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Der satirische Sportjahresrückblick
Dreck, Dreck, Dreck

Das Sportjahr 2013 schleppt sich über die Ziellinie, voller stupider Krawalle, falscher und echter Tränen und mit einem deutschen (Sport-)Papst.

Von Jürgen Roth | 28.12.2013
    Der Autor Jürgen Roth
    Der Autor Jürgen Roth (picture-alliance/ dpa / Hermann Wöstmann)
    Nein, nein, keine Bange, das sich über die mit einer von der FIFA spendierten Spraydose gezogene Ziellinie schleppende Sport- und Schwindeljahr 2013 war nicht bloß "ein ganzes Jahr Geburtstagsfeier", wie das Fachmagazin Der tödliche Paß ächzte, "mit einer nicht enden wollenden Litanei wieder und wieder in Bild und Text heraufbeschworener Anekdoten und Porträts, Kuriositäten und Rekorde", aus Anlaß des fünfzigsten Wiegenfestes der Fußballbundesliga nämlich, die leider auf keine Frühverrentung hoffen kann.
    Sondern dieses nachgerade famose Jahr voller Schwergaunereien, horriblen Heucheleien und infernalischen Infamien war eben obendrein derart überreich an Deppenstoff, daß Karl Kraus seine berühmte Zeit- und Streitschrift Die Fackel täglich hätte füllen müssen, konsterniert und entsetzt ob der "selbstverständlichen moralischen Verworfenheit" in der sogenannten Welt des Sportes, ob der "Schweinerei, die in allen Rubriken dichtet", und ob des "Drecks des Lebens", der sich in den Sphären der professionell-industriellen Zurichtung der Leibesertüchtigung dubaiturmhoch ablagert.
    Eisenharte Eiskurvenqueen
    Im ohnehin grauenhaften Monat November zum Beispiel spannte die bedauerlicherweise allzu bekannte und eisenharte Eiskurvenqueen Claudia Pechstein, weil sie unsereinem noch nicht hinreichend auf den Keks gegangen ist, die Gewerkschaft der Polizei ein, um ihren Schadensersatzprozeß gegen den Eislaufweltverband ISU zu forcieren, der die Tadellose vor vier Jahren gesperrt hatte. Die Trottel von der GdP machten brav mit. Läppische 3,9 Millionen Euro Schmerzensgeld erheischt die unersättliche Nervensäge aus Berlin nun. Während wir an Herbert Wehner denken mußten, der im Bundestag einen besonders törichten Zwischenrufer mit den Worten "Mann, Sie sind doch nicht ganz voll!" abgewatscht hatte, erstattete unsere Unermüdlichste ferner gegen den Vater ihrer Gegnerin Stephanie Beckert Anzeige wegen Beleidigung. Denn der hatte im Rahmen der deutschen Eisschnellaufmeisterschaften geäußert: "Lieber ein dritter Platz als ein geschummelter erster. Die ist doch eh voll."
    Diskusschleudernder Diskursberserker
    Ja, so soll es sein. So soll es zugehen in dieser sportiven Welt der, abermals mit Karl Kraus zu reden, "vollständigen Verjauchung" sämtlicher Köpfe und Institutionen.
    Um die allgemeine Narretei und Niedertracht weiter anzuheizen – es war des stupiden Krawalls halt noch immer nicht genug –, schmiß Frau Pechstein praktisch zur gleichen Zeit eine Petition gegen die sogenannte Athletenvereinbarung ins Rund. Als ihr prominentester Fürgroßsprecher stieg sogleich der Diskusschleuderer und Diskursberserker Robert Harting in den Ring – jener Testosteronbolzen, der mal die Freigabe von Doping fordert, mal staatlich anerkannte Dopingopfer verhöhnt und ihnen recht unverblümt Gewalt androht. Wie schrieb Adorno? „Zum Sport“ gehöre "der Drang, Gewalt anzutun […]. Darum gehört er ins Reich der Unfreiheit, wo immer man ihn auch organisiert."
    Kinder mit Anabolika vollgestopft
    Eben. Seit der Veröffentlichung der sportpolitisch höchst unliebsamen, im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft erstellten Studie Doping in Deutschland kann niemand mehr leugnen: „Sie haben es alle getan, hüben wie drüben." – "Der organisierte Sport in Deutschland ist blamiert", hieß es in der taz des weiteren, auch im hehren freien Westen wurden die Aktiven, flankiert durch ansehnliche Summen aus staatlichen Kassen, systematisch und flächendeckend gemästet, sogar Kinder mit Anabolika vollgestopft. "Fest steht", erklärte Ines Geipel von der Doping-Opfer-Hilfe, "daß es die deutsche Einheit im Denken der Dopingakteure seit den frühen siebziger Jahren gegeben hat" – worauf der Gesetzgeber in Berlin wohl jetzt mal zu reagieren gedenkt.
    Was den Vollbrocken Harting, Robert aus dem fernen Osten des Landes einen feuchten Kehricht scheren dürfte. Viel lieber tadelte der unter Mitteilungsdiarrhoe leidende Geistesgigant anläßlich seiner erneuten Wahl zum Sportler des Jahres den Bundesonkel Gauck für dessen Entschluß, im kommenden Februar nicht nach Sotschi zu brummen, und gackerte herum, es gelte, "Deutschland sportlich zu reformieren". Aha. "Wir müssen eine deutsche Sportkultur entwickeln" – weil die gerade noch gefehlt hat, mitsamt kruppstahlharten, lederzähen, windhundflinken Pimpfen und Pimpfinnen in den Kinderhorten. "Wenn das nicht passiert", so Harting, "werde ich mit der Faust auf den Tisch hauen."
    Und wir werden spätestens dann ins sportfreie Land hinter den sieben Bergen in der Sackmulde bei Alfeld auswandern.
    "Man wundert sich"
    Anders als die heuer neuerlich medial auffällig gewordenen Radsportlumpen Jan Ullrich, Erik "Tränen lügen doch" Zabel, Stefan "Sumpf" Schumacher und Kohorten von international tätigen Epo-Mafiosi hatte ein gewisser Herr Thomas Bach keinen Grund, in den Sack zu hauen. "Den größten Einzelerfolg feiert auf internationaler Bühne […] kein Athlet, sondern ein Funktionär", meldete vor ein paar Tagen die Leipziger Volkszeitung rückschauend und allen Ernstes. "Fechtolympiasieger Thomas Bach wird als erster Deutscher zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees gewählt." Punkt. Hurra. Ein Deutscher – und noch dazu ein Bach – hat endlich den Platz an der Sonne eingenommen. Es ist alles zu schön.
    Beziehungsweise: "Man wundert sich", warf die ehemalige Weitspringerin Heidi Schüller ein, "mit welch sonderbarer Biographie, mit welch sonderbaren Verbindungen, die man eingegangen ist, man dieses Amt bekommt. Offensichtlich ist er der richtige Strippenzieher" – zumal als FDP-Mitglied, als ehemaliger Siemens-Berater, als ehemaliger Präsident der antisemitischen arabisch-deutschen Handelsgesellschaft Ghorfa und als Zögling des kuwaitischen Scheichs Ahmed Al-Sabah, über den die WDR-Sendung Monitor zu berichten wußte, er, der Bach zu einer "Art Papst des Weltsports" gemacht habe, sei "ein einflußreicher Strippenzieher, der jüngste Abstimmungsergebnisse im Weltsport schon kannte, bevor überhaupt gewählt wurde. Sogar die genaue Stimmenzahl. Recht bemerkenswert irgendwie."
    Nicht minder bemerkenswert finden wir, daß der hochverdienstvolle Korruptions- und Dopingbetrugsbekämpfer Thomas Bach im Idiotensportjahr 2013 zudem mit der Auszeichnung "Goldener Schlüssel des IOC" geehrt ward, vermutlich also den Generalschlüssel für die Tresore in Lausanne in die saubere Hand gedrückt bekam. Die Verleihung des Nobelpreises für Sportfunktionärswesen an Herrn Thomas Bach läßt nicht mehr lange auf sich warten. Hut ab vor so einem begnadeten Mann!
    Musterstaat Katar
    Hut ab desgleichen vor dem "Drecksverein FIFA". Drecksverein? Das haben wir nicht gesagt. Das stand in der taz: "Die FIFA ist ein Drecksverein." Der beispielsweise zunächst eine Fußball-WM dem Musterstaate Katar zuschustert und dann seelenruhig zuschaut, wie Gastarbeiter, die die Spielstätten errichten, versklavt werden und verhungern oder auf andere Weise zu Tode kommen. Laut der britischen Tageszeitung The Guardian sind seit 2010 allein achthundert indische Arbeiter elendig verreckt.
    Was aber rumpelte aus dem Edelschädel des Grandseigneurs Joseph Blatter heraus? "Die Kritik, vor allem die der europäischen Medien, an der WM-Vergabe ist völlig überzogen und ungerechtfertigt." – "Es sei nicht fair", fuhr er www.sport1.de zufolge fort, "wie die internationalen Medien im Vorfeld über diese WM-Runde in einem arabischen Land berichten, ohne mit den Umständen in diesem Land vertraut zu sein." Und während die Schweizer Intellektualbombe anschließend bei einem Zürcher Bezirksgericht ein Veröffentlichungsverbot für eine Blatter-Karikatur erwirkte, quallte der damische Suppenkasper Franz Beckenbauer, dem langsam vom Internationalen Gerichtshof verboten werden sollte, das Maul aufzusperren, in irgendein Mikrophon hinein: "Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen da frei rum."
    Keine Lust mehr aufs Volk
    Mit derartigem obszön-herrenreiterhaften Dreck hatte Franz Beckenbauer dem verschweinten Sportjahr 2013 den goldenen Schmutzkübel aufgesetzt; weshalb er sich, nachdem in Oberbayern auf Grund tiefsitzender Bedenken gegenüber dem IOC eine nochmalige Bewerbung um Olympische Winterspiele durch Volksentscheid abgelehnt worden war, mit den folgenden unfaßbaren Sätzen nicht mehr selber zu überbieten vermochte: "Ich bin mir nicht sicher, ob man zukünftig immer das Volk befragen sollte. Früher hat es auch ohne Bürgerentscheide Großereignisse gegeben. Die Gegner sind eben immer aktiver. Die gehen alle zur Wahl hin und nehmen noch ihre Großmutter mit. Das wird ihnen noch leid tun." Sowie: "Die bringen in ihrer Argumentation ja sogar das Internationale Olympische Komitee und den Weltfußballverband FIFA durcheinander. Selbst diese Grundbegriffe haben sie verwechselt. Diese Verbände sind nicht korrupt."
    Und ein Jürgen Klopp, der mit gefletschten Zähnen barbarenartig Schiedsrichter anpöbelt und angeht, ist nicht widerlich. Und das Gefasel vom "Judas Götze", der als Neubayer in Dortmund ein Tor schoß, ist nicht pathologisch. Und das triumphalistische Gedröhne im Spiegel nach dem Champions-League-Finale in Wembley – "Deutschland beherrscht den Kontinent ökonomisch – und nun auch noch im Fußball" –, es ist nicht ekelerregend.
    Steuerkünstlers Uli
    Und das wochenlange Theater rund um den Heilsbringer Pep Guardiola – infolge der allersinnvollsten Ablösung von Jupp Heynckes – sowie rund um die "Naturgewalt" FC Bayern – "Mal eben mit den Bayern mitspielen zu wollen ist, wie die Sonne zu berühren", blökte die Süddeutsche Zeitung –, es ist nicht lachhaft. Und das schmierige, tränenreiche Gebaren des Steuerkünstlers Uli "Ich könnte euch heute alle umarmen" Hoeneß auf der Jahreshauptversammlung des FCB – es ist nicht verlogen.
    Nein, loben wollen wir uns all das. Und loben wollen wir uns im entzückten Rückblick Stephan Kieslings Banditentor in Hoffenheim, das zweite seiner Art in der Bundesligageschichte nach Thomas Helmers Phantomtreffer gegen den 1. FC Nürnberg vom 23. April 1994. Und loben wollen wir uns den FCN, den Club – und zwar dafür, daß er es fertigbrachte, selbst die legendäre Tasmania aus Berlin zu toppen und in der Hinrunde keinen einzigen Sieg einzuheuern.
    Sowie loben wollen, ja müssen wir: den Formel-1-Gurker Sebastian Vettel, der seinen und den Erfolg seines Teams damit begründete, daß "die anderen die Eier schon in den Pool hängen", derweil er und die Mechaniker von Red Bull noch am Auspuff herumschraubten. Doch, dafür gebührt ihm der Preis des "Goldenen Vettels", den der australische Fernsehsender Fox Sports zum Jahresausklang auslobte – "für besonders unsportliches und herausragend egoistisches Verhalten im Sport".
    Lob, Lob, Lob. Lob der Formel 1, Lob dem Fußball, Lob dem Sport an und für sich! Hut ab! Hut ab für dieses Jahr und für diese Leistungen!