Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Der Ölpreis ist eines der größten Risiken für die wirtschaftliche Gesundung"

Um der globalen Nachfrage nach Öl gerecht zu werden, muss in dessen Förderung investiert werden - doch Ölkonzerne halten sich krisenbedingt zurück. Resultat: Die Preise werden steigen. Ökonom Fatih Birol warnt zudem vor schwindenden Reserven - droht ein Kampf ums schwarze Gold?

Fatih Birol im Gespräch mit Christoph Heinemann | 12.03.2010
    Christoph Heinemann: Die Energieminister der Europäischen Union treffen sich heute in Brüssel. Auf der Tagesordnung stehen unter anderem Investitionen in Technologien mit geringer Kohlenstoffintensität. Die alternativen Energien werden wichtiger, denn in rund zehn Jahren wird die Ölförderung den Zenit überschritten haben, sofern nicht neue Felder entdeckt und erschlossen werden. Das erwartet jedenfalls die Internationale Energieagentur in Paris. Das heißt nicht, dass es in zehn Jahren keinen Tropfen Öl mehr gäbe, sondern, dass dann die Produktion abnehmen wird. Die gegenwärtigen hohen Benzinpreise haben damit noch nichts zu tun, diese sind eher der Jahreszeit geschuldet. Die Preise könnten aber weiter steigen, das erklärt Fatih Birol, der Chefökonom der Internationalen Energieagentur in Paris. Ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt, mit welcher Entwicklung des Ölpreises er in den nächsten Monaten rechnet.

    Fatih Birol: Wenn wir uns die fundamentalen Daten anschauen und eine starke wirtschaftliche Erholung vor allem in den wichtigsten Verbraucherregionen sehen sollten, etwa in China und Indien und in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, könnte die Nachfrage nach Öl steigen. Und wenn dieser zunehmenden Nachfrage nicht durch höhere Investitionen in die Ölförderung entsprochen wird, könnten die Preise für Öl steigen. Die Investitionen bewegen sich bedauerlicherweise auf einem niedrigeren Niveau als vor der Wirtschaftskrise. Wir sehen das mit großer Sorge.

    Heinemann: Welchen Grund sehen Sie für diese ausbleibenden Investitionen?

    Birol: Einige Unternehmen können sich keine Geldmittel beschaffen. Sie bekommen keine Kredite von den Banken. Und: Einige nationale Ölkonzerne halten sich mit Investitionen zurück, weil sie möchten, dass die überschüssigen Produktionskapazitäten zunächst abgebaut werden. Sie befürchten, dass Investitionen zu höheren Produktionskapazitäten und damit zu fallenden Ölpreisen führen könnten, während diese Konzerne ein höheres Preisniveau befürworten. Diese sind die beiden wichtigsten Gründe.

    Heinemann: Herr Birol, könnten höhere Ölpreise die wirtschaftliche Erholung lähmen?

    Birol: Genau das ist das Problem. Im Vorfeld der Wirtschaftskrise Ende 2008 hatten wir es mit sehr hohen Ölpreisen zu tun – 147 Dollar pro Barrel. Das war keineswegs harmlos. Dieses Preisniveau spielte zwar nicht die wichtigste Rolle, aber viele Volkswirtschaften wurden dadurch stärker gefährdet für solche Krisen. Das gegenwärtige Preisniveau - oder sogar ein höheres - könnte sich auf die wirtschaftliche Erholung, die immer noch sehr anfällig ist, problematisch auswirken. Der Ölpreis ist eines der größten Risiken für die wirtschaftliche Gesundung.

    Heinemann: Wie werden die Ölreserven berechnet?

    Birol: Die Ölreserven werden auf der Grundlage von Industriedaten, also etwa den Angaben von Ölservicefirmen, und denen der Ölkonzerne erhoben. Und diese Angaben sind weit davon entfernt, genau zu sein. Wir sagen seit Jahren: Es müsste ein international anerkanntes System geben, dass die Berichterstattung über die Reserven aller internationalen und nationalen Konzerne übernimmt. Wir Verbraucher, die wir Öl nutzen, benötigen Informationen über die Vorräte, die noch übrig sind.

    Heinemann: "Informationen am Morgen", ein Interview mit Fatih Birol, dem Chefökonom der Internationalen Energieagentur. – Herr Birol, könnten die Ölsandreserven die Nutzdauer des Rohstoffs Öl verlängern?

    Birol: Kanada verfügt über gewaltige Ölsandvorkommen, die vergleichbar sind mit den konventionellen Ölressourcen in Saudi-Arabien. Die Bedeutung dieser Ölsandvorkommen könnte im globalen Ölmarkt zunehmen. Allerdings ist das mit dem Ausstoß großer CO2-Mengen verbunden. Wenn wir technologisch dahin kämen, diese Vorkommen mit verringertem CO2-Ausstoß zu nutzen, wäre dies eine sehr gute Lösung. So weit sind wir gegenwärtig aber noch nicht.

    Heinemann: Wie bewerten Sie die Politik in den Verbraucherländern, die darauf abzielt, die Nachfrage zu zügeln?

    Birol: In einigen Ländern gibt es sehr gute Beispiele: Die USA wollen die Effizienz ihrer Autos erhöhen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn sich die Effizienz in den USA noch deutlich unterhalb der in Europa oder Japan bewegt. Ein anderes Beispiel: Viele Länder investieren in die Entwicklung von Elektroautos. Länder wie Frankreich, Deutschland, China und Japan stecken da viel Geld hinein. Und das dritte Beispiel sind Länder wie Brasilien, die Biokraftstoffe aus Zucker entwickeln, um Ölprodukte zu ersetzen. Das beste Mittel, um die Nachfrage zu drosseln, wäre aber ein international bindendes Klimaabkommen, von dem ein klares Signal ausgesendet würde: weg vom Öl und eine Entwicklung hin zu weniger CO2-intensiven Kraftstoffen wie den erneuerbaren Energien.

    Heinemann: Herr Birol, schließen Sie militärische Konflikte wegen der Ausbeutung von Ölfeldern aus?

    Birol: Ich bin kein Politiker, aber ich stelle fest, dass die Ölreserven mehr und mehr auf wenige Länder konzentriert sind. Die Vorkommen etwa im Golf von Mexiko oder in der Nordsee gehen zur Neige. Insofern wäre ich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Öl etwas so strategisch Wichtiges ist, nicht überrascht, wenn Öl und Geopolitik in der Zukunft immer stärker aneinander gekoppelt würden.

    Heinemann: In Deutschland wird seit Jahrzehnten über die Atomkraft debattiert. Können die Klimaziele ohne Kernenergie erreicht werden?

    Birol: In der Theorie ja. Aber in der Praxis wird es ausgesprochen schwierig und teuer sein, die Klimaziele ohne Kernenergie zu erfüllen. Kernenergie produziert Elektrizität ohne Emissionen, ohne Unterbrechung und zu vernünftigen Kosten. In den Ländern, in denen Kernenergie von den Bürgern und den Regierungen akzeptiert ist, kann die Kernenergie eine wichtige Rolle spielen im Kampf gegen den Klimawandel.