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Der Protest der Enttäuschten

Am kommenden Sonntag wird mehr entschieden als nur über die Zusammensetzung der Landtage in Dresden und Potsdam. Das Verhalten der Wähler und die Höhe der Wahlbeteiligung werden zeigen, wie stark die Kluft zwischen Regierenden und Regierten geworden ist. Die Landtagswahlen sind in gewisser Weise auch eine Entscheidung über das demokratische System. Trauen die Wählerinnen und Wähler im Osten den etablierten Parteien eine Lösung der Probleme zu oder wählen sie vermehrt den Protest?

Von Henning Hübert und Claudia van Laak | 16.09.2004
    Allein die Montagsdemonstrationen zeigen: viele ostdeutsche Bundesbürger haben das Vertrauen in Politik und Politiker verloren. Dabei ist Hartz IV nicht bloß Grund, sondern auch Auslöser der Demonstrationen. So auch in Leipzig.

    Verschiede Teilnehmer: Ich hab noch Arbeit, mir geht’s noch ziemlich gut. Aber heute kann es so schnell gehen – ruck zuck bist du arbeitslos, bist du am Boden. Und für einen Euro die Stunde arbeiten – das kann nicht sein.

    Ich laufe mit. Ich habe Kinder, Enkelkinder. Nichts geht hier. Das ist doch keine Art und Weise. Zwei haben nur noch Arbeit, vier haben keine mehr. Das haben wir nicht gewollt. Dafür brauchten wir nicht 1989 hierher zu gehen, dass es so kommt.

    Ich muss ganz ehrlich sagen: Normalerweise hätte ich’s nicht notwendig, weil ich gleich in Rente gehe. Und auf der anderen Seite hätte ich heute erwartet, dass unser Oberbürgermeister Tiefensee mal ein paar Worte gesprochen hätte, denn der war auch in der verfluchten Hartz-Kommission. Und der schweigt sich in seinem Kämmerchen aus

    Nach 15 Jahren real existierender Demokratie mit Millionen von Arbeitslosen - Tendenz steigend - einer verzweifelt niedrigen Wahlbeteiligung - Tendenz fallend - und einer schreienden Ungerechtigkeit zwischen den immer besser Verdienenden bzw. sich bereichernden oben und den immer mehr Abkassierten unten ist jetzt der lang angesagte Ruck durch Deutschland gegangen – so nicht.


    15 Jahre nach der Wende fühlt sich ein Teil der Ostdeutschen noch immer als Bürger zweiter Klasse. Der Aufschwung Ost kommt nicht voran, in vielen Landesteilen herrscht seit der Wende eine Massenarbeitslosigkeit von 20 Prozent und mehr. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Bei den Protesten geht es also um Grundsätzliches. Eine Anzeigenkampagne der Bundesregierung, die damit Hartz IV zu erklären versucht, löst diese Probleme freilich nicht. Dazu der Dresdner Politologe Werner Patzelt.

    Es geht hier um den Kern des Demokratieverständnisses: Ostdeutsche verstehen Demokratie sehr stark als eine Staatsform, die soziale Sicherheit, sozialen Ausgleich, soziale Gerechtigkeit alles in allem bewerkstelligt. Genau das scheint nun durch die Hartz-IV-Reform in Frage zu stehen. Infolgedessen wird es von vielen als ein Anschlag auf den Kern dessen angesehen, was die friedliche Revolution bewirken sollte

    Auf der Demonstration: Die sind nicht so laut. Ich habe zu Hause eine aus Metall von der IG Metall, die ist viel besser. Die ist nur Plastik.

    Fleißig verteilt der PDS-Direktkandidat für den Leipziger Wahlkreis 27 rote Trillerpfeifen am Rande der Montagsdemo. "Wir pfeifen auf die Agenda 2010" ist darauf zu lesen. Auf einem Plakat verspricht Dietmar Pellmann: "Hartz IV: wir stehen Euch bei!" Pellmanns Protestwahlkampf kommt an, in Umfragen liegt die PDS in Sachsen bei etwa 23 Prozent. Bei der letzten Landtagswahl noch waren alle 60 Wahlkreise ausnahmslos an CDU-Kandidaten gegangen, jetzt rechnet sich die PDS vor allem in den großen Städten gute Chancen aus, der CDU das ein oder andere Direktmandat abjagen zu können. Besonders in den Plattenbaugebieten bläst den Christdemokraten der Wind ins Gesicht:

    Dietmar Pellmann: Ich denke, wir pfeifen zunächst gegen Hartz. Und es ist einfach das Erwachen aus Frustration zur Selbstbesinnung. So würde ich es charakterisieren.

    Die Frustration entlädt sich nicht nur bei den Montagsdemonstrationen. Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde im brandenburgischen Wittenberge mit Pfiffen und Buhrufen empfangen, als er den sanierten Bahnhof einweihen wollte. Sogar Eier flogen in seine Richtung. Mehrmals haben Protestler die Wahlkundgebungen von Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck massiv gestört und Eier auch auf ihn geworfen. Doch Platzeck hat nicht aufgegeben, hat in 32 Städten Kundgebungen abgehalten und dabei die Reformpolitik der Bundesregierung tapfer verteidigt.

    Wer heute nochmal sagt, weil es so ungemütlich ist, weil durch dieses Land ein Proteststurm geht, lassen wir es noch mal sein mit den Reformen, der versündigt sich endgültig an seinen Kindern, deshalb stehe ich für die Erneuerung Deutschlands.

    Bei dieser Kundgebung in Strausberg bleibt es relativ ruhig. Hier wirft niemand Eier. Nur eine Gruppe schwarzgekleideter Jugendlicher aus der autonomen Szene entrollt Transparente und verteilt Handzettel: "Fresst doch Euren Hartzer Käse alleine."

    Ich protestiere gegen die Politik, die in diesem Land weitergeführt wird, dass es immer mehr Leute gibt, die einfach unten runter fallen, dass dieses Land zu einer Leistungselite ausgebaut wird, so - und dass es da genügend Leute gibt, die da einfach nicht mehr mitkommen, das der Sozialstaat abgebaut wird, dass bestimmt wird, wie man wohnen darf, wo sie wohnen müssen.

    Nach der Kundgebung mischt sich Platzeck wie immer unter die Besucher und stellt sich der Diskussion. Wieder wird deutlich: die Kluft zwischen Regierenden und Regierten ist in Ostdeutschland so groß wie nie zuvor. Eine ältere Frau redet sich in Rage, schimpft laut über die Untätigkeit der Politiker.

    Aber wir sitzen doch nicht hier und drehen Däumchen. Wissen Sie, was hier die Menschen ärgert. Die ärgert, wenn sich die Leute von einer Partei gegen andere stellen, beschimpfen sich, kassieren viel Geld im Bundestag, sitzen da und lesen Zeitungen.

    Ein Mann drängelt sich nach vorne und beschwert sich über die Ein-Euro-Jobs. Über jene Jobs, die im Zuge von Hartz IV eingeführt werden und Empfängern von Arbeitslosengeld einen Zuverdienst ermöglichen sollen.

    "Ein Hungerlohn ist das!", ruft jemand zustimmend von hinten. Matthias Platzeck versucht zu erläutern, dass der eine zusätzliche Euro eigentlich zu einem Neun-Euro-Job führe, wenn man das Arbeitslosengeld und die Miete dazurechne. Die Umstehenden schütteln den Kopf. Eine Frau in gelber Bluse mischt sich ein und erzählt, sie habe ihre Umschulung als Altenpflegerin beendet und keinen Job bekommen.

    Der Hammer ist eigentlich, mich stellt keiner ein. Warum? Weil sie alle auf den Ein-Euro-Job warten. Ist das nicht eine Frechheit? - Das glaube ich nicht. - Das können sie mir glauben.

    Alle nicken. Die Verhältnisse sind wieder einmal klar. Die da oben und die hier unten. Matthias Platzeck wird als Berufs-Politiker wahrgenommen, der nicht mehr weiß, wie es den kleinen Leuten geht. Da nützt ihm auch nichts, dass er beteuert, er wohne seit 1989 in derselben Potsdamer Wohnung und kenne die Probleme seiner Nachbarn.

    Also wenn Sie mir sagen, ich weiß nicht, was in diesem Land los ist, dann stimmt das einfach nicht. Aber Sie müssen sich das Geld nicht so einteilen und so nachdenken, ob sie fünf0 Cent ausgeben können für ein bisschen was zu essen morgen oder nicht. Man kann auch in demselben Haus leben mit anderen Menschen und trotzdem geistig in einer anderen Realität leben. - Danke.

    In Brandenburg schlägt der regierenden Großen Koalition ein unverhohlen sattes Misstrauen der Wähler entgegen. 70 Prozent der Befragten sind unzufrieden mit ihrer Landesregierung. Nutznießerin dieser Stimmung ist in erster Linie die PDS. Kann sie in Sachsen wegen der Stasiverstrickung ihres Spitzenkandidaten Peter Porsch offenbar kaum zulegen, sehen Demoskopen die PDS in Brandenburg ganz vorn. Sie wird sich am Sonntag wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der SPD liefern. Die Brandenburger Sozialisten waren selbst überrascht von diesem Erfolg. Dass er ihnen in den Schoß gefallen sei, bestreiten sie. Die PDS-Spitzenkandiatin Dagmar Enkelmann:

    Wir haben vieles selber erreicht mit dem Anspruch, mit dem wir in diese Wahl hinein gehen und ich sage, Hartz IV hat insofern nur etwas damit zu tun als wir gesagt haben "Soziale Gerechtigkeit" das ist unser Ziel, jetzt kommt Hartz IV, das unterstreicht natürlich unseren eigenen Anspruch an dieser Stelle nochmal.

    "Hartz IV, das ist Armut per Gesetz, weg damit!" heißt es auf Wahlplakaten der Brandenburger PDS. Man wolle noch versuchen, mit einer Initiative im Bundesrat das Gesetz zu stoppen, so Spitzenkandidatin Enkelmann. Gleichzeitig kümmert sich die Nachfolgepartei der SED um die künftigen Bezieher des Arbeitslosengeldes II, hilft beim Ausfüllen der Anträge. "Sozial mit aller Kraft!" – lautet ihr Wahlslogan. Das kommt an. Am Sonntag werden viele bisherige SPD-Wähler den Sozialisten ihre Stimme geben.

    Das sind vor allen Dingen SPD-Wähler, die kommen an die Wahlstände, die sagen, sie können die SPD nicht mehr wählen, vor allen Dingen wegen der Profillosigkeit in der Großen Koalition, und die entscheiden sich neu, ich hoffe für die PDS.
    Der Platzeck ist SPD, und er hat diese Politik unterstützt. Und wenn er sich jetzt vor der Landtagswahl ein bisschen kritisch gibt, nach der Wahl ist das dann wieder vorbei und dann stimmt er wieder dem Quatsch vorher zu. Ich erwarte von Platzeck überhaupt nichts, ich werde ihn auch nicht wählen.


    Die SPD versucht die Wählerwanderung hin zur PDS zu stoppen, in dem sie allein auf ihren Spitzenkandidaten Matthias Platzeck setzt. Am liebsten verschweigen seine Wahlstrategen sogar dessen Parteizugehörigkeit.

    "Mit der Erststimme wählen Sie Ihren Direktkandidaten im Wahlkreis. Mit der Zweitstimme wählen Sie Matthias Platzeck," heißt es auf der Internetseite der Brandenburger SPD. Würde der Ministerpräsident direkt gewählt, entschieden sich fünf8 Prozent für Platzeck , 14 Prozent für seinen Gegenkandidaten von der CDU, Jörg Schönbohm und 12 Prozent für die PDS-Frau Dagmar Enkelmann - so eine Umfrage von Infratest/dimap.

    Viele PDS-Sympathisanten trauen der Spitzenkandidatin Dagmar Enkelmann offensichtlich nicht zu, das Land zu regieren. Wählen wollen sie die PDS trotzdem. Der Wahlzettel wird als Denkzettel verstanden – dazu der Politologe Werner Patzelt.

    Ein Drittel bis ein Viertel der Deutschen halten inzwischen das Nichtwählen für eine ganz normale Möglichkeit mit einer Wahl umzugehen. Und kaum geringer ist der Anteil der Bundesbürger, die das Wählen einer Alternativpartei, die normalerweise für sie gar nicht in Frage käme, als ein sehr vernünftiges politisches Zeichen erachten, das man eben am Wahltag setzt. Das heißt man darf sinkende Wahlbeteiligung nicht einfach als Zeichen für Abstinenz von der Demokratie ansehen.

    Man darf nicht einmal das Wählen von radikalen Parteien nicht einfach als wachsende Zuneigung zu diesen Parteien interpretieren. Es geht den Leuten sehr häufig nur darum, denen da oben einen Denkzettel zu verpassen. Freilich muss man die Leute auch dann darüber aufklären, dass diese Denkzettel sehr unangenehme Nebenwirkungen haben können, die man eigentlich besser vermeidet.


    So könnte eine sehr unangenehme Nebenwirkung sein, dass DVU und NPD in den Potsdamer bzw. Dresdner Landtag einziehen. Denn neben der PDS sind die rechtsextremen Parteien Nutznießer der Proteste. Die Wahlslogans sind austauschbar. Die PDS in Brandenburg plakatiert: "Hartz IV ist Armut per Gesetz, weg damit." Die DVU wirbt mit: "Sauerei Hartz IV, wehrt Euch." Politische Erzfeinde sind sich in puncto Hartz IV plötzlich einig. Die Rechten applaudieren den Linken.

    Das ist hier Armut per Gesetz, was die hier machen. Ick meine, ick bin zwar kein Kommunist, ich bin Anti-Kommunist seit DDR-Zeiten, und wenn ick dat sehe, was die PDS hier für Plakate dranmacht, Armut per Gesetz, kann ich selbst meinen Feinden, den Kommunisten, bloß beipflichten. Das ist eine große Sauerei.

    Bislang galten die rechtsextremen Parteien als heillos zerstritten. Republikaner, DVU und NPD traten meist gleichzeitig und damit gegeneinander an, nur selten bei einer Wahl im Nachkriegsdeutschland gelang der Sprung über die fünf Prozent-Hürde. Für die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg haben NPD und DVU nun ihre Streitigkeiten beigelegt. Zum ersten Mal gibt es eine Absprache zwischen beiden Parteien. Die DVU tritt nur in Brandenburg an – hier ist sie in der auslaufenden Legislaturperiode ohnehin mit fünf Abgeordneten im Landtag vertreten.

    Die NPD hingegen tritt nur in Sachsen an. Hier wird sie von dem Dresdner Stadtrat und Verlagschef der Deutschen Stimme, Holger Apfel angeführt. Die NPD hat ihre Hochburg in der Sächsischen Schweiz, bei den Kommunalwahlen im Juni holte sie 21,1 Prozent.

    Der Bruderstreit ist natürlich nicht auf Dauer beigelegt. Die Spaltungen und wechselseitigen Zerwürfnisse im Lager der Rechten sind ja allbekannt. Er ist aber für die anstehende Wahl in Sachsen und Brandenburg beigelegt worden und genau das verschafft den beiden Parteien NPD und DVU die Chance, dort in die Landesparlamente einzuziehen.
    Slogan: NPD, Schnauze voll. Wahltag ist Zahltag. Jetzt NPD!

    In den meisten Umfragen liegen NPD und DVU unter fünf Prozent, doch ist dieser Wert nur wenig aussagekräftig. Kaum ein rechtsextremer Wähler gibt seine Vorliebe bei Umfragen preis. So erscheint es durchaus realistisch, dass NPD und DVU in den sächsischen bzw. brandenburgischen Landtag einziehen könnten. Um die ohnehin aufgeladene Stimmung im Land weiter anzuheizen, betreibt die DVU eine besonders perfide Wahlwerbung. Sie versucht, die verstorbene SPD-Politikerin Regine Hildebrandt für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Der Brandenburger DVU-Landesvorsitzende Peter-Siegmar Schuldt:

    Frau Hildebrandt war sicherlich keine Freundin der DVU, aber sie würde jetzt genauso wie die DVU gegen Hartz IV kämpfen. Nämlich mit einer Frau Hildebrandt, die ich ehre und schätze wegen ihres sozialen Engagements, die hätte ein Hartz IV hundertprozentig nicht mitgemacht.

    Auf Antrag des Witwers ist es der DVU gerichtlich untersagt, in ihrer Wahlwerbung Bilder von Regine Hildebrandt zu verwenden. Ein entsprechender Fernsehspot musste entschärft werden. Die unverhohlene Drohung gegen Ministerpräsident Matthias Platzeck wird allerdings ausgestrahlt:

    (Telefonklingeln). Platzeck, wer ist denn da? - Ich bin das Volk. - Mein Gott, das Volk. - Hör zu, Platzeck, ich hab die Schnauze voll. Am 19.September wird abgerechnet. Dann kriegt ihr alles heimgezahlt. - Angstschrei - Und richte dem Schönbohm aus, das gilt auch für ihn. 19.September Wahltag. Schnauze voll, diesmal DVU, Du bist das Volk.

    Die etablierten Parteien reagieren unterschiedlich auf die angewachsenen Proteste und die Stärkung des linken und rechten Randes. Die SPD in Brandenburg ist im Laufe des Wahlkampfes immer stärker von ihrem potentiellen Koalitionspartner PDS abgerückt. Die Kampagne wurde auf den Spitzenkandidaten Matthias Platzeck fokussiert – was die CDU bereits als Personenkult kritisiert hat. Brandenburgs CDU-Spitzenmann Jörg Schönbohm ist in der Endphase des Wahlkampfes klar auf Konfrontation gegangen und hat plakatiert: "Arbeit statt PDS." Ähnlich macht es die CDU in Sachsen.

    Georg Milbradt hat längst aufgegeben, sich an den Protesten zu beteiligen. Er hat erkannt, dass das Thema von den anderen Parteien besetzt ist. Der Begriff "Hartz IV" kommt in seinen Wahlkampfreden kaum vor. Der CDU-Spitzenkandidat macht stattdessen Front gegen das Nicht-Wählen und die Protest-Stimmung.

    Die Wahl einer rechts- wie linksradikalen Partei bringt keinen einzigen Arbeitsplatz, ganz im Gegenteil. Es ist zu befürchten, dass die Touristen wegbleiben und die Investoren einen großen Bogen um uns machen. Das, was man bekämpfen will, führt man durch seine Wahlentscheidung doch mit herbei.

    Doch die NPD mit der PDS in einen Topf zu werfen, das kommt bei den wenigsten Ostdeutschen an. Die CDU musste sich schon vor Jahren das Scheitern der Rote-Socken-Kampagne eingestehen. Die PDS ist in den neuen Ländern mittlerweile eine etablierte Partei. Dies sieht auch der Dresdner Politologe Werner Patzelt so.

    Es hat sich in den neuen Bundesländern die Vorstellung eingebürgert, dass die PDS eigentlich eine normale Partei sein. Und ganz so verkehrt ist diese Vorstellung ja auch nicht. Infolgedessen hat die Rede, man müsse radikales Wählen am linken und rechten Rand verhindern, wenig Überzeugungskraft. Es geht im Grunde nur darum, radikales Wählen am rechten Rand zu verhindern. Am linken Rand verlässt man sich darauf, dass die soliden Kräfte bei der PDS auf Kommunal- und Landesebene diese DDR-reaktionären Kräfte - seien es die Kommunisten, Utopisten, seien es ganz normale linke Spinner schon im Zaume halten. Und überwiegend ist das ja auch gelungen.

    In der Endphase des Wahlkampfes häufen sich bekanntlich die Wahlaufrufe. In Sachsen hat sich in dieser Woche Ministerpräsident Milbradt in einem von der Landes-CDU finanzierten Brief an alle Haushalte gewandt, um Nichtwähler zu mobilisieren. Die Kalkulation: Je höher die Wahlbeteiligung, desto schwächer werden die Ränder - vielmehr werde die Mitte gestärkt. Eine deutliche Verbesserung der PDS und ein Einzug der NPD ins Dresdner Parlament werden die Grundfesten in Sachsen dann nicht erschüttern.

    In Brandenburg dagegen ist die Wahlbeteiligung traditionell gering. Bei den letzten Landtagswahlen gingen fünf4 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen, bei den Europawahlen im Juni dieses Jahres sogar nur 27 Prozent, also weniger als ein Drittel. So könnte eine Konstellation eintreten, die sich kaum jemand wünscht. Wenn die PDS stärkste Partei wird und DVU, FDP und Grüne die fünf-Prozent-Hürde überspringen, dann, ja dann könnte die Mehrheit für eine Neuauflage der Großen Koalition fehlen.

    Die SPD will nicht als Juniorpartner der PDS bereitstehen, eine stabile Regierung käme nicht zustande. Dies würde das wirtschaftliche schwache und überschuldete Brandenburg weiter zurückwerfen. Vielleicht kommt auch alles ganz anders, denn in Ostdeutschland binden sich die Wähler traditionell nicht so fest an eine Partei wie im Westen. Jeder zweite Wähler ist noch unentschlossen. Für die Parteien heißt das: Wahlkampf bis zur letzten Minute.