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Der Schriftsteller Joseph Roth
Vom Untergang der alten Welt

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs endete auch die alte Donaumonarchie. Diese Zäsur prägte das Werk von Joseph Roth. In den Verwirrungen und Enttäuschungen seiner Zeit war er selbst ein Zerrissener. Vor 125 Jahren, am 2. September 1894, wurde der Schriftsteller in Galizien geboren.

Von Beatrix Novy | 02.09.2019
    Der Schriftsteller Joseph Roth spaziert an der Seite einer Frau durch Paris.
    Der Schriftsteller Joseph Roth verbrachte seine letzten Lebensjahre in Paris. (dpa / picture-alliance / Imagno/Austrian Archives)
    Wien, im November des Kriegsjahres 1916. Eine schwarze Kutsche zieht durch die Innere Stadt. Zehntausende stehen am Straßenrand. Das Begräbnis Kaiser Franz Josefs I., der doch immer da gewesen war, markierte eine Wende. Der Krieg tobte noch, aber hier war er bereits, der Untergang. Das spürte auch Joseph Roth:
    "Als er begraben wurde, stand ich, einer seiner vielen Soldaten der Wiener Garnison, ein Glied in der langen Kette, welche die Straßen säumte. Der Erschütterung, die aus der Erkenntnis kam, dass ein historischer Tag eben verging, begegnete die zwiespältige Trauer um den Untergang eines Vaterlandes, das selbst zur Opposition seine Söhne erzogen hatte. Und während ich es noch verurteilte, begann ich schon, es zu beklagen."
    Diese ambivalente Sehnsucht fand sich später wieder in Joseph Roths bekanntesten Roman, "Radetzkymarsch". Ob er als 20-Jähriger wirklich in feldgrauer Uniform Spalier für den Kaiser gestanden hatte, ist nicht gewiss - wie vieles in seinem Lebenslauf, den er freimütig als ein Stück Fiktion handhabte. Selbst die Tatsache, dass er am 2. September 1894 in Brody (*) geboren wurde, einer jüdisch geprägten Stadt in Galizien, ersetzte er zeitweise durch die Behauptung, es sei Schwaby im Ungarischen gewesen.
    "Es gibt kein schwereres Los als das eines fremden Ostjuden in Wien."
    Das hatte der vaterlose und von einem Vormund unterstützte Joseph Roth erfahren, als er 1913 zum Studieren in die Hauptstadt kam, wo Geist, Kultur, Lebenskunst und Antisemitismus gleichermaßen allgegenwärtig waren. Hier begann er zu schreiben:
    "Ich fühle, ich habe Talent."
    Und er wurde heimisch unter den Literaten: also im Kaffeehaus. Nach dem Krieg erprobte er sich, zusammen mit Egon Erwin Kisch und Alfred Polgar, bei der glücklosen Zeitung "Der Neue Tag", und er wechselte, weil die Zeiten so schlecht waren, 1920 nach Berlin. Wie viele andere auch.
    "Jetzt lese ich gerade, wunderbar! Joseph Roth, da gibt‘s eine neue Biografie, da kommen alle Berliner natürlich vor oder die Prager selbstverständlich, von Kafka angefangen, das ist eine Achse Wien-Prag-Berlin!", so schwärmt der Architekt Gustav Peichl. Ein wahrer Pendelverkehr von Autoren und Künstlern blühte damals zwischen den Städten, also zwischen Café Herrenhof und Café des Westens.
    Roth beschrieb Berlin in Reportagen und Feuilletons
    Roth liebte Berlin nicht, umso intensiver und treffender beschrieb er es in den zahllosen Reportagen und Feuilletons, die seinen Ruhm, neben den Erzählungen und Romanen, die seinen Nachruhm begründeten. Ganz traditioneller Erzähler, ideologisch nie wirklich festzulegen, passte er Sprache und Ton seinen Sujets und Haltungen an, setzte dem Schtetl mit "Hiob" ein Denkmal, schilderte distanziert in "Hotel Savoy" gespenstisch verlorene Nachkriegsseelen, während über seinem berühmten "Radetzkymarsch" der gemächliche Klang der verlorenen Welt von Gestern schwebt, die sein Freund Stefan Zweig verewigt hatte. Ihm schrieb Joseph Roth am 30. Januar 1933, als er die Welt, zu Recht, abermals zugrunde gehen sah:
    "Inzwischen wird Ihnen klar sein, dass wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten - unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet - führt das Ganze zum neuen Krieg. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert."
    Am selben Tag flüchtete Joseph Roth, inzwischen ein schwerer Trinker, aus Deutschland, nach Frankreich, Holland, Polen. Seine Frau Friedl, deren psychische Krankheit ihm das Herz gebrochen hatte, musste er zurücklassen. Seine Beziehung zur Berliner Gefährtin Andrea Manga Bell scheiterte, ebenso wie eine rasche Liebschaft mit der auch emigrierten Autorin Irmgard Keun. Roth verfiel sichtbar - aber er schrieb. Mit dem Roman "Die Kapuzinergruft" beschwor er noch einmal den Untergang der alten Welt.
    "Über den Gläsern, aus denen wir übermütig tranken, kreuzte der unsichtbare Tod schon seine knochigen Hände."
    Am 27. Mai 1939 starb Joseph Roth, noch nicht 45 Jahre alt, in einem Pariser Armenhospital. An seinem Grab standen Juden, Katholiken, Kommunisten, Monarchisten. Alle hielten sie ihn für einen der Ihren.
    (*) In der ersten Version des Beitrags stand hier versehentlich eine falsche Ortsbezeichnung. Wir haben den Fehler im Onlinetext und in der Audiofassung korrigiert.