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Der tschechische Reformator Jan Hus
Ein böhmischer Wahrheitssuchender

Der 6. Juli ist in Tschechien ein gesetzlicher Feiertag. Der böhmische Magister Jan Hus, der heute vor 600 Jahren in Konstanz hingerichtet wurde, wird in Tschechien wie ein Nationalheiliger verehrt. Viele Protestanten sehen in ihm einen Vorläufer Martin Luthers, manche Katholiken tun sich mit dem Kirchenreformer nach wie vor schwer.

Von Anna Gann | 06.07.2015
    Das Jan-Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring in Prag. Der Aufstieg von Jan Hus begann an der Prager Karls-Universität wo er 1401 zum Dekan ernannt wurde. 1402 wurde er Prediger in der Prager Bethlehemskapelle.
    Das Jan-Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring in Prag. (picture alliance / epd-bild / Kilian Kirchgessner)
    Am Morgen des 6. Juli 1415 ist ganz Konstanz auf den Beinen. Der böhmische Priester Jan Hus ist vom Konzil, das seit einigen Monaten in der Bodenseestadt tagt, als Ketzer verurteilt worden. Auf dem Scheiterhaufen ruft Hus aus: "In der evangelischen Wahrheit (…), die ich geschrieben, gelehrt und gepredigt habe (…), will ich heute gern sterben.“
    Für die Kirchenversammlung ist Hus allerdings kein Verteidiger der Wahrheit, sondern ein Unruhestifter. Er wurde um 1370 im südböhmischen Dorf Husinec in einfache Verhältnisse hineingeboren, das genaue Datum ist unbekannt. In Prag studiert er die freien Künste, lehrt an der Universität und wird später deren Rektor. Als Prediger an der Prager Bethlehemskapelle geißelt er die Ausschweifungen, die Prunksucht und den Machtanspruch des Klerus. "Heutzutage herrschen nicht die Schüler Christi, sondern des Antichristen. Zu ihnen zählen Päpste und Bischöfe, die sich nicht scheuen, viele Tausend Menschen (…) leichtfertig zu bedrücken, um geistliche Ämter zu erhalten."
    Die wahre Kirche ist für Hus eine Gemeinschaft untadeliger Auserwählter, die sich allein an Jesus Christus und der Bibel orientiert. Kirchlichen und politischen Autoritäten stellt er das Gewissen gegenüber. "Nur in guten Befehlen sollt ihr der Obrigkeit gehorchen, bei schlechten aber kühn euch widersetzen."
    Ein Grund, sich zu widersetzen, ist für ihn 1409 die päpstliche Anordnung, dass Schriften des englischen Kirchenkritikers John Wyclif verbrannt werden müssen. Hus ist selbst ein Anhänger Wyclifs, was später ein wesentlicher Vorwurf seiner Gegner auf dem Konstanzer Konzil sein wird. Zum Missfallen kirchlicher Würdenträger tritt er auch für die Predigt in der tschechischen Volkssprache ein. Denn auch die einfachen Leute sollen die Schrift verstehen und die Wahrheit erkennen, so ist er überzeugt. Margot Käßmann, Beauftragte für das Thema "Reformation" bei der Evangelischen Kirche in Deutschland: "Die Gedanken von Jan Hus sind ganz stark dann später auch die Gedanken, die Martin Luther angetrieben haben: Gewissensfreiheit, Rückbesinnung auf die Bibel, die Volkssprache, die Kritik an der Situation der eigenen Kirche, wie er sie vorgefunden hat."
    Auch die Kritik am Ablass. 1412 steht Hus an der Spitze einer breiten Protestbewegung gegen die päpstliche Aufforderung, zur Sündenvergebung Geld für einen Kreuzzug zu spenden. "Gott weiß, dass es uns leidtat, was Hus passiert ist", gesteht der deutsch-römische Kaiser Sigismund nach der Hinrichtung. Denn eigentlich hatte er Hus freies Geleit zugesichert, da der Geistliche bei seinem Eintreffen in Konstanz im Herbst 1414 bereits seit mehr als drei Jahren mit dem Kirchenbann belegt war. Doch dann wurde Hus verhaftet und unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Kerker geworfen.
    Seine Hoffnung auf eine freie Disputation, zum Beispiel über die Thesen seines Hauptwerks "Über die Kirche", erfüllte sich nicht. Der Chronist Peter von Mladoniowitz berichtet von einer der Verhandlungen im Ketzerprozess: "Und wie er die verschiedenen Begriffe seiner Aussagen erläutern wollte, wurde er sogleich angeschrien: 'Lass deine Sophisterei und sag ja oder nein! Und andere verlachten ihn."
    Mit der Verurteilung des Jan Hus verbanden sich auch kirchenpolitische Interessen. In Konstanz stritt man nämlich über die Frage, ob das Konzil, also die Versammlung der Bischöfe, über dem Papst stehe. Mit dem Ketzerprozess konnte die Bischofsversammlung ihren Anspruch untermauern, Trägerin der kirchlichen Exekutivgewalt zu sein. Kaiser Sigismund wiederum wollte das Konzil nicht gefährden, indem er den Fall Jan Hus‘ blockiert.
    "Aus Furcht, Gott zu beleidigen und einen falschen Eid zu schwören, kann ich nicht alle Artikel, die gegen mich vorgebracht wurden, abschwören; denn, bei Gott, ich habe das, was sie mir zuschreiben, nicht gepredigt, behauptet oder verteidigt", so Jan Hus wenige Tage vor seinem Tod. 1999 hob Papst Johannes Paul II. hervor: "Es ist vor allem sein sittlicher Mut im Angesichte der Widrigkeiten und des Todes, der ihn zu einer herausragenden Gestalt gemacht hat."
    Eine offizielle kirchliche Rehabilitation des böhmischen Wahrheitssuchers ist bisher jedoch nicht erfolgt.