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"Der Rückhalt für Wulff ist ja nach wie vor da"

Auch wenn jetzt die ersten CDU-Politiker dem Bundespräsidenten den Rücktritt nahelegen, sieht der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth viel Unterstützung für Christian Wulff in der Union. Dahinter stecke das Kalkül, ein angeschlagener Wulff sei immer noch besser als ein neuer Bundespräsident, "von dem man nicht weiß, wer es ist".

Gerd Langguth im Gespräch mit Sandra Schulz | 13.01.2012
    Dirk Müller: Der Druck auf Christian Wulff wird immer massiver. Inzwischen rücken auch die ersten Unions-Politiker von ihm ab, legen dem Staatsoberhaupt einen Rücktritt nahe. Warum sind es jetzt ausgerechnet CDU-Abgeordnete, die der Diskussion neue Nahrung geben? Dies die Frage meiner Kollegin Sandra Schulz an den Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth.

    Gerd Langguth: Na ja, weil die Opposition tut sich ja schwer. Das sieht man ja daran, wie Herr Gabriel ja ständig neue Argumente sucht und einmal von einer Staatskrise spricht und einmal nicht und so weiter. Da sind Unions-Leute unbefangener in dieser Frage, auch wenn man natürlich sagen muss, dass die das gleiche Problem haben, weil ja eigentlich man mit einem Bundespräsidenten nicht so herumargumentiert, wie man das etwa mit einem normalen Politiker tut.

    Sandra Schulz: Sind die CDU-Politiker denn gut beraten, jetzt überhaupt aus der Deckung zu kommen?

    Langguth: Nein, ich glaube nicht. Ich denke, dass die Angelegenheit jetzt langsam dabei ist, sich zu beruhigen. Wir hatten ja merkwürdige Wochen in den letzten Wochen, wenn man sich das mal genau anschaut. Die ersten 14 Tage, als die Affäre um Wulff sich entwickelte, da war es ja schon fast zu Ende, und dann kam ja auf einmal der Hinweis mit der Mailbox, und die wurde dann auch nicht über die "Bild"-Zeitung offengespielt, sondern es kam dann erst mal in einzelnen Wortfetzen über die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" irgendwie an die Öffentlichkeit. Und dann setzte ja wirklich ein eine breite Solidarisierung der Medien zu Lasten von Herrn Wulff und zu Gunsten der "Bild"-Zeitung. Das hat sich jetzt auch langsam erledigt und jetzt stellt man doch fest, dass inzwischen die Presselage so ist, dass man nicht mehr jeden Tag an vorderster Stelle davon berichtet hört. Und ich denke, dass Wulff versuchen wird, die Angelegenheit auszusitzen, und Frau Merkel natürlich auch, weil es kann gar nicht im Interesse von Frau Merkel sein, dass sehr schnell es zu einer neuen Bundesversammlung, zur Wahl eines Bundespräsidenten kommt, denn da hätte die Bundesversammlung nur vier Stimmen Mehrheit und dann ist sozusagen das Ergebnis offen.

    Schulz: Und wer sagt das der CDU-Fraktion?

    Langguth: Na ja, gut. Da muss man natürlich sehen, dass die CDU-Abgeordneten natürlich im Moment auch in den Wahlkreisen sind, und wenn sie dann nach Berlin kommen, dann sind sie natürlich ziemlich sauer, weil denen natürlich in Briefen von Bürgern, in den Sprechstunden und so weiter mitgeteilt wird und gesagt wird, euer Präsident, den ihr gewählt habt, der hat aber Mist gebaut. Da müssen sich natürlich die CDU-Leute mehr damit identifizieren mit dem, was Wulff gemacht hat, als das etwa andere Politiker tun müssen.

    Schulz: Kann man das denn auch eins zu eins übersetzen: Der Rückhalt, der jetzt bröckelt für Bundespräsident Christian Wulff - bröckelt im gleichen Maße auch der Rückhalt für die Kanzlerin Angela Merkel?

    Langguth: Nein. Das ist etwas völlig anderes. Erstens muss ich sagen, der Rückhalt für Wulff ist ja nach wie vor da. Es sind einzelne Stimmen, die man nicht überschätzen sollte, die aber natürlich auch zum Teil aus einem Frust herauskommen. Ich habe ja die Gründe eben kurz angedeutet. Was die Kanzlerin Merkel angeht: Die ist ja ausweislich von Umfragen im Moment wieder in ziemlich sonnigen Höhen. Das hängt aber damit zusammen, dass sie ja auch durch europäische Gipfel und anderes mehr als tüchtige Interessenvertreterin Deutschlands profiliert hat. Jedenfalls die Umfragen zeigen das. Na ja, und sie hat sich natürlich insgesamt so verhalten, dass sie sich nicht mit allen kleinen Nickeligkeiten, die Herrn Wulff betreffen, identifiziert, wie ich überhaupt sagen möchte: Ich glaube, Angela Merkel dürfte diese Schnäppchenjägerei doch ziemlich zuwider sein.

    Schulz: Was meinen Sie mit Schnäppchenjägerei?

    Langguth: Das ist jetzt natürlich ein polemischer Begriff und vielleicht sollte ich ihn jetzt auch wieder zumindest teilweise zurücknehmen. Aber na ja, beispielsweise wenn ich Urlaub bei Freunden mache und wenn ich dann auch ganz billige Kredite bekomme, so empfinden das jedenfalls viele Leute als Schnäppchenjägerei. Und natürlich muss man sagen, der Bundespräsident hat nichts Justiziables getan. Auch das, was er an Gründen geliefert hat, reicht nicht für irgendein Rücktrittsverfahren aus. Auch das will ich bei der Gelegenheit sagen. Aber nicht alles, was ein Normalbürger tun kann, kann ein Politiker tun, und ich glaube, Merkel weiß das für sich auch, und bisher hat es in der langen Amtszeit von Frau Merkel noch kein einziges Beispiel gegeben, wo sie hier ein Überschreiten der Grenze vorgenommen hat.

    Schulz: Aber gerade die jüngste Entwicklung, die geht ja in die Richtung, dass es eben nicht Stimmen aus den Medien sind, keine kritischen Zeitungsberichte oder Radiobeiträge, sondern dass es Stimmen aus der Unions-Fraktion sind, die sich jetzt kritisch in Richtung Wulff äußern. Wird es für den Präsidenten nicht doch eng?

    Langguth: Das ist aber ganz normal. Außerdem muss man sagen, nicht jeder Bericht stimmt auch von vornherein, wenn es heißt, da haben sich irgendwelche Leute in der Union zusammengefunden, die über die Nachfolgefrage diskutieren. Das kann man ja auch, um es mal ganz salopp zu sagen, erfinden, solche Ereignisse. Nein, dass es in der Union Leute gibt, die natürlich sich auch ein Stück weit genieren für das, was da passiert ist, das ist ja auch völlig verständlich und das ist auch klar. Aber ich denke nicht, dass jetzt die Unterstützung Wulffs von Seiten der Union, dass die jetzt auf einmal weg ist. Die Insider wissen ja alle, was das für politische Bedeutung hat, wenn da eine neue Bundesversammlung her müsste und dann zum Schluss irgendjemand gewählt würde, der nicht das politische Vertrauen der Union hat.

    Schulz: Kann es also sein, wenn ich Sie so argumentieren höre, dass möglicherweise Christian Wulff durchaus zurücktreten wollte, dass er aber nicht durfte, weil die Kanzlerin es ihm nicht erlaubt hat?

    Langguth: Nein. Ich glaube, er hat in der Tat vielleicht natürlich im stillen Kämmerlein schon mal an Rücktritt und Konsequenzen des Rücktritts gedacht. Aber ich glaube, er weiß ja um seine rechtliche Stellung und er kann ja gar nicht belangt werden. Ein Minister kann ohne weiteres vom Kanzler oder von der Kanzlerin entlassen werden, aber eben nicht ein Bundespräsident. Da gibt es nur die Präsidentenklage, die aber nur dann wirksam werden könnte, wenn er sich gegen Bundesgesetze verhalten hat, oder gar gegen das Grundgesetz, und das ist eben nicht der Fall. Deswegen: Wenn er stur bleibt, dann wird er auch nicht zurückgetreten werden können. Natürlich: Wenn die Kanzlerin ihm sagen würde, hör mal zu, Christian, es ist besser, du trittst zurück, dann wird es eng für ihn ganz zweifelsohne. Aber ich glaube auch nicht, dass sie das machen wird, denn sie muss natürlich das nüchterne Kalkül haben, dass es besser ist, einen angeschlagenen Wulff zu haben, als einen neuen Bundespräsidenten zu bekommen, von dem man nicht weiß, wer es ist.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.