deal" versuchte Roosevelt, die Wirtschaft zu reformieren.

Von Rolf Wiggershaus | 04.03.2013
    "Diese große Nation wird weiter bestehen wie bisher, wird wieder aufblühen und gedeihen. So lassen sie mich denn als Allererstes meine feste Überzeugung bekunden, dass das Einzige, was wir zu fürchten haben, die Furcht selbst ist – die namenlose, unvernünftige, unbegründete panische Angst, die die so nötige Anstrengung lähmt, den Rückzug in einen Vormarsch zu verwandeln.”"

    Hunderttausende hatten sich am 4. März 1933 vor dem Kapitol in Washington eingefunden, um die Antrittsrede des neuen Präsidenten der USA, Franklin D. Roosevelt, zu hören. Millionen verfolgten sie im Radio. Seit dem Börsencrash im Oktober 1929 mit Bankenzusammenbrüchen und Firmenpleiten, Massenarbeitslosigkeit und Zwangsräumungen im Gefolge befanden sich die Vereinigten Staaten in einer Dauerkrise. Roosevelts Vorgänger, der Republikaner Herbert Hoover, hatte Rettung von Impulsen aus der Wirtschaft erwartet – vergeblich. Nun trat endlich der mit großer Mehrheit gewählte Demokrat Roosevelt sein Amt an – ein der amerikanischen Aristokratie entstammender Politiker, der infolge einer Kinderlähmung seit 1921 nicht mehr alleine gehen konnte. Er hatte angekündigt, mit ihm werde es "a new deal for the American people" geben. In seiner Antrittsrede umriss er nun knapp und anschaulich, wie er die Ausgangssituation sah:

    ""Vor unserer Türschwelle liegt so vieles, doch auch wenn wir die Vorräte vor Augen haben, schaffen wir es nicht, sie uns nutzbar zu machen. Das liegt in erster Linie an der Verbohrtheit und Unfähigkeit derer, die den Austausch der Menschheitsgüter zu regeln hatten. Sie haben versagt."

    Die Geldwechsler – so Roosevelt mit biblischer Rhetorik – hatten ihren Thron im Tempel der amerikanischen Zivilisation verlassen, nun kam es darauf an, die alten sozialen Werte wiederherzustellen.

    ""Das Glück besteht nicht im bloßen Geldbesitz. Es besteht im Stolz auf das Geleistete, in der Freude an kreativer Tätigkeit. Die Freude und der moralische Antrieb der Arbeit dürfen nicht länger über der hektischen Jagd nach vergänglichem Gewinn vernachlässigt werden.”"

    Damit waren die beiden wichtigsten Ziele des New Deal benannt: strenge Kontrolle des Finanzsektors, um der leichtfertigen Spekulation mit anderer Leute Geld ein Ende zu machen. Und Maßnahmen der verschiedensten Art, um Arbeitsplätze zu schaffen, Arbeit aufzuwerten und die Arbeiterschaft als anerkanntes Element in die Gesellschaft zu integrieren.
    In den ersten "Hundert Tagen" der neuen Regierung billigte der Kongress alle von Roosevelt vorgeschlagenen Maßnahmen und verabschiedete so viele Gesetze wie nie zuvor. Bei deren Entwurf und Durchführung spielten statt Interessenvertretern der Wirtschaft und Mitgliedern der Parteimaschine Intellektuelle und Außenseiter eine entscheidende Rolle. Der Linderung unmittelbarer Not dienten Stützungsmaßnahmen für Farmer und Hauseigentümer und staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Zu einem weltweit beachteten demokratischen Experiment in sozialer Großraumwirtschaft wurde die Neugestaltung eines Notstandsgebiets am Tennessee River unter der Regie der Tennessee Valley Authority.

    Anders als in Italien und in Deutschland gingen in den USA wirtschaftsdirigistische und sozialreformerische Maßnahmen nicht mit einer Abschaffung bürgerlicher Freiheiten einher. Es traf zu, wenn Roosevelt im April 1935 in einer seiner vom Rundfunk ausgestrahlten "Kaminplaudereien" feststellte:

    ""Niemals seit meinem Amtsantritt im März 1933 habe ich so deutlich eine Atmosphäre der Erholung wahrgenommen. Es handelt sich dabei um mehr als die Wiederherstellung der materiellen Basis unserer individuellen Existenzen. Es handelt sich um die Wiederherstellung des Vertrauens in unsere demokratischen Verfahrensweisen und Institutionen.”"

    Zum Ausweg aus der wirtschaftlichen Depression wurde allerdings erst die Forcierung der Rüstungsindustrie angesichts der Aggressivität der antidemokratischen Achsenmächte. Treibende Kraft war auch dann wieder Roosevelt. Zu einem der bedeutendsten Präsidenten der USA hatte ihn da bereits der New Deal gemacht, durch den das Land ohne Revolution und trotz mächtigem Widerstand von konservativer Seite auf dem Weg vom Laissez-faire-Staat des Wirtschaftsliberalismus zum Sozialstaat des 20. Jahrhunderts war.