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Der Skandal wird heruntergespielt

Die Verbotslage der UV-Blutbestrahlung sei bis 2011 nicht eindeutig gewesen. Mit dieser Aussage im Deutschlandfunk sorgte der für den Sport zuständige Staatssekretär Christoph Bergner für Verwunderung.

Von Robert Kempe | 26.02.2012
    Am Dienstag lädt das Bundesinnenministerium, BMI, zu einem "Runden Tisch" in Berlin um mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft langfristig die Finanzierung der Nationalen Antidoping-Agentur, NADA, zu beraten. Die Begleitumstände des Termins sind brisant, denn die Vorkommnisse am Olympiastützpunkt Erfurt werden sicher eine Rolle spielen. Der Sportmediziner Andreas Franke hatte als Vertragsarzt des OSP Erfurt, das Blut von mindestens 28 Athleten mehrere Jahre mit einer UV-Bestrahlung behandelt. Eine nach Regeln der Welt-Antidoping-Agentur, WADA, seit sieben Jahren verbotenen Methode, so erklärte es Generaldirektor David Howman in mehren deutschen Medien, weil der Gebrauch von Blut im Sport seit jeher nicht erlaubt sei. So verwunderten die Aussagen des für den Sport zuständigen Staatssekretärs Christoph Bergner, der in einem Interview in diesem Sender über eine nicht eindeutige Verbotsrechtslage sprach, obwohl sich die Dopingbekämpfer national wie international einig sind. Mit seinen Äußerungen irritiert Bergner auch seine Parteikollegen. Der sportpolitische Sprecher der CDU, Klaus Riegert:

    "Mich überrascht, dass es da Unstimmigkeiten gibt, weil ich auch davon ausgegangen bin, das jegliche Manipulation mit Eigenblut nicht erlaubt ist. Dass es da aber offensichtlich Grau- bzw. Scharz-oder Weißseiten gab, war mir so bisher nicht bekannt. Ich denke, dass wird man aber aufklären können."

    Für den Endokrinologen Martin Bidlingmaier ist die Sache eindeutig. Der Münchner ist einer der Mitentwickler des bahnbrechenden Tests auf das Wachstumshormon HGH. Als Experte sitzt er im List-Komitee der WADA, das für die Verbotslisten zuständig ist. Bidlingmaier kann die Diskussionen um eine jahrelang unklare Verbotslage nicht verstehen.

    "Also angesichts der klaren Äußerungen in dem Kapitel im WADA-Code, wundert mich die Debatte natürlich schon, weil eigentlich nicht nachvollziehbar ist, dass man sich angesichts der dortigen Beschreibungen auf den Standpunkt stellen kann, man hätte nicht verboten, dass mit Blut experimentiert wird. Das scheint mir etwas ein interessengeleiteter Analphabetismus zu sein. Weil die eigentliche Aussage, der eigentliche Geist des WADA-Codes in diesem ersten Paragraphen eigentlich klar sehr ausgedrückt ist."

    BMI Staatssekretär Bergner, im Ehrenamt Präsident des SV Halle, begründete seine davon abweichende Aussage in Teilen mit dem Verhalten der NADA. Diese habe 2007 auf eine Anfrage des Erfurter OSP-Leiters zu dieser Methode nicht klar Stellung bezogen. Die NADA weisst dies kurz vor dem runden Tisch diplomatisch zurück. Man habe sich immer strikt gegen eine Eigenblutbehandlung ausgesprochen, teilte die NADA schriftlich mit. An einen Arzt wäre, eine Antwort sicher fachspezifischer erfolgt, doch Herr Franke habe bei der NADA nie angefragt, so die Bonner Agentur. Zwei sportrechtliche Verfahren gegen Athleten hat die NADA bisher eröffnet, die nächsten sollen demnächst folgen.

    Unter der Woche bekräftigte das BMI noch einmal die Aussagen Bergners, erst ab 2011 sei die in Erfurt praktizierte Methode eindeutig verboten gewesen. Warum man eine andere Auffassung als WADA und NADA vertrete, erklärte das BMI auf Deutschlandfunk-Anfrage nicht.
    Dagegen macht Martin Bidlingmaier, Mitglied des List-Komitees der WADA noch einmal deutlich, dass man:

    "Aus der Tatsache, dass der Paragraph präzisiert wurde, nicht rückwirkend schließen kann, dass vorher diese Blutmanipulationen erlaubt waren. Es ging vielmehr darum, einfach nochmal wirklich unmissverständlich für alle klarzustellen, dass da kein Interpretationsspielraum besteht das Blutmanipulationen – egal mit welcher Menge – verboten sind."

    Der Eindruck drängt sich auf, dass das BMI den Fall Erfurt im Jahr der Olympischen Sommerspiele in London herunter spielt. Man verweist auf noch nicht abgeschlossene Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und NADA. Dabei liegen dem BMI wohl auch die nötigen Informationen vor, selbst aktiv zu werden:

    Gut 21Millionen Euro öffentliche Mittel hat der OSP Erfurt in den letzten Jahren erhalten. Auf Nachfrage der Grünen, räumte das BMI ein, dass Sportarzt Franke ab 2008 auf seinen Rechnungsbelegen an den OSP Erfurt, die UV-Behandlung nicht mehr spezifisch ausgewiesen habe. Die Kosten seien weiter aus Steuergeld beglichen worden. Zu den Gründen schweigen der OSP sowie Sportarzt Franke.

    Das BMI gab nun an, bei der Erfurter Staatsanwaltschaft angeregt zu haben, das laufende Ermittlungsverfahren gegen Franke um Abrechnungsbetrug zu erweitern. Außerdem sei das Bundesverwaltungsamt mit der Prüfung zuwendungsrechtlicher Konsequenzen beauftragt. An den Olympiastützpunkten soll zudem geprüft werden, ob sich an die Antidoping-Auflagen gehalten werde. In den jährlichen Antidoping-Berichten werden die Olympiastützpunkte anders als die Sportverbände nicht begutachtet.

    Dies reiche nicht aus, erklärt Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

    "Also ich halte es für absolut notwendig, dass das Bundesinnenministerium die Verantwortlichen, die medizinischen Stäbe, aber auch die Mitarbeiter noch einmal zusammen holt, oder an jedem einzelnen Olympiastützpunkt vor Ort noch einmal deutlich macht, was tatsächlich geht, was nicht geht, was im Hinblick auf Doping verboten ist. Ich halte das für unabdingbar. Ich erwarte vom Bundesinnenministerium, dass das unverzüglich gemacht wird, das duldet keinen Aufschub, mal nach den Olympischen Spielen in London. Das muss jetzt passieren ."

    Am 21. März wollen sich die Parteien im Sportausschuss des Bundestags mit der Causa Erfurt beschäftigen. Dann sollen unter anderem der Erfurter OSP-Leiter Bernd Neudert sowie Vertreter von BMI und NADA angehört werden. Dem öffentlichen Interesse wird die Sitzung nicht gerecht werden, ein Antrag der SPD die Vorgänge in einer öffentlichen Sitzung zu besprechen, wurde von den anderen Parteien abgelehnt.