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Der Renaissance-Komponist Heinrich Isaac
Fast vergessener 500. Jahrestag

In diesem Jahr wird der Beginn der Reformation vor 500 groß gefeiert. Wenige Monate vor Luthers Thesenanschlag in Wittenberg starb in Florenz mit Heinrich Isaac einer der größten Musiker der damaligen Zeit. Daran hat im Jahr 2017 bisher noch kaum jemand erinnert, doch der Katalane Jordi Savall tut dies nun auf seinem eigenen Label AliaVox.

Von Rainer Baumgärtner | 09.07.2017
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    Jordi Savall mit La Capella Reial de Catalunya bei der Aufnahme des Isaac Programmes (Toni.Peñarroya)
    Kaum jemand hat im Jahr 2017 bisher an Isaac erinnert, deshalb fand es Jordi Savall dringend nötig, den in Isaacs Schaffen gespiegelten "Glanz des Renaissance-Humanismus vor der Reformation" zu würdigen. Der neuen CD auf seinem eigenen Label Alia Vox gab er den Titel "Henricus Isaac zur Zeit von Lorenzo de’ Medici und Maximilian I."
    Musik:"Innsbruck, ich muss dich lassen"
    Die berühmteste Komposition von Isaac ist das Abschiedslied "Innsbruck, ich muss dich lassen". Schon wenige Jahrzehnte nach dem Durchbruch der Reformation entstand die erste protestantische Umdichtung des Liedes, der später noch viele weitere folgen sollten.
    Musik: Anonyme Kontrafaktur, "O Welt, ich muss dich lassen"
    In einem Essay im Booklet zur CD wirft Jordi Savall die Frage auf, weshalb mit Isaac "einer der größten Komponisten der Renaissance" heutzutage so wenig bekannt sei. Er erklärt dies mit dem Fortschrittsglauben in der Musik, der viele Jahrhunderte hindurch dazu führte, dass nur neu geschaffene Werke auch als wertvoll und aufführungswürdig erachtet wurden. Erst im 20.Jahrhundert ist hier ein kompletter Paradigmenwechsel eingetreten und man hat Schöpfungen früherer Epochen die angemessene Bedeutung beigemessen. Als wahrscheinlich Erster setzte sich der österreichische Student und spätere Neutöner Anton Webern für Heinrich Isaacs Erbe ein, als er seine Dissertation über dessen Musik verfasste.
    Ein großes Œuvre
    Im Vergleich zu fast allen Zeitgenossen des 15. und 16.Jahrhunderts hat Isaac eine enorme Anzahl an Werken hinterlassen. Diese reichen von den — von ihm besonders häufig vertonten — Teilen der Messe über lateinische Motetten, italienische, französische und deutsche Lieder bis hin zu Instrumentalstücken. In seiner klingenden Hommage an Isaac hat Jordi Savall versucht, dessen schöpferische Vielfalt zu illustrieren. Ausgerechnet die Mess-Sätze sind dabei zwar deutlich zu kurz gekommen, während hingegen die instrumentalen Kompositionen überrepräsentiert sind, insgesamt aber ist ihm eine geglückte und vor allem sehr abwechslungsreiche Mischung von Werken gelungen.
    Musik: "Hora e di maggio"
    Dies war ein Karnevalslied, das Heinrich Isaac in Florenz komponiert hat, auf einen Text des heimlichen Herrschers der Stadt, Lorenzo de’ Medici. "Il Magnifico—Der Prächtige" hatte den gebürtigen Flamen Isaac anwerben lassen und die toskanische Metropole wurde ihm zur zweiten Heimat. Sogar eine Ehefrau vermittelte ihm der Medici-Fürst.
    Zweite Heimat Florenz
    Auch als Isaac im Laufe seiner Karriere in den Dienst des römisch-deutschen Kaisers Maximilian I. trat, blieb Florenz sein Rückzugsort und dort ist er im März 1517 auch gestorben. Beim Habsburger Maximilian hatte er als "Componist und Diener" gewirkt und war mit ihm von der Residenz Innsbruck aus oft im Kaiserreich umhergereist.
    Schon der gesellschaftliche Rang seiner Dienstherren und Förderer lässt die hohe Wertschätzung ermessen, die er in seiner Zeit erfuhr. Allein der auch von Martin Luther gepriesene Josquin Desprez scheint noch ein wenig berühmter gewesen zu sein als Heinrich Isaac. Denn als der Herzog Ercole d’Este in Ferrara einen neuen Kapellmeister suchte, entschied er sich für Josquin. Dieser komponiere besser, beschied Ercoles Beauftragter in dieser Angelegenheit, allerdings sei Isaac viel liebenswürdiger und seinen Musikern gegenüber umgänglicher.
    Als sein verehrter Dienstherr Lorenzo de’ Medici 1492 nach nur sieben gemeinsamen Jahren plötzlich starb, schrieb Isaac eine bewegende Totenklage zu seinen Ehren, auf einen Text von Lorenzos Lieblingsdichter Angelo Poliziano:
    "Quis dabit capiti meo aquam?—Wer soll meine Quelle mit Wasser versorgen? Wer soll die Quelle der Tränen für meine Augen sein, um Tag und Nacht zu weinen?"
    Musik: "Quis dabit capiti meo aquam?"
    Heinrich Isaac ist einer der führenden Vertreter der sogenannten "franko-flämischen Vokalpolyphonie", die in seiner Generation am kunstvollsten ausgeprägt war. Das Ziel der damaligen Komponisten lag im möglichst geschickten Verzahnen mehrerer nebeneinander verlaufender gleichberechtigter Stimmen im musikalischen Satz. Im Vergleich zu anderen bedeutenden Komponisten seiner Zeit, so befand Anton Webern in seiner Isaac-Dissertation im Jahr 1906, sind die einzelnen Stimmen bei ihm viel lebendiger und unabhängiger.
    Ein Opus magnum
    Für die meisten seiner Werke lassen sich Zeitpunkt und Ort ihrer Entstehung nicht rekonstruieren, nur ein paar "Staatsmotetten" für offizielle Anlässe sind datierbar. Und wir kennen das Umfeld, in dem er seinen umfangreichsten Werkzyklus schuf.
    Im Jahr 1507 fand in Konstanz der von Maximilian I. geleitete Reichstag statt. Und im Kontext dieser Versammlung wurde der Hofkomponist Isaac von der Leitung der dortigen Kathedrale beauftragt, sicher in Abstimmung mit dem Kaiserhaus, einen Zyklus von Motetten für die Gottesdienste des Jahres zu komponieren. Diese vierstimmigen Werke sollten auf einstimmigen Melodien basieren, die in Konstanz gesungen wurden. Es ging dabei um das sogenannte Messproprium für jeden Sonntag und jedes Fest im Kirchenjahr, also um die Gesänge im Gottesdienst, die an jedem dieser Tage unterschiedlich sind.Heinrich Isaac hat es allerdings nicht geschafft, den Zyklus bis zu seinem Lebensende zu vollenden. Sein Schüler Ludwig Senfl komplettierte ihn Jahrzehnte später und gab ihn in Nürnberg in drei Bänden heraus. Der Titel der Sammlung lautet: "Choralis Constantinus", also "Konstanzer Choral".
    Jordi Savall hat auf seiner neuen Isaac-CD einen auf dem 18.Psalm basierenden Introitus für den neunten Sonntag vor Ostern berücksichtigt, also den Eingangsgesang zur Messe:
    "Circumdederunt me gemitus mortis—Es umfingen mich die Bande des Todes, die Qualen der Hölle umschlangen mich: Und in meiner Not rief ich zu meinem Herrn, aus seinem Heiligtum hörte er mein Rufen."
    Musik: "Circumdederunt me gemitus mortis"
    Die Ensembles Capella Reial de Catalunya und Hespèrion XXI bilden auf der neuen CD mit Werken von Heinrich Isaac mit fast 30 Musikern ein richtiges Renaissance-Orchester. Allerdings treten sie fast nie alle gemeinsam auf, es gibt viele Varianten in der Besetzung: a cappella-Gesang, teilweise nur von einigen Solisten vorgetragen, nur Blas- oder nur Streichinstrumente oder vokal-instrumentale Mischformen in unterschiedlicher Größe sorgen für immer neue Höreindrücke.
    Vielfältige und klangschöne Aufnahme
    Insgesamt ist die Aufnahme von einem satten Sound geprägt, wie man ihn von Jordi Savall gewohnt ist — ab und an ein klein wenig Opulenz inbegriffen.Wie es bei Produktionen des Labels AliaVox die Regel ist, besticht auch die in einer romanischen katalanischen Kirche aufgenommene Isaac-CD mit einem exzellenten Raumklang und mit einem Booklet in beispielhafter Ausstattung. Viele Fotos und historische Abbildungen ergänzen den in sechs Sprachen gelieferten Text.
    Eine der großartigsten Kompositionen Isaacs beschließt die CD, die Motette "Virgo prudentissima" — ursprünglich für den Konstanzer Reichstag entstanden. Bei der Textfassung, die man aufnahm, handelt es sich aber um eine evangelische Umdichtung nach Isaacs Tod, in der an Stelle von Maximilian I. und der Jungfrau Maria Kaiser Karl V. und Jesus Christus gefeiert werden.
    Musik: anonyme Kontrafaktur, "Christus, filius Dei"
    Dies war der Schlussabschnitt der prächtigen sechsstimmigen Motette "Christus, filius Dei" von dem im Reformationsjahr 1517 gestorbenen Heinrich Isaac. Damit ging die Sendung ‚Die Neue Platte’ im Deutschlandfunk zu Ende, in der Sie heute Ausschnitte aus der CD "Henricus Isaac zur Zeit von Lorenzo de’ Medici und Maximilian I." hören konnten. Die Aufnahme mit La Capella Reial de Catalunya und Hespèrion XXI unter der Leitung von Jordi Savall ist bei AliaVox erschienen, das in Deutschland von PIAS/Harmonia Mundi vertrieben wird.
    Henricus Isaac
    Nell tempo di Lorenzo de'Medici & Maximilian I 1450 - 1519
    Ingeborg Dalheim, Kristin Mulders, Pascal Bertin, Victor Sordo, Marco Scavazza, Christian Immler,
    Pieter Stas, David Sagastume, Lluis Vilamajo, Francesco Garrigosa
    La Capella Reial de Catalunya, Hespèrion XXI
    Leitung: Jordi Savall
    AliaVox LC 13943// AVSA9922 (EAN: 8435408099226)