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Der Tausendsassa der Kultur

Von den 60-er bis in die 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts, war er einer der Großen in der bundesdeutschen Kulturszene - August Everding, Theater- und Opernregisseur, Intendant, Kulturmoderator. Vor allem die Bayerische Landeshauptstadt München verdankt ihm viel, beispielsweise die Wiedereröffnung des im Jugendstil erbauten Prinzregententheaters.

Von Wolfgang Schreiber | 31.10.2008
    Es gibt das protestantische Pfarrhaus im Schwäbischen - und es gibt das katholische Kirchenorganistenhaus, so das rheinisch-westfälische. Wer aus einem von beiden stammt, betritt gern das Feld der Philosophie und Theologie, ist den Künsten verbunden: Literatur, Musik, Theater. Und er kann, wie August Everding, sogar zum Vordenker, Vorsprecher und Manager in der Kultur werden. Zu einem ihrer vitalsten Regisseure und Intendanten, der in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts Geltung erlangte - als umtriebiger Moderator im Musiktheater, der Oper. Everding war streitbar für das neue Musiktheater, das Regietheater, gegen die alte Oper.

    "Oper war doch früher: Da standen die vorn an der Rampe und da wurde gesungen, prima la musica - und dann kam lange nichts mehr. Das Musiktheater war doch, dass dem Text auch Genüge getan wurde und nicht nur der Musik. Sondern dass der Regisseur nicht nur mit dem Reclam-Heftchen da stand, also nur mit dem Text, oder nur mit der Partitur, sondern dieses Zusammen, was man nicht mehr trennen kann."

    August Everding, am 31. Oktober 1928 als Sohn eines Organisten in Bottrop geboren, studiert Theologie, Philosophie, Literatur- und Theaterwissenschaft. Und wird 1955 an den Münchner Kammerspielen Regieassistent des großen Fritz Kortner. Der Aufstieg ist programmiert: Oberspielleiter, Schauspieldirektor, Intendant. 1973 wechselt er an die Spitze der Hamburgischen Staatsoper, wo sich der katholisch-barock empfindende Mann falsch besetzt fühlt. Vier Jahre später kehrt er reumütig nach München zurück, wird Intendant der Bayerischen Staatsoper, des größten Opernhauses hierzulande. Everding reift zum Kommunikator in der Kultur, zum gesuchten Gesprächspartner im rauen Gelände zwischen Politik, Wirtschaft und den Künsten. Sein Betätigungsfeld bleibt aber das Musiktheater, für das er kämpft.

    "Das ist doch ein Fortschritt, den wir erreicht haben im Musiktheater, dass auch Theater gespielt wird und nicht nur schön gesungen wird. Dass nicht nur dicke, äh, beleibte Primadonnen vorn stehen und dumme Tenöre etwas absingen, sondern dass ein Drama gestaltet wird in Musik."
    August Everding war für viele der Tausendsassa der Kultur, der - ein Karajan der Rednerpulte - der überall zugegen war mit seiner jesuitischen Rhetorik. Im Grunde seines Herzens war er aber der Theatermann geblieben, ein Regisseur aus Leidenschaft. 125 Opernwerke soll er inszeniert haben, in London und Wien, Paris und New York, in Chicago, Sidney und Warschau. Auch bei den Salzburger und den Bayreuther Festspielen. Heimspiele hatte er an der Bayerischen Staatsoper. Am liebsten arbeitete er an den großen komplizierten Brocken von Mozart, Wagner und Richard Strauss, aber auch am apart Neuen wie "Paradise lost" von Penderecki. Everdings Werben für die Oper schien allgegenwärtig.

    "Die Verständnismöglichkeit, was Oper uns sagen kann, also dieses: Man sticht dem hinten einen Dolch in den Rücken, und statt zu sterben, blutet der nicht, der singt zwanzig Minuten. Das ist doch auch Oper, diese Unvernünftigkeit, diese Irrealität, Oper ist eben nicht Realismus."

    Everding hatte als Regisseur nicht die knorrige Genialität seines Lehrers Kortner, aber er besaß das Handwerk der Menschenführung auch auf der Bühne, und er kannte die Stücke bis in ihre letzten Winkel, konnte allen alles erklären und es sogar vorspielen.
    "Kultur ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit" - August Everding wurde nicht müde, diese Maxime den Menschen, den Kulturpolitikern einzuimpfen - gegen Subventionskürzungen, gegen Theaterschließungen. Längst war er in München Generalintendant und zum Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins aufgestiegen, der die Vereinigung der ost- und westdeutschen Theaterszene moderierte. Everdings brillante Charme-Offensiven wurden bewundert und gefürchtet. In München traute er sich schließlich an ein Projekt heran, das nur seine Utopie war: die Wiederauferstehung des alten Prinzregententheaters. 1996, drei Jahre vor seinem Tod, wurde das Haus mit dem "Tristan" eingeweiht. Da hatte Everding in München längst die Bayerische Theaterakademie für den Nachwuchs gegründet. Sie trägt seinen Namen und blüht bis heute.