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Der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner wird Ministerpräsident in Bayern

Oktober l946. Urteilsverkündigung im Nürnberger Prozess. Dr. Wilhelm Hoegner, aus dem Schweizer Exil zurückgekehrter Sozialdemokrat, einer der wenigen zugelassenen Deutschen, kommentiert:

Von Ariane Thomalla | 14.12.2004
    Der heutige Tag hat gezeigt, dass es noch Gerechtigkeit in der Welt gibt ... Das wird alle diejenigen wie mich mit großer Befriedigung erfüllen, die vor mehr als 26 Jahren den Nationalsozialismus von seinem Anfang an bekämpft haben.

    Ich habe damals schon ... die Nationalsozialisten als Staatsverbrecher bezeichnet.


    1924 hatte der gerade in den Bayrischen Landtag gewählte Staatsanwalt Wilhelm Hoegner einen Ausschuss zur Untersuchung des Hitlerputsches von 1923 gefordert. Untersuchung der Hintergründe, was vor allem die Verbindungen von Schwerindustrie, Reichswehr und Polizei zu den Nationalsozialisten anging. In Berlin dann als Reichstagsabgeordneter von 1930 bis '33 machte er "Den Volksbetrug der Nationalsozialisten" zu seinem Thema, eine Rede, die als Broschüre in Millionenauflagen verbreitet wurde. Nach der Machtergreifung Hitlers l933 floh Hoegner, indem er sich abenteuerlich über das Karwendelgebirge nach Österreich abseilte, von wo er, diesmal vor der Regierung Dollfuß, in die Schweiz flüchten musste.

    Der hochintelligente Abiturient hatte l907 um Aufnahme in die Sozialdemokratische Partei gebeten, um – wie er schrieb – "das Los des Proletariats zu bessern und für das wirkliche Wohl der leidenden Menschheit einzutreten". Das siebte in der Reihe von 13 Kindern eines kleinen Münchner Bahnbeamten vergaß dies sein Leben lang nicht.

    Wilhelm Hoegner war ein Glücksfall für Bayern in den Zeiten des Neubeginns. Und: Glückliche Konstellationen stellten ihn gleich zweimal an die Spitze des Freistaats. Im September '45 berief ihn die amerikanische Militärregierung zum Bayrischen Ministerpräsidenten. Als die CSU l946 die ersten freien Wahlen gewann, war Hoegner gegen den Willen vieler Sozialdemokraten bereit zur Koalition. Lange vor dem Godesberger Parteiprogramm hatte er die Vision einer SPD als breiter Volkspartei. Er bekam unter einem CDU-Ministerpräsidenten das Justizressort, später das Innenressort und war Stellvertretender Ministerpräsident. So konnte er, der in der Schweiz die bayrische Verfassung konzipiert hatte, nicht allein diese verwirklichen, vorbildhaft für andere Länder in Europa, sondern auch die Vereinfachung der bayrischen Verwaltung und Polizei und der Landesgesetzgebung geht weitgehend auf ihn zurück, auf seine Initiative, zu verschlanken, transparenter zu machen und vor allem: von braunen Schlacken zu reinigen.

    Dezember l954, Bayrischer Landtag:

    Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, hohes Haus ...

    Ich darf Ihnen das Wahlergebnis bekannt geben. Es wurden abgegeben 197 Stimmen, für den Abgordneten Herrn Dr. Wilhelm Hoegner 112, für den Abgeordneten Herrn Dr. Hans Seidel 82. Damit ist der Abgeordnete Herr Dr. Wilhelm Hoegner zum Ministerpräsidenten gewählt.

    Ich darf Sie fragen, Herr Dr. Hoegner, ob Sie bereit sind, das Amt des Ministerpräsidenten anzunehmen?

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich ... nehme die Wahl an.


    Drei Jahre blieb Wilhelm Hoegner gewählter sozialdemokratischer Ministerpräsident Bayerns dank der ungewöhnlichen Viererkoalition von Sozialdemokraten, Demokraten, Bayernpartei und Gesamtdeutscher Partei. Ein Gründervater auch jetzt bis hin zur Verankerung des "Rechts jedes Bayern auf Naturgenuss und Zugang zu den landschaftlichen Schönheiten".

    Lange war ich auf diesem Gebiet ein Rufer in der Wüste.

    Mit den Bundestagswahlen l957 war seine einmalige Chance zu Ende.

    Der Traum, die Übermacht der Christlich-Sozialen Union in Bayern endgültig zu brechen, war zerronnen.

    Spöttisch hatte man ihn den "königlich-bayrischen Sozialdemokraten" genannt. Die Wahrheit ist, dass Wilhelm Hoegner, der l980 mit 92 Jahren starb, ein leidenschaftlicher Bayer war, dem darüber sogar die Stimme vor Rührung gebrach:

    In meinem politischen Leben habe ich Deutschland immer als ein Mutterland betrachtet, mein Heimatland Bayern aber als eine heiß geliebte Frau, an der ein Mann mit allen Fasern seines Herzens hängt, und die seines Lebens Inhalt geworden ist.