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Der Stadt-Retter von Bukarest

Am 10. Juni finden Kommunalwahlen in Rumänien statt. In diesem Jahr bewerben sich 18 Kandidaten auf das Oberbürgermeisteramt der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Einer davon ist der parteilose NGO-Aktivist Nicusor Dan.

Von Anett Müller | 07.06.2012
    Bürgermeister-Kandidat Nicusor Dan hat sich für diesen Wahlkampf-Termin einen Park in Bukarest ausgesucht. Rund 15 Anwohner beklagen sich bei ihm, weil ein Immobilienbesitzer ausgerechnet inmitten der öffentlichen Anlage bauen will:

    "Bukarest hat schon jetzt kaum Grünanlagen. Wir verwandeln die Stadt in ein Meer von Beton. Das ist doch nicht normal."

    Nicusor Dan erklärt den Anwohnern, wie sich wehren können. Es ist sein Spezialthema. Der 42-Jährige ist Mathematiker. In seiner Freizeit aber betreibt er eine NGO, die er "Rettet Bukarest" genannt hat. Nicusor Dan protestiert, wenn Baudenkmale abgerissen oder öffentliche Grünflächen rechtswidrig an Immobilienhaie verkauft werden. Über 20 Gerichtsprozesse hat er deswegen gegen die Stadtverwaltung geführt: Er hat sie alle gewonnen. Doch statt nur an der Basis weiterzukämpfen, will Nicusor Dan jetzt Oberbürgermeister von Bukarest werden:

    "Meine Kandidatur ist kein Einzelkampf, sondern der Kampf all jener, die Anstand besitzen, das Gesetz respektieren und es satt haben, wie ihr Leben vom Bürgermeisteramt verwaltet wird. Die Leute sind verbittert. Doch ich habe von Anfang an gesagt, dieser Kampf lohnt sich nur, wenn wir ihn alle gemeinsam führen - gegen die politische Klasse."

    Der Außenseiter hätte sich keinen besseren Zeitpunkt dafür aussuchen können. 22 Jahre nach der Wende herrscht in Rumänien große Verdrossenheit über die etablierten Parteien, die in zahllose Korruptionsfälle verwickelt sind und unverhohlen Klientelwirtschaft betreiben. Nicusor Dan will das Gegenteil sein: selbstlos, unbestechlich, parteilos. In Wählerumfragen steht er dennoch auf der Verliererseite. Einen älteren Park-Anwohner, der zu seiner Wahlkampfveranstaltung gekommen ist, verwundert das nicht:

    "Er ist nicht mächtig genug, um sich gegen die Gauner durchzusetzen, die an der Macht sind. Selbst die Justiz kommt nicht einmal gegen die an. Er ist eine einzelne Schwalbe, die noch keinen Sommer macht."

    Und doch hat Nicusor Dan eine Solidaritätswelle ausgelöst, die für Bukarest einmalig ist. Tausende Einwohner unterstützten ihn mit ihrer Unterschrift, damit der Parteilose überhaupt kandidieren durfte. Doch als Aktivist in Rumänien eine eigene Partei zu gründen, ist fast aussichtslos. Dan bräuchte landesweit 25.000 Gründungsmitglieder. Eine Auflage, die es im deutschen Parteienrecht nicht gibt. In Rumänien hingegen wollen die herkömmlichen Parteien damit ernst zunehmende Konkurrenz verhindern, meint der Bukarester Politikexperte Cristian Pirvulescu. Ohne Folgen bleibt das nicht:

    "Ohne neue Parteien wird sich auch das politische Leben bei uns nicht erneuern. Die Piratenpartei in Deutschland hat vielleicht kein kohärentes Programm, aber doch eine Botschaft. Die großen Parteien müssen darauf reagieren. Sie erneuern sich auf diese Art und Weise. In Rumänien passiert das Gegenteil."

    Nicusor Dan macht dennoch unbeirrt mit seinem sachlichen Wahlkampf weiter. Sein liberaldemokratischer Herausforderer Silviu Prigoana setzt dagegen auf teure Wahlgeschenke. Er will den Öffentlichen Nahverkehr kostenlos machen. Solche Versprechen sind derzeit überall in Rumänien zu hören, auch wenn sie nicht zu finanzieren seien, meint der Soziologe Sorin Ionita:

    "Wenn man die Leute fragt, ob ihnen diese Politiker gefallen, sagen sie: Nein, um Gotteswillen. Doch in Wirklichkeit erwarten alle Almosen. Wenn sie die nicht bekommen, sind sie verärgert. Die meisten Wähler sind finanziell schlecht aufgestellt, haben eine kleine Rente, brauchen soziale Zuschüsse. Damit fällt es ihnen schwer, einen Kandidaten zu wählen, der postmateriell ist und für Werte und Prinzipien kämpft."

    Dan holt aus seinem NGO-Büro ein paar Flyer für den Wahlkampf ab. Am Tag eins nach der Wahl hat Nicusor Dan zwei wichtige Gerichtstermine gegen die Stadtverwaltung. Wieder geht es um illegale Baugenehmigungen. So schnell gibt er sich nicht geschlagen.