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Der Schönheit des Widersprüchlichen verpflichtet

Ruth Berghaus war eine der profiliertesten und interessantesten Protagonistinnen des Regietheaters. Dass sie als eine der ersten Frauen in diese Männerdomäne einbrach, hat sie selbst nie zum Thema gemacht. Und doch waren es oft die Frauenfiguren, deren Zeichnung der 1996 verstorbenen Berghaus mit besonderer Schärfe gelang.

Von Stefan Zednik | 02.07.2007
    "Allein, weh, ganz allein", singt Elektra bei Richard Strauss . Und so mag sich auch Ruth Berghaus am 17. Februar 1967 in der Ost-Berliner Staatsoper gefühlt haben. Ein Buhsturm war über sie und ihre Inszenierung der Oper hinweggefegt. Berghaus hatte das Stück seziert, genau untersucht, die psychischen Verwundungen der Figuren überdeutlich gezeigt, soziale Bezüge herausgearbeitet und die Geschichte auf einer Bretterbühne mit den verfremdenden Mitteln des Brecht'schen Theaters in grellweißem Scheinwerferlicht in Szene gesetzt.

    Die Empörung schlug Wogen, der Intendant musste sich vor dem Zentralkomitee der SED rechtfertigen, die Inszenierung wurde verändert, gleichwohl nach nur fünf Aufführungen abgesetzt. Und doch begann mit dieser Arbeit die internationale Regiekarriere einer Frau, die eigentlich vom Tanz kam. 1945 war Ruth Berghaus eine der ersten, die, damals 19 Jahre alt, sich bei Gret Paluccas berühmter, gerade wiedereröffneter Dresdner Tanzschule um die Aufnahme bewarb.

    "Palucca fragte mich, warum ich in die Schule möchte, und da sagte ich, weil ich tanzen möchte. Da hat sie mich genommen, und hier in der Schule war auf Anhieb das da, was ich eigentlich wollte. Das entsprach meinen Vorstellungen von mit sich, dem Körper, mit der Bewegung sich auszudrücken, das hat mich fasziniert. Und ich habe überhaupt um mich herum nichts mehr gelebt oder erlebt. Ich habe diese Schule gelebt von früh um Acht bis abends um Zehn, trainiert, getanzt und alles, was nichts mit Kunst oder Tanz zu tun hat, gab es für mich gar nicht."

    Ihr Talent wird schnell entdeckt, sie beginnt eigene Choreografien zu gestalten, wird Meisterschülerin an der Akademie der Künste, lernt in Berlin Brecht und den Komponisten Paul Dessau kennen. Dessau, der wie Brecht im Exil in den USA war, vertont dessen Texte zu Opern und schreibt Ballettmusiken für Ruth Berghaus. Dessau und Berghaus werden auch privat ein Paar, das für das Musiktheater lebt und arbeitet.

    Doch 1962 kommt es zu einer entscheidenden Wende im künstlerischen Leben der überzeugten Sozialistin: Ihr an der Pallucca Schule erarbeitetes Tanzstück "Hände weg!" wird nach der Generalprobe verboten.

    "Da habe ich gesagt: Das ist sinnlos. Es war ein harter Bruch für mich, ein ganz schlimmer Einschnitt in meinem Leben, und ich war total verzweifelt. Ich wusste auch nicht ,was ich machen sollte, also wie ich das anfassen sollte. Ehe ich mich auch damit abgefunden habe, dass das so ist, dass dieser klassische Tanz hier bevorzugt wird und der moderne Tanz Nebenfach ist, das hat Jahre gedauert."

    Ruth Berghaus versucht, das bei Palucca und Brecht Gelernte auf der Opernbühne und später auch als Leiterin des Berliner Ensembles im Sprechtheater anzuwenden, und schafft damit einen unbequemen Gegenpol zum realistischen Musiktheater von Walter Felsenstein und seinen Nachfolgern, vor allem zu Harry Kupfer. Zunehmend arbeitet sie auch außerhalb der DDR, ab 1980 vor allem in Frankfurt. Auch hier erregen sich die Gemüter zunächst heftig, und so bleibt Berghaus eine Reizfigur im Spagat zwischen schmähender, oft verletzender Kritik und höchster Anerkennung.

    Als mit Wagners "Götterdämmerung" 1987 ihre letzte Frankfurter Arbeit Premiere feiert und damit die Ära Michael Gielens als Generalmusikdirektor endet, huldigt das Publikum dem Team 75 Minuten lang mit stehenden Ovationen. Sie hat sich durchgesetzt und mit ihren folgenden Arbeiten, ob Büchners "Dantons Tod" oder den italienischen Opern, denen sie sich zunehmend widmet, hat sich ihr Stil etabliert. "Die Schönheit des Widersprüchlichen" charakterisiert Berghaus selbst diesen Stil, der bei allem analytischen Tiefgang auch aus einer ganz anderen Quelle schöpft:

    "Ich finde, dass wir manchmal beinahe zuviel theoretisieren. Man darf nicht vergessen, dass das Theater auch noch was vom Wanderzirkus haben sollte, denn der war ja gar nicht so schlecht."