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Der Ostsee geht die Luft aus

Der Zustand unserer Meeresgewässer wird ständig überprüft. Im Rahmen eines Bund-Länder-Messprogramms sind zehn Forschungsschiffe auf Nord- und Ostsee unterwegs. Die Haithabu ist als Laborschiff für die Ostsee zuständig. Dr. Joachim Voß, Fischereibiologe beim schleswig-holsteinischen Landesamt für Natur und Umwelt, prüft vor allem den Sauerstoffgehalt der Küstengewässer. In diesen Tagen ist er in der Kieler Förde unterwegs. Mit einer Messsonde und einer Unterwasserkamera untersuchen Joachim Voß und seine Kollegen, wie es auf dem Meeresboden aussieht:

Von Annette Eversberg | 15.08.2003
    Hier zum Beispiel da sieht man die Schuppenwürmer, das sind Räuber, die im Sediment sitzen oder schwimmen, und alle Schuppenwürmer, die in der Gegend vorhanden sind, sind aus dem Sediment raus und machen einen langen Hals sozusagen und haben sich so ein bisschen hochgereckt. Und hoffen, dass der Wind einsetzt, und vielleicht ein bisschen frisches Wasser herangetrieben wird.

    Das ist aber in den letzten sechs Wochen nicht der Fall gewesen. Dadurch fehlt es an Sauerstoff in den tieferen Schichten. Und dass es Schichten gibt, ist für die Ostsee typisch. Das liegt am unterschiedlichen Salzgehalt in der Wassersäule des Meeres. Das salzhaltige Wasser ist schwerer und sinkt auf den Boden. Das salzarme Wasser, das leichter ist, befindet sich nahe der Oberfläche. Dazwischen liegt eine Sprungschicht, die salzarmes und salzreiches Wasser voneinander trennt. Und je größer der Temperatur- und Salzgehaltsunterschied, desto stärker ist die Schichtung. Jochim Voß:

    Wir haben gefunden, dass wir, abgesehen von der gut sauerstoffbelüfteten Oberfläche, - typisch für die Ostsee - unterhalb der Dichtesprungschicht verschiedene geringe Sauerstoffgehalte gefunden haben. Und zwar so geringe Sauerstoffgehalte, dass sie für höheres Leben schon fast lebensfeindlich sind unterhalb von zwei Milligramm, wir haben 0,2 mg gefunden in der Kieler Innenförde. Und insbesondere auch gestern in tieferen Bereichen unterhalb von 20 Meter nicht ausreichende Sauerstoffwerte.

    Die Unterwasserkamera kann deshalb keine Fische entdecken. Für die ist der Sauerstoffgehalt der Kieler Förde schon viel zu gering. Die lange Schönwetterperiode hinterlässt auch in der Ostsee ihre Spuren. Deshalb könnten Extreme als Zeichen einer Klimaveränderung sich bei diesem Binnenmeer geradezu fatal auswirken. Denn wenn der Wind ausbleibt, dann gibt es keine Chance, dass sich die Schichten durchmischen. Zumal der Sauerstoffmangel schon so groß ist, wie im letzten Jahr erst im September. Jochim Voß sieht dabei durchaus Konsequenzen für die Fischerei:

    Zu Anfang ist es gut für die Fischer, weil durch die schlechten Sauerstoffwerte viele Nährtiere der Fische aus dem Boden herauskommen, so dass die Fische, die dort sind, sehr gute Lebensbedingungen finden, sich also konzentrieren und sammeln, und die Fischer ein, zwei Wochen sehr gute Fänge haben. Aber danach kann es sein, dass dann eben die Fänge zusammenbrechen, weil die Fische abwandern, vielleicht außerhalb von Schleswig-Holstein. Andererseits kann es auch zum Fischsterben kommen.

    Das ökologische Gleichgewicht der Ostsee ist labiler als das der Nordsee. Um so wichtiger ist es, dass alles vermieden wird, was den Sauerstoffmangel zusätzlich erhöht. Das ist vor allem die Eutrophierung durch Nährstoffe aus der Landwirtschaft. Seit 1988 wurden in Schleswig-Holstein alle Kläranlagen auf den neuesten Stand gebracht. Das Programm ist fast abgeschlossen. Jetzt geht es auch um den flächenhaften Gewässerschutz zugunsten von Nord- und Ostsee im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie der EU, die im Jahr 2000 verabschiedet wurde. Dazu der schleswig-holsteinische Minister für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft, Klaus Müller:

    Für Schleswig-Holstein heißt das, dass wir in den kommenden 10,12 Jahren an die 600 Millionen Euro investieren, um unsere Landwirtschaft mit der zu Ostsee zu versöhnen, d.h. wir wollen, dass wir die Uferrandstreifen nicht mehr direkt bis zum Fluss bewirtschaften, Dünger und Gülle auftragen, die dann direkt hineingeschwemmt wird, sondern wir wollen eine Form der Landwirtschaft finden, die wir auch finanziell unterstützen, die mit der Ostsee kompatibel ist.

    Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Maßnahmen im unmittelbaren Umfeld der Kieler oder Flensburger Förde am besten helfen. Aber Ostseeschutz kommt nicht ohne die Gewässerreinhaltung in Polen, den baltischen Staaten und Russland aus. Klaus Müller:

    Da ist mit dem EU-Beitritt sehr viel geschehen. Polen modernisiert, die Balten modernisieren. Auf Kaliningrad und St. Petersburg haben wir noch ein etwas sorgenvolles Auge.