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Der Terror der Otto-Muehl-Kommune

Regisseur Paul-Julien Robert verbrachte seine Kindheit in der Kommune des Wiener Künstlers Otto Muehl. Dort wurde ständig gefilmt. Dieses Material hat er ausgewertet und zeigt mit der Dokumentation "Meine keine Familie", dass zu der Kommune noch lange nicht alles gesagt war.

Von Beatrix Novy | 29.04.2013
    "Als junge Frau ist meine Mutter 1979 in eine Kommune eingezogen. Drei Jahre später bin ich in diese Kommune hineingeboren worden."

    32 Jahre später ging Paul-Julien Robert mit der Kamera den Weg zurück in seine Kindheit, zurück zum Friedrichshof im Burgenland, dem Sitz der Mühl-Kommune. Das war eine der bekanntesten Weltveränderungs-Gruppen, die sich Anfang der 70er aus der zersplitternden antiautoritären Bewegung lösten, bekannt schon deshalb, weil sie länger und erfolgreicher am Markt blieb als die meisten anderen. Ihr Anführer war der Wiener Aktionismus-Künstler Otto Muehl, der mit einem wilden Amalgam aus Wilhelm-Reich-Lektüre, grenzüberschreitenden Psychoanalyse-Erfahrungen und aktionistischer Derbheit sein Angebot totaler Befreiung gründete – heraus kam, was ein Kommune-Aussteiger später die Diktatur der freien Sexualität nannte. Schon in den Anfangsjahren wussten auch Außenstehende sehr wohl Bescheid über die unumschränkte Macht des Alphatiers Otto Muehl, über das knallharte hierarchische System der Kommune. Die aber bot gleichzeitig das nicht nur falsche Bild eines sozialutopischen Experiments, dessen positive Züge lange hinreichten, seinen Sektencharakter zu verdecken. Auch die Mutter von Paul-Julien Robert, mit der er den Weg zurück in seine Kindheit geht, hatte dieses Bild mitgenommen.

    "Ja, ich hab erwartet eine nette Kommune – eine nette Kommune?"

    Roberts Mutter, eine Schweizerin, hatte am Friedrichshof Geborgenheit im Kollektiv gefunden. Ihre Motive zur Abkehr vom bürgerlichen Leben erklärt ihr Sohn durchaus verständnisvoll, indem er schwarz-weiße Straßenszenen der 60er-Jahre zeigt, Bilder einer starr-homogenen Gesellschaft, die nach Rebellion ruft, dagegen stellt er die drastisch-farbigen Exzesse der Wiener Aktionisten. Aber viel mehr vermögen die älteren Protagonisten dann nicht zu erklären, wenn es um die Entwicklung der Kommune geht.

    Der Moment, um den sich für den jungen Filmemacher alles dreht, ist der Weggang seiner Mutter: 1983, als der Friedrichshof finanzschwach wurde, verließ sie den Hof, um in Zürich mit Versicherungsgeschäften Geld für die Kommune zu erwirtschaften. Väter kannte das promiske Konzept der Kommune nicht.

    "Ja und eines Tages musste ich weg und dich alleine lassen."

    Sagt die Mutter, immer noch den Autoritäten von damals verpflichtet – während ihr Sohn Anflüge von Bitterkeit nicht verbirgt. Er war, wie alle Kinder der Kommune, im Kollektiv geborgen gewesen, aber auch ständig kontrolliert. Es wurde dauernd gefilmt am Friedrichshof, was mit dem Selbstverständnis als eine Art organisches Kunstwerk zusammenhing. Durch dieses Videomaterial hat sich Paul-Julien Robert durchgefressen; es zeigt, dass zur viel besprochenen Muehl-Kommune noch lange nicht alles gesagt war. Da sieht man, wie auch die Kinder abends zur Selbstdarstellung vor der versammelten Gruppe antreten mussten; man erlebt, wie Otto Muehl den Kindes-Missbrauch nicht nur als die ius primae noctis betrieb, wegen der er später ins Gefängnis ging, sondern auch als Psychoterror gegen Wehrlose – zum Beispiel einen Jungen drangsaliert, der sich seinen Anweisungen, befreit herumzuhopsen, verweigert.

    Es ist diese Verantwortung, nach der Paul-Julien Robert seine Mutter und andere aus der Kommune befragt - sanft, ohne preiswerte Besserwisserei des Spätgeborenen. Er hat sie beim Anschauen besagter Szene gefilmt – ihr Gesicht zeigt Fassungslosigkeit, einen Bruch. Und doch hätte auch sie damals, wäre sie dabei gewesen, dem Chef nicht die gelbe Karte gezeigt, hätte wie das Kollektiv auch dieser Szene am Ende den üblichen johlenden Beifall gezollt; in solchen Momenten wird nebenbei deutlich, wie viel heutige Eventkultur und auch bestimmte Mitarbeiterstrategien moderner Unternehmen hier vorweggenommen waren. Es wird aber auch klar, dass nicht Otto Muehl sich zum Tyrannen machte. Seine Anhänger machten ihn dazu, durch grenzenlose Akklamation.

    "Ich bestimme hier den Level der Kultur"