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"Der Politik geht es schlecht, aber dem Land geht es trotzdem ganz gut"

"Am Ende ist es in Italien immer irgendwie weitergegangen", stellt Norbert Pudzich, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer Mailand, fest. Trotzdem nehme die Kluft zwischen Nord- und Süditalien durch die politische und wirtschaftliche Krise zu. Zudem kranke das Land an überbordender Bürokratie.

Norbert Pudzich im Gespräch mit Silvia Engels | 03.04.2013
    Silvia Engels: Ende Februar wählten die Italiener ihre Parlamentskammern neu, doch am Ende stand ein Patt. Weder die linken Parteien noch das konservative Lager können derzeit eine Regierung bilden. Staatspräsident Napolitano kann allerdings auch keine Neuwahlen ausrufen, denn er selbst ist nur noch bis Mitte Mai im Amt. Ein Expertengremium, das er derzeit zur Problemlösung eingesetzt hat, traf auf wenig Begeisterung bei den etablierten Politikern.

    Italien scheint erst mal, im politischen Stillstand zu verharren. Wie wirkt sich das auf die ohnehin angeschlagene Wirtschaft im Land aus und auf den Handel? – Am Telefon ist nun Norbert Pudzich, er ist Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand. Guten Morgen, Herr Pudzich.

    Norbert Pudzich: Einen schönen guten Morgen!

    Engels: Sie haben ja viel mit dem Mittelstand zwischen beiden Ländern zu tun. Wie stark belastet der derzeitige politische Stillstand das Geschäft?

    Pudzich: Nun, zunächst einmal würde ich sagen, die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien über die vergangenen 60 Jahre markieren eine Erfolgsgeschichte. Deutsche Unternehmen und italienische Unternehmen tauschen untereinander Waren im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro aus, und das ändert sich natürlich durch die politischen Verwerfungen in Rom kurzfristig nicht. Wer im deutsch-italienischen Handel aktiv ist, der weiß, dass wir hier in Italien vor der 62. Regierungsbildung stehen. Also so neu ist die Situation auch nicht.

    Engels: Ist es so, dass man sagen kann, der Handel ist völlig unbeeinträchtigt, egal was in der Regierungsbildung gerade schief läuft?

    Pudzich: Man muss in Italien immer differenzieren von Branche zu Branche und von Region zu Region. Der Norden Italiens mit seiner sehr ausgeprägten und sehr starken Industriestruktur nimmt durchaus teil an den Exporterfolgen, wie sie auch die deutsche Wirtschaft erlebt. Das hat einerseits damit zu tun, dass italienische Unternehmen hervorragende Produkte anbieten. Das hat andererseits aber auch damit zu tun, dass die Zusammenarbeit zwischen deutschen und italienischen Unternehmen sehr eng ist. Sehr viele Komponenten, Teile, die sich in deutschen Maschinen wiederfinden, werden in Italien vorgefertigt. Also dieser Teil der Wirtschaft, der klagt im Moment nicht.

    Engels: Uns erreichen aber Meldungen, dass in Italien täglich mehrere Hundert Unternehmen ihre Pforten schließen müssen.

    Pudzich: Das ist richtig. Schwierig geht es den Unternehmen, die auf den Binnenmarkt, auf den Binnenkonsum ausgerichtet sind, und da zeigen sich zum ersten Mal in der Tat stärkere Belastungen der Unternehmen, die immer weniger verkaufen. Der Konsum ist zurückgegangen, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen und das findet sich natürlich in den Verkaufszahlen der Unternehmen wieder.

    Engels: Kann man so weit gehen, dass man sagen kann, dass die Kluft innerhalb Italiens durch diese Krise größer wird? Das heißt, der Norden ist unbeeinträchtigt, aber der Süden leidet?

    Pudzich: Der Norden ist nicht ganz unbeeinträchtigt, weil natürlich im Norden auch Unternehmen tätig sind und produzieren, die auf den Binnenkonsum ausgerichtet sind. Aber generell kann man sagen, die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden nimmt durch diese gegenwärtige Entwicklung weiter zu.

    Engels: Sie haben es angesprochen: Der Handel zwischen Italien und Deutschland ist gefestigt. Funktioniert denn auch die Finanzierung im Moment? Kriegen die Unternehmen auf beiden Seiten genügend Kredite?

    Pudzich: In der Tat haben wir ja auch in Deutschland eine Bankenkrise, die wir noch nicht ausgestanden haben. Das ist in Italien jetzt mit einigen Jahren Verspätung auch aufgetreten. Das hat in Deutschland auch nicht zum Kollaps geführt, sondern zu zeitweiligen Schwierigkeiten. Das muss man zugeben: Im Moment gibt es vom Bankensektor her Finanzierungsschwierigkeiten für die Unternehmen.

    Auf der anderen Seite aber hat das italienische Steuermodell zur Folge, dass Unternehmen ihre Gewinne nicht in Form von Rückstellung in den Unternehmen lassen, sondern privatisieren, also ins Privatvermögen überführen, und wir haben ja vor wenigen Tagen erst in den Medien lesen können, wie hoch das italienische Privatvermögen ist.

    Engels: Sehen Sie denn hier Befürchtungen, dass hier grundsätzlich die Finanzierung mittelfristig zum Problem werden kann, oder welches sind die Probleme, unter denen Italien derzeit krankt?

    Pudzich: Italien krankt vor allen Dingen unter einer überbordenden Bürokratie, unter einer Steuergesetzgebung, die viele Unternehmen nahezu zwingt, nach Möglichkeiten zu suchen, die Steuerquote zu reduzieren, weil sie sonst nicht überlebensfähig wären.

    Engels: Also Steuerumgehung?

    Pudzich: Zum Beispiel die Privatisierung der Unternehmensgewinne führt dazu, dass diese Gelder zunächst mal in den Unternehmen nicht zur Verfügung stehen. Die Überführung der Gewinne in Privatvermögen ist durchaus legal. Aber es ist schon so: Der Italiener hat eine Steuergesetzgebung, die so komplex ist und in der Summe die Unternehmen so sehr belastet, dass oftmals selbst Juristen nicht mehr durchblicken und deswegen die Unternehmen versuchen, so wie es geht zu überleben.

    Engels: Wenn aber Investitionen jetzt möglicherweise zurückgestellt werden, wenn es um die Betriebe geht, gibt es dann irgendeine Chance, dass die ja auch zuletzt stark angestiegene Jugendarbeitslosigkeit und damit verbundene Probleme irgendwann sich wieder eindämmen lässt?

    Pudzich: Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein riesiges Problem in allen südeuropäischen Ländern, die ihre Ursache hat in einer Ausbildungstradition, die eben kurzfristig und an den direkten Unternehmensinteressen orientiert ist. Es gibt keine Ausbildungsstruktur, die junge Menschen mit einer generellen Berufskapazität ausstattet, sodass sie auch in der Krise von einem Unternehmen zum anderen wechseln können. Sie sind so sehr aufs Unternehmen, in dem sie arbeiten, ausgerichtet, dass jeder Wechsel schwerfällt, und das macht den jungen Leuten im Moment zu schaffen. Das andere ist: Angesichts der Arbeitslosigkeit und der sehr starren Arbeitsgesetzgebung fällt es jungen Leuten schwer, überhaupt den Zutritt zum Arbeitsmarkt zu gewinnen.

    Engels: Schauen wir zum Schluss auch noch mal auf das große Ganze. Die politische Stagnation haben wir angesprochen. Sehen Sie die Gefahr, dass aufgrund dieses Stillstands Italien wieder stärker in den Strudel der Schuldenkrise hineingezogen wird?

    Pudzich: Das ist schwer zu prognostizieren. Gerade heute Morgen sagen die italienischen Medien, es ist wieder Bewegung in die Gespräche gekommen. Möglicherweise gehen jetzt Sozialdemokraten und die Partei Berlusconis aufeinander zu. Das bleibt abzuwarten. Am Ende ist es in Italien immer irgendwie weitergegangen. Man kann oftmals in Italien sagen, der Politik geht es schlecht, aber dem Land geht es trotzdem ganz gut, und wir hoffen, dass Italien auch diesmal wieder durch die Krise hindurchkommt.

    Engels: Norbert Pudzich, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

    Pudzich: Sehr gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.