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Der Sieg des Bösen

Nero hat sich in Poppea verliebt. Erbarmungslos lässt er seine eigene Frau und Poppeas Gatten aus dem Weg räumen. "L’incoronaziona di Poppea" von Claudio Monteverdi schildert die dämonische Kraft der Liebe. Robert Carsen hat die Oper am Theater an der Wien auf die Bühne gebracht.

Von Frieder Reininghaus | 22.01.2010
    Zu den einleitenden Instrumentaltakten betritt die Glücksgöttin Fortuna im glitzernden Kostüm das Parkett. Sie macht Virtù, der Tugend, ihren Platz in der ersten Reihe streitig. Die beiden zanken singend auf der Bühne weiter. Doch dann kommt Amor, die in Hosenrolle gesteckte Liebesgöttin, und reißt das Gesetz des Handelns an sich. ErSieEs ist Supervisor eines großen Menschenversuchs, der mit den großen Versuchungen vonstattengeht: Liebe und Macht. Wobei die Liebe, mit der sich der eigentlich gut verheiratete Kaiser Nero und die mit Ottone liierte Poppea verbinden, von Gian Francesco Busenellos hochrangigem Libretto uneingeschränkt der erotisch-sexuellen Sphäre zugeordnet wird, dann allerdings für Familie, Hofstaat und Imperium weitgehende Folgen zeitigt.

    Robert Carsen verzichtet auf alle Insignien von Herrschaftsarchitektur, kommt also ohne Anspielungen auf römisch-antike beziehungsweise klassizistische Paläste oder moderne Kanzleramtsbauten aus. Er lässt die Bühne weitgehend leer, hüllt das Dramma musicale von 1642 in roten Theatersamt: Ein großer Überwurf für das immer wieder an zentraler Stelle positionierte Gran Lit ist aus diesem Stoff und ein großer Vorhang. Dieses Insignium verflüchtigter Herrscher- und Theaterpracht wird im Hintergrund der Bühne auf unterschiedliche Weise so gefaltet, dass es die verschiedenen Räume und Ortswechsel andeutet: Poppeas Wohnung, wo der folgenreiche "Seitensprung" stattfindet; die Amtsräume des kaiserlichen Palasts, das Schlafgemach der betrogenen Kaiserin Ottavia, die das prominenteste Opfer des Aufstiegs der Poppea aus dem Sündenpfuhl zur Staatsspitze wird: In der Oper trennen diesen kleinen, aber entscheidenden Unterschied knappe vier Stunden.

    Mit Juanita Lascarro in der Titelpartie verfügt die Wiener Poppea-Produktion über eine Protagonistin, die mit warmer Sopranstimme die doppelbödige Rolle exzellent beglaubigt. Jacek Laszczkowski als jähzorniger und ganz auf Selbstverwirklichung erpichter Imperator kann ihr an Kraft und Lautstärke überlegen sein, aber auch herrlich schmeicheln oder boshaft-grotesk fisteln. Nur einmal müssen sie unter ergiebigen Liebesschwüren auf dem Weg zur dauerhaften Verbindung Abschied nehmen:

    Der Zusammenprall der jungen Leiber von Nero und Poppea fordert Opfer. Sie läßt ihren bisherigen Lover kalt abperlen - und dieser Otto ist so doof, dass er sich für die Attentatspläne der Kaiserin instrumentalisieren und dabei auch noch erwischen läßt. Die Hinrichtung wird ihm, wie auch seiner an der Verschwörung beteiligten neuen Flamme, durch die gute Laune des zur Heirat mit Poppea schreitenden Imperators erlassen. Der hat sich gerade von seinem Lehrer emanzipiert, indem er diesen zum Selbstmord zwang. Seneca stellt sich dem Unausweichlichen mit stoischer Ruhe - und David Pittsingers profunder Baß ist dabei eine Wohltat in der sonst vorherrschenden Konkurrenz der hohen Stimmen. Vor dem Philosophen liegt die Aussicht dauerhaften positiven Ruhmes: einzig in seinen Szenen fehlt der ansonsten für die Begrenzung des Horizonts sorgende rote Vorhang. Mit denkbar größter Akkuratesse ist diese Produktion bis zu den kleinen Handbewegungen und den Blicken der Sängerdarsteller ausgefeilt - alles "stimmt".

    Differenziert und ohne Theaterblutspritzereien stellt Robert Carsen die Gewaltverhältnisse dar: Seneca geht einfach ab, wie später auch die alte Kaiserin; aber einer der jungen Männer aus der Palastwache muss auf dem Höhepunkt einer Orgie dran glauben. Nerones Spielchen mit ihm in der Badewanne überlebt er nicht. Die präzise Personenführung des durchweg gut bis sehr gut singenden Sängerteams steigert die Wirkung der anrührenden Klagen über Liebes- und Landesverrat ebenso wie die Übermütigkeiten der sexuell Erfolgreichen und die burlesken Momente, für die vor allem Poppeas Amme sorgt. Dabei zieht das Balthasar Neumann Ensemble allemal nicht nur mit, sondern gibt mit seinem Willen zur Dynamisierung und Differenzierung Ton und Takt vor. So rundet sich die neue Wiener Poppea zu einer der raren, insgesamt runden Meisterinszenierungen der Gegenwart.