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Der Sprung aus dem Wasser

Der Rivulusfisch kann lange außerhalb des Wassers überleben und atmet an Land durch seine Haut. Wie er sich aber auf festem Boden fortbewegt, wurde nun erstmals von US-Biologen untersucht. Die Erkenntnisse könnten den bisherigen Blick auf die Evolution verändern.

Von Michael Stang | 28.10.2013
    Aufgrund seines Aussehens hätte er sich den sogenannten Rivulusfisch
    sicher nicht als Forschungsobjekt ausgesucht, so US-Biologe Benjamin Perlman von der Wake Forest University. Denn der fünf Zentimeter lange Fisch, der in den Mangrovensümpfen Floridas bis hinunter nach Brasilien heimisch ist, ist mit einem leichten Grauton eher schmucklos. Aber er besitzt eine ungewöhnliche Lebensweise.

    "Dieser kleine Fisch namens Mangrove rivulus lebt amphibisch. Er kann also lange außerhalb des Wassers überleben, und lange heißt hier Wochen oder gar Monate, so lange es feucht genug ist. Diese Tiere atmen durch ihre Haut und fühlen sich an Land recht wohl."

    Erstaunlich sei, so Benjamin Perlman, dass bislang niemand untersucht hat, wie diese Fische überhaupt an Land gelangen und wie sie sich anschließend fortbewegen. Aus dem Wasser zu schnellen sei eine Sache, aber durch bloßes Rollen etwa können sie nicht vorwärts kommen, dazu gibt es in den Mangrovenwäldern zu viele Hürden. Klar war nur, dass sie weite Strecken zurücklegen können, denn oft werden diese Fische auch in feuchten Stellen gefunden, die Dutzende oder gar hunderte Meter vom nächsten Wasser entfernt sind, selbst in der Rinde von Baumstämmen wurden sie schon gesichtet. Wie also kommen die Tiere von A nach B? Um das herauszufinden, fuhr der Biologe zu den Florida Keys und nach Belize, fing dort einige wildlebende Tiere und nahm sie mit ins Labor nach North Carolina, wo er die Fische mit Hochgeschwindigkeitskameras filmte, die 500 Bilder pro Sekunde machen.

    "An Land liegen diese Fische für gewöhnlich erst auf der Seite. Und wenn sie springen, und das ist genau das, was sie tun, dann heben sie zuerst den Kopf und wenden ihn Richtung Schwanz und dann schnellen sie zurück und schießen ihren Körper wie ein Katapult schwanzvorwärts weg vom Angreifer. Erstaunlich ist auch, dass sie auf diese Weise einen Angreifer anschauen können und dann von ihm wegspringen."

    Nach der Landung dreht sich der Fisch wieder blitzschnell in die Ausgangsposition, also in Sichtweite des Angreifers, etwa Raubfische oder Schlangen, formt erneut ein "C" mit dem Körper und springt weiter. Auf diese Weise können die Fische binnen einer Sekunde das Zehnfache ihrer Körperlänge zurücklegen. Die Rivulusfische verlassen das Wasser aber nicht nur, um vor Angreifern zu fliehen.

    "Wenn der Gehalt an Schwefelwasserstoff im Wasser zu hoch wird, dann verlassen die Fische das Wasser, ebenso wenn der Sauerstoffgehalt zu niedrig wird. Zudem verlassen sie das Wasser zur Jagd. Sie holen sich dann Grillen oder andere Insekten und mitunter auch kleine Fische, die tatsächlich gestrandet sind. Das alles sind Gründe, weshalb die Rivulusfische das Wasser verlassen."

    Diese Art der Fortbewegung könnte den Blick auf die Evolution etwas verändern, so Benjamin Perlman. Denn diese neuen Erkenntnisse geben Anlass zur Vermutung, dass der Schritt an Land vor mehr als 370 Millionen Jahren auch schon unabhängig von der Entwicklung vorderer Gliedmaßen vonstatten gegangen sein könnte, also nur mithilfe von Geweben und Muskeln, die nicht als Fossilen erhalten geblieben sind. Auch wenn dieser kleine Rivulusfisch keine Körperteile besitzt, die ihn offensichtlich dazu befähigen, auch größere Strecken an Land zurückzulegen, springt er von Mangrovensumpf zu Mangrovensumpf. Vielleicht müsste man bei der Eroberung des Festlandes also nicht nur vom ersten Schritt sprechen, sondern auch vom ersten Sprung an Land.