Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Der Präsident auf allen Kanälen

"Le Kraftmeier", "L'Europe, c'est moi" - das sind nur einige der Bonmots, mit denen die deutsche Presse diese Woche ihre aktuelle Berichterstattung über den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy überschreibt. Mit ungeheurem Tempo und fast im Alleingang wirbelt der französische Präsident derzeit die Pariser Innen- und Außenpolitik auf. Endlich einer, der die Probleme anpackt, sagen die einen. Ein Hans Dampf in allen Gassen, stöhnen die anderen.

Moderation: Barbara Schmitt-Matern | 21.09.2007
    Die Stimmungslage in Paris schildert Burkhard Birke:

    "Vous savez: Je ne suis pas un ideologue."

    Kein Ideologe, aber ein pragmatischer Überzeugungstäter: Dieses Bild entwirft Frankreichs Präsident gern von sich selbst. Der Wahlkämpfer Nicolas Sarkozy hat mit seinen Visionen nicht hinter den Berg gehalten.

    "Man soll in Frankreich mehr arbeiten können, um mehr zu verdienen."

    Als Präsident werde er die Rentenprivilegien einiger Beschäftigter reformieren. Ein Versprechen von vielen, das der Präsident Sarkozy unter allen Umständen halten will, wie er diese Woche bekräftigte.

    Er ist bereit die Arbeitslast und die Verantwortung zu übernehmen. Sarkozy steht an vorderster Front, schaltet sich in alle Politikfelder ein, nach dem Motto: Mein Wille geschehe! Alles ist generalstabsmäßig geplant. Nichts wird dem Zufall überlassen. Geschickt spannt er die Medien vor den Karren seiner Reformagenda. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die französische Öffentlichkeit nicht hören, lesen und auf dem Bildschirm sehen kann, was ihr rühriger Präsident so alles anschiebt. Bereits vor der Sommerpause ließ er das Hochschulreformgesetz verabschieden. Es gibt den Universitäten mehr Autonomie, und ab kommendem Jahr auch erheblich mehr Gelder. Dem Versprechen, härter gegen Kriminelle durchzugreifen, folgte ein Gesetz mit Mindeststrafen für Wiederholungstäter. Das Prinzip "Arbeit soll sich wieder lohnen", die Früchte der Arbeit sollen geerntet werden dürfen, beherzigte Sarkozy durch ein 15 Milliarden Steuerentlastungspaket. Es senkt unter anderem die Höchstabgabenbelastung von 60 auf 50 Prozent der Einkommen und sieht ab 1. Oktober vor, dass Überstunden abgabenfrei bleiben. Mit einem Gesetz zur Grundversorgung der Verkehrsbetriebe im Streikfall rüstete er sich schon für das Unvermeidliche: Die jetzt von den Eisenbahnern, wegen der geplanten Abschaffung der Rente mit 50 oder 55, für den 17. Oktober angekündigten Streiks.

    "Es gibt ein Gesetz, es muss angewandt werden. Wenn es Probleme gibt werden wir uns ihnen stellen."

    Sarkozy macht Druck, setzt enge Zeitvorgaben bis Mitte 2008. Bis dann sollen Lösungen für die Rentenprivilegien, Arbeitsgesetzgebung, Vorschläge für die Fusion der Arbeitslosenversicherung mit der Arbeitsverwaltung, höhere Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen, auch zur Alzheimerbekämpfung gefunden werden. Und die Konturen einer Pflegeversicherung sollen dann erkennbar sein. Der Kulturrevolution im öffentlichen Dienst, den er abschmelzen, und leistungsbezogen bezahlen will, gibt er immerhin bis 2012 Zeit!

    "Richtig ist, dass die Reformen den Zwang zu handeln mit dem sozialen Dialog vereinen müssen!"

    Keine Reform mit der Brechstange: So soll wohl die Botschaft lauten. Dabei ist die Methode Sarkozy etwas widersprüchlich! Weshalb bestellt er Gewerkschafter ein, lässt sie und die Arbeitgeber mitdiskutieren, wenn er gleichzeitig enormen Zeitdruck macht, sagt, der soziale Dialog dürfe nicht als Alibi für Untätigkeit herhalten und bekräftigt:

    "Wenn es eine Einigung gegeben hat, wird das ins Gesetz mit einfließen, da wo es keine Einigung gibt, wird der Staat seiner Verantwortung nachkommen." So inflexibel, wie er klingt, macht der Sohn eines ungarischen Immigranten jedoch nicht Politik. Rentenreform per Dekret: Diesen Versuchsballon ließ Premierminister Francois Fillon steigen. Sarkozy holte ihn schnell zurück: Über das Auslaufen der Rentenprivilegien sollen die Sozialpartner in den jeweiligen Betrieben diskutieren. Selektion der Studenten für die Masterstudiengänge? Dem Widerstand der Studentenvertreter huldigte der Präsident, indem der ominöse Paragraph aus dem Gesetzentwurf wieder verschwand. Und auch das umstrittene Projekt der sozialen Mehrwertsteuer ist erst einmal in den Schubladen der Regierung abgetaucht. Sozialbeiträge senken, Mehrwertsteuer erhöhen: Allein die Idee kostete Dutzende Mandate beim zweiten Gang der Parlamentswahl. Volkes Wille ist dem Präsidenten teuer: Ein wenig scheint Sarkozy Politik nach Umfragen zu machen, und aus dem Stand. Zwei Drittel der Franzosen geben ihm derzeit Rückendeckung bei seinem Vorhaben, den Reformstau aufzulösen. Selbst in den Reihen seiner eigenen Anhänger macht sich jedoch allmählich eine gewisse Müdigkeit angesichts der Omnipräsenz und Rastlosigkeit breit! Allein in dieser Woche hielt Sarkozy zwei wegweisende Reden, gab ein fast einstündiges Fernsehinterview, und kündigte eine Alzheimerinitiative an. Kaum verabschiedet die Nationalversammlung in erster Lesung schärfere Zuwanderungsbestimmungen mit Sprach- und freiwilligen Gentests, da schiebt der Präsident neue Wünsche nach:

    Er wolle Quoten für jedes Jahr nach Aussprache im Parlament. Dort hat er eine deutliche absolute Mehrheit und eine fast sprachlose Opposition, die sich überfahren fühlt. Sozialistenchef Francois Hollande:

    "Die Methode ist verabscheuungswürdig. Wir diskutieren noch über einen Gesetzestext und Nicolas Sarkozy wünscht schon einen neuen! Das Ziel ist unrealistisch! Das geht nicht, weil man keine zahlenmäßigen Vorgaben machen kann!"

    Den Schock der Wahlniederlagen noch in den Knochen, hechelt die Opposition hinterher: Das, was von ihr übrig geblieben ist! Denn im Rahmen seiner Politik der Ouverture, der Öffnung, hat der Präsident alles, was Rang und Namen bei den Sozialisten hatte, entweder in die Regierung oder in Arbeits- und Reformgruppen eingebunden. Auch das ist kein Zufall. Wie meinte Sarkozy neulich süffisant vor dem Arbeitgeberverband:

    "Vielleicht bin ich derjenige, der die personellen Ressourcen der Sozialisten am besten zu nutzen weiß!"

    Interview mit Professor Doktor Henrik Uterwedde, stellvertretender Leiter des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg.

    Barbara Schmidt-Mattern: Herr Uterwedde, als Antwort auf Nicolas Sarkozys Rentenreformpläne diese Woche drohen nun Streiks im kommenden Oktober. Steht Präsident Sarkozy tatsächlich jetzt vor einem heißen Herbst, oder wie groß ist eigentlich bei den Franzosen die Einsicht in Reformen?

    Henrik Uterwedde:In Frankreich ist es immer etwas unberechenbar. Es hat immer wieder Situationen gegeben, in denen sich plötzlich ein heißer Herbst oder sozialer Protest formiert hat und dann eben so stark geworden ist, dass die Regierung zurückweichen musste. Trotzdem: Sarkozy hat einige Pluspunkte in der Tasche. Erstens einmal, er hat klar angekündigt vor der Wahl, was er machen will. Also jeder wusste, was er wählt, wenn er ihn wählt. Er hat eine klare Mehrheit bekommen. Sein politischer Kredit, das haben wir ja gehört bei der Bevölkerung, ist weiterhin sehr, sehr hoch, und er hat es eben sehr geschickt gemacht, die Sozialpartner, das sind die Tarifpartner in Konsultationen einzubinden in seine Reformpläne, um ein Stück des Druckes wegzunehmen. Viertens und letztens hat er eben einfach schlichtweg gute Argumente. Rentenprivilegien von einigen Berufsgruppen, das widerspricht eben dem Prinzip der Gleichheit, so dass er insgesamt gute Chancen hat, diese Reformen ein Stück weit anzustoßen, wegen denen er auch gewählt worden ist.

    Schmidt-Mattern:
    Aus Brüsseler Sicht gilt Frankreich derzeit als kranker Mann Europas. Wie dringend nötig ist denn der Reformbedarf tatsächlich?

    Uterwedde:Er ist dringend, weil Frankreich in den letzten Jahren notwendige Reformen einfach verschlafen hat. Unter Chirac lief da nicht mehr so furchtbar viel. Und während Deutschland sich seit der Agenda 2010 ein Stück weit berappelt hat und auch bestimmte Sachen in Gang gebracht hat, hat man in Frankreich doch sehr viel länger die Sachen auf die lange Bank geschoben. Insofern ist, etwa was den Sozialstaat angeht, Arbeitsmarkt, Gesundheitsreform, Rentenreform, öffentlicher Dienst, da ist ein großer Handlungsbedarf da, und insofern denke ich, hat Sarkozy gute Argumente, um aufs Tempo zu drücken.

    Schmidt-Mattern:Wir haben es ja gerade im Beitrag gehört: Nicolas Sarkozy bindet in allem und vielem die Sozialisten mit ein, selbst der Außenminister ist ein Sozialist, gibt es eigentlich noch eine funktionsfähige Opposition in Paris?

    Uterwedde:Nein, die gibt es vor allem deswegen nicht, weil sich die Sozialisten selbst zerfleischen. Sarkozys Rosinenpickerei, was die Talente in der sozialistischen Partei angeht, stimmt ja, aber es zeigt im Grunde genommen den desaströsen Zustand dieser Partei, die sich zerfleischt gegenwärtig in Schuldzuweisungen, in Pamphleten, in denen die Kandidatin Segolène Royal nachträglich mit Dreck beworfen wird. Mit dieser Partei ist im Augenblick im wahrsten Sinne kein Staat zu machen, und das erleichtert natürlich das Spiel von Sarkozy.

    Nun ist die Stimmung der Sozialisten nicht nur in Paris schlecht, auch in Brüssel bei der Europäischen Union wirbelt Nicolas Sarkozy derzeit einigen Staub auf, etwa mit seinem umstrittenen Vorstoß beim Atomstreit mit dem Iran. Und dann war da auch noch der Ärger mit den Finanzministern und der Europäischen Zentralbank. Volker Finthammer berichtet aus Brüssel:

    Eigentlich haben zu Beginn dieses Jahres in Brüssel fast alle auf denn neuen Wind aus Paris gewartet. Anders als seine sozialistische Konkurrentin Segolène Royal hatte der Wahlkämpfer Nicolas Sarkozy bereits früh zu verstehen gegeben, dass er Europa wieder voranbringen wolle.

    "Die politische Partei, der ich vorstehe, ist zutiefst europäische. Europa braucht ein klares Bekenntnis zur Freiheit und Offenheit und Mut für sich selbst."

    Die Zuversicht überwog in den Tagen nach dem klaren Wahlsieg Sarkozys.

    "Ich vertraue darauf, dass Nicolas Sarkozy, dessen Überzeugungen ich kenne und dessen Überzeugungskraft bekannt ist, seine Rolle als Motor bei der Überwindung der institutionellen Probleme und bei der Konsolidierung der europäischen Politik übernimmt."

    Sarkozys Minivertrag, über den der französische Präsident bereits vor seinem Amtsantritt öffentlich Gedankenspiele verbreitet hatte, galt fortan als ein möglicher Ausweg aus der europäischen Verfassungskrise. Zu der ursprünglich vorgesehenen Beschneidung der Verfassung ist es unter den Zügeln Angela Merkels und der deutschen Ratspräsidentschaft letztlich nicht gekommen. Geblieben ist jedoch die Idee, den künftigen Reformvertrag ohne das erneute Votum der Bürger Frankreichs in Parlament absegnen zu können. Dass er den Reformvertrag schnell unter Dach und Fach haben will, hatte Sarkozy bereits bei seinem Amtsantritt in Brüssel zu Protokoll gegeben. Ungleich größer sind die Irritationen die Sarkozys wirtschaftspolitische Vorstellungen bis heute im Schlepptau haben.

    "Wir brauchen eine starke Wirtschaftsregierung in der Eurozone und eine angemessene europäische Wirtschaftspolitik, und da werden wir die Initiative ergreifen. Der Moment wird kommen, und wir werden da Vorschläge unterbreiten. Sie sehen, ich bin ohne Tabus nach Brüssel gekommen, aber mit einer klaren Überzeugung."

    Doch mit diesem Vorstoß hat sich Sarkozy bislang wenig Freunde in der Eurogruppe gemacht.

    "Der Präsident ist jung, arbeitet viel und muss früh zurück", sagte der luxemburgische Ministerpräsident und Vorsitzende der Eurogruppe, Jean Claude Juncker, gleich mehrfach nach Sarkozys überraschendem Besuch bei den Finanzministern im Juli. Die Verärgerung über den Auftritt des französischen Präsidenten wurde überspielt, und dass er den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück maßregeln wollte, weil der ihm nüchtern die Regeln des Stabilitätspaktes erklärte, wurde erst viel später bekannt. Sarkozy zahlte es auf seine Weise heim. Als sich die Finanzminister und das Präsidium der Europäischen Zentralbank in der letzten Woche in Porto trafen, und von Frankreich die Einhaltung des Stabilitätspaktes forderten, schoss der Präsident per Zeitungsinterview zurück, und warf der Eurogruppe und der EZB eine falsche Finanzpolitik vor und forderte eine Senkung der Leitzinsen in Europa. Die Angesprochenen wiesen den Vorwurf kühl zurück.

    "Ich verweise nur darauf: Wir entscheiden für 320 Millionen Bürger, also mehr als in den USA, und 13 Länder insgesamt. Und alle Beobachtungen, die ich bislang machen konnte sind, dass die Entscheidungen in der Eurogruppe sind klar und effizient getroffen worden. Das muss man einfach einmal feststellen"," sagt der Präsident der europäischen Zentralbank, Jean Claude Trichet.

    Eigenwillig war auch Frankreichs Vorgehen bei der Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern aus libyscher Haft, die EU Kommissarin Benita Ferrero Waldner über Jahre hinweg vorbereitet hatte. Doch der Präsident schickte zuletzt seine Frau ins Rennen, und nach Tripolis, die am Ende die Bilder über die Freilassung mitbestimmen sollte. Und Nicolas Sarkozy reiste prompt hinterher, um Staatschef Gaddafi Waffen und einen Atommeiler zu verkaufen. Die Verstimmung in Brüssel war zu spüren. Der portugiesische Ratsvorsitzende dankte EU-Kommissarin Ferrero Waldner und dem deutschen Außenminister Steinmeier für ihre Bemühungen, und erwähnte Sarkozy mit keiner Silbe. Und der luxemburgische Außenminister erklärte:

    ""Man weiß nicht, was jetzt Sache ist in Frankreich. Es ist wie bei allen in Europa. Wir sind immer nur stark, wenn wir solidarisch sind, wenn jeder informiert ist. Sologänge sind nicht das, was man unbedingt befolgen sollte."

    Als Sologänge wurden auch die jüngsten Vorstöße Frankreichs gegenüber dem Iran gewertet. Während die EU nach wie vor auf ihre diplomatischen Bemühungen setzt, stellt sich Frankreich enger an die Seite der USA und fordert härtere Sanktionen. Man dürfe sich von dieser Drohgebärde jedoch nicht irritieren lassen, warnt der christdemokratische Abgeordnete des Europaparlaments, Elmar Brok.

    "Ich weiß, und ich war gestern noch in Paris und hab dort Gespräche geführt und war auch im Elysee, dass man die internationale Gemeinschaft dort auch zusammenhalten möchte. Und manchmal ist ja eine bestimmte Rhetorik einzelner Partner wichtig, um insgesamt eine Bewegung hineinzubekommen. Ich glaube, dass in der Sache und am Ende des Tages Frankreich und Deutschland nicht sehr weit auseinander sein werden."

    Die Einschätzung von Elmar Brok in Brüssel. Henrik Uterwedde, egal, bei welchem politischen Thema in Brüssel die Rede ist, wir haben es gerade gesagt, Nicolas Sarkozy eckt jedes Mal an. Wieviel Europa ist mit diesem französischen Präsidenten eigentlich machbar?

    Henrik Uterwedde: Das wird man sehen. Zunächst einmal war der Schlüsselsatz von Sarkozy nach seiner Wahl: Frankreich ist wieder zurück in Europa. Und das ist aus deutscher Sicht und auch aus Sicht der Partner zunächst mal ein positives Zeichen. Denn das handlungsunfähige, fast gelähmte Frankreich seit dem gescheiterten Europa-Referendum, das war kein wirklicher Partner, mit dem man Dinge bewegen konnte. Insofern ist es ein positives Zeichen. Diese Rundumschläge von Sarkozy, sein Hang zu Alleingängen, diese One-man-Show, die schon innenpolitisch auf die Dauer nicht durchzuhalten ist, ist natürlich auf der anderen Seite Gift für das gemeinsame Handeln in Europa, und hier muss er aufpassen, dass er des Guten nicht zuviel tut. Wenn man in Europa etwas bewegen will, muss man es gemeinsam tun. Dann muss man werben, um die Partner, und kann sich nicht hinstellen und deklamieren und meinen, die anderen folgen dann schon. Die Fragezeichen, die hinter der Durchsetzungsfähigkeit französischer Positionen und auch der Gemeinschaftsfähigkeit und auch der Teamfähigkeit dieses Präsidenten sich stellen, die sind schon vorhanden, wobei ich da auf das Prinzip Hoffnung setze. Bis jetzt haben noch alle Verantwortlichen in Paris wie auch anderswo gelernt, dass Europa ein kollektives Spielfeld ist und dass Alleingänge meistens ins Abseits führen."

    Barbara Schmidt-Mattern: Stichwort Teamfähigkeit: Viele Beobachter sind sich im Moment unsicher, inwieweit es Sarkozy tatsächlich um Europa oder erstmal um Frankreich geht?

    Uterwedde: Das ist in Frankreich immer so ein bisschen gemischt. Ein Teil dieser sehr - aus unserer Sicht - überzogenen Rhetorik ist sicherlich innenpolitisch gemünzt. Hier möchte Sarkozy eben den sehr verunsicherten Franzosen wieder ein Stück weit Identität geben und ein bisschen einimpfen: wir sind wieder wer und Frankreich zählt, Frankreich ist eine Großmacht usw., das hindert ja nicht, dass Frankreich genau weiß, dass es eben im Verbund der 15 gemeinsam handeln muss und auch gemeinsam handeln will. Ich denke, real werden da manche Sachen auch tiefer gehängt, und real sind da die Positionen auch nicht so furchtbar weit auseinander.

    Schmidt-Mattern: Wenn wir nur mal schauen auf Sarkozys Ankündigungen, eine angestrebte Führungsrolle auch in Brüssel einnehmen zu wollen, wie wird und muss sich denn Berlin da positionieren?

    Uterwedde: Ich würde mal sagen, Führungsrollen - ob es nun französische sind oder auch deutsche - französische Motorrollen, die sollte man nicht ankündigen und deklamieren und behaupten. Man sollte so handeln, dass die anderen eine solche Führungsrolle auch tatsächlich anerkennen. Das also dazu. Ich denke, dass die deutsche Regierung bis jetzt sehr gut reagiert hat. Sie hat gelassen reagiert, sie hat nicht auf jede Eskapade dieses Präsidenten sozusagen mit gleicher Münze zurückgezahlt. Und mir gefällt die ruhige und sehr freundschaftliche, aber auch bestimmte Art der Bundesregierung, wie sie den Präsidenten, wenn's nottut, eben auch darauf hinweist, dass bestimmte Positionen nicht nur mit Deutschland nicht zu machen sind, sondern schlichtweg gegen europäische Texte verstoßen. Wie etwa in den Fragen der Währungspolitik, der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Also diese ruhige, freundschaftliche, aber durchaus auch notfalls klare Sprache, die finde ich das beste Mittel, um gemeinsam wieder mit den französischen Partnern in Europa etwas zu bewegen.