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Der Vater der "gesungenen Tragödie"

Claudio Monteverdis "Orfeo" gilt zwar zu Recht als das erste Meisterwerk der Oper, doch die eigentliche "Erfindung" der Gattung ist einem anderen zu verdanken: dem Florentiner Jacopo Peri.

Von Michael Stegemann | 20.08.2011
    Die Idee der Renaissance war die Idee einer Wiedergeburt – einer Wiedergeburt der Antike, genau gesagt. So traf sich etwa Ende des 16. Jahrhunderts in Florenz, am Hofe der Medici, regelmäßig eine Gruppe von Dichtern, Musikern und Philosophen – die sogenannte "Florentiner Camerata" –, die sich über die Wiedergeburt der antiken Tragödie Gedanken machte. Zu ihr gehörten der Dichter Ottavio Rinuccini, die Komponisten Giulio Caccini und Vincenzo Galilei – und ein Sänger und Organist, der seit 1587 in Diensten der Medici stand: Jacopo Peri.

    Peri war am 20. August 1561 in Rom zur Welt gekommen und hatte schon früh Aufmerksamkeit erregt: Zum einen wegen seines rotblonden Haarschopfes, der ihm den Spitznamen "zazzerino" eintrug – "Wuschelkopf" –, zum anderen wegen seiner schönen Stimme. Als "direttore della musica" der Medici stand Peri in höchstem Ansehen, und er war es auch, der die entscheidende Idee hatte, wie die antike Tragödie neu belebt werden könnte:

    "Ich kam zu der Überzeugung, dass in der dramatischen Poesie die gesprochene Rede
    durch den Gesang nachgeahmt werden müsse, und dass schon die alten Griechen und
    Römer ihre Tragödien auf der Bühne singend vorgetragen haben. Daher ließ auch ich jede
    andere bisher gehörte Gesangsart beiseite und suchte nach einem Stil, der die Dichtung in
    gebührender Weise nachahmt."


    Jacopo Peri im Vorwort seiner "Euridice". Doch zunächst entstand 1589 das Gemeinschaftswerk "La Pellegrina", in dem die "Florentiner Camerata" erstmals diesen "stile nuovo", diesen "neuen Stil" vorführte. Auch Peri steuerte einen Teil bei.
    Bis dahin war die wichtigste weltliche Vokal-Gattung das Madrigal gewesen: die mehrstimmige Vertonung eines Textes, der oft von jähen Wechseln der Affekte lebte. Der "stile nuovo" reduzierte diese vielen Stimmen nun auf eine einzelne und gab damit dem Sänger oder der Sängerin eine unverwechselbare Individualität. Dieser Solo-Gesang – die "Monodie" – machte es tatsächlich möglich, antike Stoffe als zeitgemäße, "gesungene Tragödien" auf die Bühne zu bringen – etwa "La Dafne", die Peri 1598 nach einem Text des Dichters Rinuccini komponierte, und mit der eine der wichtigsten Gattungen der Musik ihren Anfang nahm: die Oper. La Dafne ist größtenteils verloren. Doch zwei Jahre später – am 6. Oktober 1600 – wurde in Florenz eine neue "favola" von Peri und Rinuccini aufgeführt: "L'Euridice". Peri selbst soll die Partie des Orpheus gesungen haben.

    "Euridice" festigte Peris Ruhm und Rang, nicht nur in Florenz. Er begleitete seinen Dienstherrn auf Reisen nach Rom und Mantua, wurde von den Medici fürstlich entlohnt und erhielt 1618, als er aus Altersgründen nicht mehr singen konnte, die gut dotierte Pfründe eines Generalkämmerers der Florentiner Weber-Zunft. Peri komponierte weiter, aber die rasante Entwicklung des "stile nuovo" und der Monodie scheint er nicht mitgemacht zu haben – so weit sich das aufgrund der relativ wenigen erhaltenen Werke sagen lässt. Am 12. August 1633 ist er in Florenz gestorben.

    Auch wenn es Claudio Monteverdi war, der 1607 mit seinem Orfeo das erste und wegweisende Meisterwerk der Gattung schuf – die Ehre, die Oper "erfunden" zu haben, gebührt doch zu großen Teilen Jacopo Peri, und seine "L'Euridice" bleibt das erste erhaltene Werk in jenem "neuen Stil", der bis heute fortwirkt.