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Der Versuch, ein Chaos zu ordnen

Den gestrigen Termin hatten sich alle Umweltpolitiker in Berlin, aber auch die Handels- und Brauerverbände rot im Kalender angestrichen. Der Europäische Gerichtshof sprach sein Urteil zur deutschen Dosenpfandregelung. Jede Seite hoffte letztlich auf eine Bestätigung der eigenen Position. Doch es kam, wie es kommen musste - es ist ein Richterspruch mit vielen Facetten. Am Ende sahen sich deshalb alle als Gewinner, so auch der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Rainer Baake:

Von Ilka und Jörg Münchenberg | 15.12.2004
    Alle Regelungen, die der europäische Gerichtshof beanstandet hat, werden durch die Novelle, die jetzt im Bundesrat liegt, beseitigt. Die Europäische Kommission hat noch einmal ausdrücklich gesagt, sie verlangt, dass das neue Recht jetzt schnellstmöglich und unverändert in Kraft tritt. Denn nur wenn es in Kraft tritt, wird damit auch das Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission eingeleitet hat, beendet.

    Die Handelsverbände, aber auch die Opposition ziehen da ganz andere Rückschlüsse. Wer das Luxemburger Urteil lese, so der Umweltexperte der Union, Peter Paziorek, müsse den weiteren Gesetzesprozess stoppen. Mit anderen Worten: die geplante Verabschiedung der neu gefassten Verpackungsverordnung am kommenden Freitag im Bundesrat müsse ausgesetzt werden:

    Es steht für die Union fest, dass die jetzt vorgesehene Novelle an zwei Stellen nachgebessert werden muss. Wenn diese Nachbesserungen nicht erfolgen, dann bedeutet das, dass wir wieder einen rechtswidrigen Zustand haben. Wir sind aber aus verfassungsrechtlichen Gründen der Ansicht, dass diese Veränderungen nicht nur im Bundesrat behandelt werden sollten, sondern diese Veränderungen sollten auch wieder an den Bundestag zurückgehen, damit auch zunächst im Bundesrat eine entsprechende Beratung erfolgen kann. Das bedeutet für uns im Klartext: Wir plädieren für einen Stopp der Beratungen und für eine Neuauflage im Bundestag?

    Doch mit dieser Position steht die Opposition alleine da. Denn nach den heftigen Querelen in den letzten Jahren sind inzwischen auch einige unionsregierte Länder auf Kompromisskurs eingeschwenkt. Entsprechend hat man vorgesorgt: Die europäischen Bedenken würden bei der anstehenden Novelle berücksichtig, betont der bayerische Staatskanzleichef Erwin Huber - die Neuregelung könnte dann in weiten Teilen im Frühjahr 2005 in Kraft treten:
    Es dürfen ausländische Anbieter auf dem deutschen Markt nicht diskriminiert werden. Das heißt, es darf nicht dazu kommen, dass deutsche Anbieter einen Vorteil haben und dass ausländische Anbieter ihre Mineralwässer beispielsweise nicht auf dem deutschen Markt anbieten können. Aber genau das ist in der jetzigen Pfandentwurfsregelung vorgesehen. Es wird also keine Diskriminierung mehr geben, es wird keine Insellösung mehr geben und damit eine allgemeine Rücknahmemöglichkeit.

    Die Europäische Kommission hatte die Klage im Oktober vergangenen Jahres eingereicht. Damit drängte sie die Bundesregierung, die bestehende Verpackungsordnung zu ändern. Ein Dorn ihm Auge sind der Kommission vor allem die so genannten "Insellösungen": Nach wie vor gäbe es kein einheitliches Rückgabesystem von Einwegdosen und -flaschen. Dadurch würden ausländische Getränkeanbieter massiv benachteiligt. Dabei geht es um das Recht von Discount-Ketten wie Aldi oder Lidl, jeweils nur Einwegflaschen zurücknehmen zu müssen, die sie selbst im Sortiment führen. Das alles soll jetzt anders werden, so sieht es zumindest Trittins Gesetzesentwurf vor, der an diesem Freitag dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt wird. Lange hatte Trittin keine Chance, die Blockade-Front der unionsgeführten Bundesländer gegen eine Vereinfachung des Dosenpfands zu durchbrechen. Nun hat er in dem CSU-regierten Bayern einen Mitstreiter gefunden. Schließlich will auch die bayrische Regierung ihre kleinen Brauereibetriebe und deren Mehrweg-Flaschensystem schützen.

    Am Freitag wird eine neue Abstimmung sein. Bayern wird dieser Regelung zustimmen. Ich bin der Überzeugung, dass es eine Mehrheit geben wird, denn das jetzige Chaos kann im Grunde keiner verantworten. Im übrigen würde sonst zum 1. April nächsten Jahres auch noch bei Fruchtsäften ein Pfand kommen. Es würde eine komplizierte Quotenregelung in Kraft bleiben. Es wäre nicht europatauglich. das heißt, wir müssen es deutlich vereinfachen.

    Sagt Staatskanzleichef Huber. Im Oktober dieses Jahres brachte die bayerische Regierung einen Antrag in den Bundesrat ein, der den Vorstellungen von Trittin schon ganz nahe kam und parteiübergreifend eine knappe Mehrheit fand. Zu einer Abschaffung der Insellösungen konnte sich der Bundesrat allerdings nicht durchringen. Ein entsprechender Antrag scheiterte am Widerstand von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

    Doch inzwischen wurde noch einmal nachgebessert: Die bisherige Insellösung wird verboten und somit eine wesentliche Forderung der Europäischen Kommission erfüllt. Wer künftig Plastikflaschen verkauft, muss auch Plastikflaschen zurücknehmen. Wer Dosen verkauft, muss Dosen zurücknehmen - egal, ob diese zuvor an der Tankstelle, am Bahnhof oder im Discounter gekauft worden sind.

    In einem zweiten Schritt, so das Kalkül im Umweltministerium, erfolgt dann automatisch der Aufbau eines bundesweit einheitlichen Rücknahmesystems bis 2006. Damit, so Staatssekretär Baake, sei auch der zweite zentrale Kritikpunkt der Kommission ebenfalls hinfällig:

    Sobald der Beschluss da ist, gibt es eine Übergangsfrist von einem Jahr. Die Wirtschaft hat also Zeit, die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen für ein entsprechendes Clearingsystem – für die Einrichtung entsprechender technischer Einrichtungen für die automatisierte Rücknahme. Ein Jahr Übergangsfrist ist mehr als ausreichend, das haben uns schon die Vertreter der Wirtschaft bestätigt.

    Aber natürlich geht es bei der anstehenden Novelle um mehr als nur die Erfüllung der europarechtlichen Vorgaben. Die alte bürokratische Regelung, nach der ein Pfand auf Einwegverpackungen immer dann erhoben wird, wenn der Marktanteil der Mehrweggetränke unter eine bestimmte Marke sinkt, wird gestrichen. Das Pfand soll sich künftig an der ökologischen Verträglichkeit der Verpackung orientieren. Der Verbraucher soll also für Getränke in Kartons oder so genannten Standbodenbeuteln kein Pfand bezahlen müssen. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Michael Müller, nimmt hier bereits die Kritik vorweg:

    Befriedigend ist es insgesamt noch nicht, das hat mit diesen schwierigen Kategorien der so genannten ökologisch verträglichen Verpackungsarten zu tun. Da sind wir auch immer abhängig von den Gutachten und den Bewertungskriterien. Aber es ist deutlich besser geworden.

    Die Pfandpflicht von einheitlich 25 Cent gilt künftig für Mineralwasser, Erfrischungsgetränke, Bier und so genannte Alkopops - also alkoholhaltige Mischgetränke aus Spirituosen und Limonaden - in Einwegverpackungen. Milch, Wein und Fruchtsäfte sind ausgenommen.

    In fünf Jahren soll überprüft werden, ob sich die Verordnung grundsätzlich bewährt hat. Davon ist natürlich die rot-grüne Koalition überzeugt. Schließlich geht es auch bei der Novelle vordringlich um einen verbesserten Umweltschutz, betonte auch die zuständige Expertin der Grünen, Antje Vogel-Sperl:

    Aus unserer Sicht ist klar: das Pfand ist ein Plus für die Umwelt. Es führt zu einer sortenreinen Sammlung der Verpackungsabfälle und damit zu einer besseren Verwertung der Rohstoffe. Es trägt dazu bei, Müll im Vorfeld zu vermeiden, und es ist ein Plus für die Stärkung der Mehrwertsystem.

    Den Verbrauchern wird dies vordergründig zunächst einmal egal sein - vielmehr dürfte die Erleichterung überwiegen, dass ein zuweilen bizarrer Kleinkrieg zumindest vorläufig ein Ende findet. Denn seit Jahren liefern sich Politik, Wirtschaft und Lobbygruppen erbitterte Auseinandersetzungen um die Getränkedose. Alles begann im Frühjahr 1991: Die Müllberge wuchsen in den Himmel. Gelbe Tonne und grüner Punkt waren gerade in der Erprobungsphase. In den Läden stapelten sich Dosenbier und Einwegflaschen. Der damalige Umweltminister Klaus Töpfer, CDU, wollte einer "Ex- und Hopp- Mentalität", wie er sagte, Einhalt gebieten:
    Die Verpackungsverordnung hat das gebracht, was ich wollte: nämlich den Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft. Sie hat im Bereich der Transportverpackungen, der Umverpackungen unmittelbar und nachhaltig verpackungsvermeidend und verpackungsverändernd gewirkt.

    Töpfer forderte ein Pflichtpfand, falls die Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen zwei Jahre lang in Folge unter 72 Prozent fiele. Diese Zahl entsprach einem Durchschnittswert, den seine Ministerialbeamten 1991 festgestellt hatten. Bis heute ist er Maßstab aller Dinge.

    Die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl brachte die so genannte "Verpackungsverordnung" auf den Weg - als Drohung. Niemand rechnete ernstlich damit, dass sie tatsächlich einmal angewendet werden müsste. Eine Abgabe durch die Unternehmen, die die Quote unterschritten, wäre zweifelsohne einfacher gewesen, scheiterte jedoch am Widerstand der Wirtschaft. Christian Hey, Generalsekretär des Sachverständigenrats für Umweltfragen:

    Das war eine Zeit, in der die Stellung des Umweltministers relativ schwach war, und es war klar, dass der Kanzler nur eine Lösung geduldet hätte, die mit Einvernehmen mit der Industrie getroffen worden wäre. Insofern hatte man die Industriekreise gefragt. Die haben ihr Veto eingelegt und folglich war eine Abgabenlösung vom Tisch.

    Auch die frühere Umweltministerin Angela Merkel schrieb das Dosenpfand auf ihre Fahne. 1998 setzte sie eine neue Verordnung durch: Pfand wird nur für solche Getränke erhoben, die ihre eigene Quote von 1991 unterschritten hatten. Das führte zu absurden Sonderfällen, die bis heute Bestand haben. So muss der Verbraucher etwa für Eistee mit Kohlensäure aus der Dose Pfand zahlen, für dasselbe Getränk ohne Kohlensäure nicht, für Cola aus der Dose zahlen, für Whisky-Cola aber nicht.

    Als Jürgen Trittin den Chefposten im Umweltministerium übernahm, verfolgte er ehrgeizige Ziele. Erst brachte er erfolgreich den Atomausstieg hinter sich. Dann war das Dosenpfand an der Reihe. Vergeblich versuchte Trittin gegen den Widerstand der Wirtschaft das Pflichtpfand durch eine Abgabe auf Einweg-Getränkeverpackungen zu ersetzen. 2001 lehnte der Bundesrat eine Gesetzesnovelle des Umweltministeriums ab, die ein generelles Pflichtpfand für alle Getränkeverpackungen mit wenigen Ausnahmen wie Mehrwegverpackungen oder Getränkekartons vorsah.

    Ein Jahr später wurden im Bundesanzeiger die zu niedrigen Mehrwegquoten von 1997 und 98 veröffentlicht. Damit trat die alte Verordnung, also geltendes Recht aus den 90er Jahren, in Kraft. Der Handel versuchte, sich mit allen Mitteln gegen die erzwungene Pfandregelung zur Wehr zu setzen und reichte Klage bei den Verwaltungsgerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht ein. Die Bundestagsabgeordnete Vogel-Sperl von den Grünen:

    Der Handel hat mehr als 100 Prozesse angestrengt, aber keinen einzigen gewonnen. Und es wirft natürlich die Frage nach der Zusage im Sinne von Selbstverpflichtungen auf: d.h. man wird in Zukunft das Thema Selbstverpflichtung noch ernster diskutieren als bisher.

    Seit dem 1. Januar 2003 gilt das bundesweite Dosenpfand. Weil sich der Handel bis zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht auf ein einheitliches Rücknahmesystem geeinigt hatte, galt für neun Monate eine Übergangsfrist und sorgte für Chaos und Verwirrung beim Verbraucher. Jeder Kiosk, Supermarkt oder Getränkehersteller nahm nur eigene Verpackungen zurück und erfand sein eigenes Pfandsystem. In den Supermärkten verschwanden zahlreiche Einwegverpackungen aus den Regalen. Die Discounter-Ketten schufen Insellösungen. Am Ende brach der Handel alle Bemühungen um ein einheitliches System ab.

    Über die Motive darüber wird bis heute gestritten. Nach Ansicht des Umweltministers, aber auch vieler Experten versucht der Handel seit Jahren, geltendes Recht mit allen Mitteln zu umgehen. Natürlich mit dem Ziel, das Zwangspfand zu kippen. Umweltstaatssekretär Baake:

    Der Umweltminister hat nicht die von der Verfassung zugestandene Möglichkeit, geltendes Recht zu ignorieren, sondern er hat geltendes Recht umzusetzen. Dies ist geschehen. Der Vollzug ist ausschließlich Angelegenheit der Länder. Das ist in der Tat bezeichnend, das war auch für mich eine neue Erfahrung, dass ein ganzer Wirtschaftssektor sich verabredet hat, dem geltenden Recht nicht Genüge zu tun, sondern es zu ignorieren. Ein relativ einmaliger Vorgang, bei dem ich hoffe, dass er sich nicht wiederholt.

    Doch der Handel wiederum weist alle Vorwürfe weit von sich: So auch Hubertus Pellengahr, Sprecher des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels.

    Das Problem der Wirtschaft ist die fehlende Rechtssicherheit. Vor anderthalb Jahren ist das ganze schon einmal gescheitert, letztendlich an kartellrechtlichen Hindernissen. Es muss ja nicht nur ein Rücknahmesystem für die Dosen geben, sondern es muss ja auch ein Verrechnungssystem geben, wenn ein Geschäft mehr Flaschen und Dosen zurücknimmt als es verkauft hat. Da muss es von den anderen die ausbezahlten Pfandbeträge erstattet bekommen. Das Clearingsystem ist eben ganz wichtig, da müssen Absprachen zwischen den Unternehmen getroffen werden. Hier muss es klar eine Freistellung vom Kartellverbot geben. Das hat Trittin bisher versäumt, obwohl er es zugesagt hatte. Auch da hat er seine Zusagen ganz klar nicht eingehalten.

    Doch klar ist auch: der Aufbau eines bundesweiten Rücknahmesystems verursacht enorme Kosten, für die allerdings in letzter Konsequenz der Verbraucher gerade stehen muss. Und es verursacht erheblichen Personal- und Logistikaufwand - nicht zuletzt deshalb lehnen die großen Supermarktketten und Händler das Zwangspfand ab. Ohnehin, so heißt es, sei durch die erfolgte Auslistung von Einweg aus den Regalen nach Einführung des Pfandes bereits ein milliardenschwerer Schaden entstanden - sowohl beim Handel wie bei den Herstellern von Dosen.

    Auf der anderen Seite stehen die zumeist mittelständischen Brauereien, die auf Mehrweg setzen und sich gleichzeitig einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb durch die Einwegverpackungen ausgesetzt sehen. Auch hier, so die Präsidentin des Bundesverbandes mittelständischer Privatbrauereien, Renate Scheibner, gehe es letztlich um viel Geld und vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen:

    Wir erhoffen, und das ist natürlich auch unser Ziel, dass durch den Abbau der Insellösung Rechtssicherheit geschaffen wird. Und dass damit durch die Rücknahme auch Brauereien erhalten bleiben. Und was natürlich auch ganz wichtig ist, und das haben auch die großen Brauereien anvisiert: dass Investitionssicherheit herrscht und das dann auch mehr investiert wird. Denn in Mehrweg zu investieren, das haben wir im Verrauen auf die Politik seit Anfang der 90er Jahre getan. Und das wird sich natürlich erhöhen, wenn es dann wohl so ist, dass die Novelle auf den Weg gekommen ist. Wir rechnen ungefähr mit einer Milliarde Investitionen.

    In letzter Konsequenz hat also der Streit um das Dosenpfand viele Facetten: Es geht um Umweltschutz, um wirtschaftliche Interessen, um rechtsstaatliche Prinzipien, aber in letzter Konsequenz auch um einen persönlichen Machtkampf zwischen Umweltminister und Verbandsfunktionären - so wertet dies zumindest auch Christian Hey vom Sachverständigenrat für Umweltfragen:

    Das Thema Dosenpfand ist zwar eine umweltpolitische Maßnahme, aber ob es jetzt kommt oder nicht kommt, ist für die Lage der Umwelt insgesamt nicht von gravierender Bedeutung. Die Auseinandersetzung ist inzwischen eine politische geworden. Sind einmal getroffene Vereinbarungen zu halten oder nicht? Und insofern geht es auch um die Glaubwürdigkeit der Umweltpolitik insgesamt. Wenn man hier nachgegeben hätte im Bereich Dosenpfand, dann hätte sich die Umweltpolitik auch insgesamt lächerlich gemacht. Dann wäre sie zum Spielball von kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen geworden, und das war nicht hinnehmbar.

    Doch beim Dauerstreitthema Dosenpfand stellt sich auch die Frage nach der politischen Gestaltungskraft. Im Zuge des föderalen Beziehungsgeflechts von Bund und Ländern ist der Handlungsspielraum von Umweltminister Trittin begrenzt, von den europäischen Vorgaben ganz zu schweigen:

    Es wird für nationale Umweltpolitik schwieriger werden, in Zukunft sowohl gegen Imperative des europäischen Binnenmarkts als auch gegen Widerstände des Bundesrats gleichzeitig anzugehen. Das Beispiel Dosenpfand zeigt, es ist nach wie vor möglich, es kostet immense politische Energie, sich gegen beide Seiten zu wehren.

    Und diese Sandwichsposition des Umweltministers ist auch bei der Neuauflage der Verpackungsverordndung nicht folgenlos geblieben. Denn noch immer folge die Trennung in Pfandpflicht und Pfandfreiheit keiner klaren Logik, monieren die Kritiker. Anstatt sich allein an der Umweltverträglichkeit der Verpackung zu orientieren, spielt auch der Inhalt eine Rolle.
    Der Unionsabgeordnete Peter Paziorek sieht deshalb für die Novelle schwarz: Auch künftig werde das Dosenpfand mit erheblichen Akzeptanzproblemen bei den Verbrauchern zu kämpfen haben:

    Insgesamt muss man sagen, dass diese Verpackungsverordnung sehr widersprüchlich ist. Die Verbraucher werden noch ihr blaues Wunder in den Regalen erleben: Sie werden feststellen, dass eine Apfelschorle bepfandet werden muss, ein Fruchtsaftgetränk, was nicht CO2-haltig ist, wird von der Pfandregelung ausgenommen. Es wird hier nicht auf die ökologische Verträglichkeit der Verpackung abgestellt, sondern es wird darauf abgestellt, was für ein Inhalt drin ist. Damit ist es mehr ein Mittelstands-Förderprogramm, und es ist kein umweltpolitisches Programm, das nämlich ökologisch unverträgliche Verpackungen verdrängen will.

    Doch bei der Mehrheit der politisch Verantwortlichen gilt längst die Devise: Augen zu und durch. Nach den Dauerquerelen der letzten Jahre soll das Thema endlich von der politischen Agenda verschwinden. Im Bundesumweltministerium geht man, allen schlechten Erfahrungen zum Trotz, inzwischen von einem gewissen Automatismus aus.

    Nach der Verabschiedung der Novelle am kommenden Freitag im Bundesrat werden die Insellösungen abgeschafft. Dies dürfte den Mehrweganteil weiter stärken, denn gerade die abgeschotteten Rücknahmesysteme einiger Supermarktketten hatten teilweise wenigstens die Verbreitung von Einweg gefördert. Gleichzeitig wird der Handel durch den Wegfall der Insellösung gezwungen sein, ein bundesweit einheitliches Rücknahmesystem aufzubauen. Keiner werde es sich dabei erlauben können, die Pfandpflicht zu unterlaufen, bekräftigt Staatssekretär Baake:

    Das bedeutet, dass derjenige, der ohne entsprechende Pfandpflicht Ware anbieten würde, mit entsprechendem Bußgeld belegt werden kann. Es kann Zwangsgelder geben, auch täglich verhängt werden - das alles wird etwas sein, was die Wirtschaft nicht machen wird. Das haben wir auch letztes Mal gesehen. Sie sind dann eben eine Ausweichstrategie gegangen, sie sind in Richtung Insellösung gegangen. Oder haben aussortiert. Jetzt würde dann die komplette Insellösung nicht mehr zur Verfügung stehen. Das bedeutet, es gäbe dann nur noch die komplette Auslistung von Einweg, und das wird die Wirtschaft schon aus Eigeninteresse nicht machen.

    Also, am Ende ein Happy End? Beim Handel glaubt man nicht dran und gibt sich weiter kämpferisch. Wieder einmal geht es um Rechtsfragen, denn nach Ansicht des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels hat der Europäische Gerichtshof mit seinem gestrigen Urteil der Politik klare Vorgaben gemacht.

    Der Punkt ist, dass ein Rücknahmesystem existieren muss, funktionsfähig, in dem Moment, in dem das Dosenpfand in Kraft tritt. Deshalb muss das Dosenpfand erst einmal ausgesetzt werden. Ganz egal, wie es mit der Verpackungsverordnung weitergeht. Wenn der Bundesrat am Freitag die Novelle der Verpackungsverordnung beschließt, heißt das überhaupt nichts, weil weiterhin gilt, dass das Dosenpfand in Deutschland gegen EU-Recht verstößt. Wir erwarten, dass ausländische Getränkeanbieter die Pfandfreiheit für ihre Erzeugnisse in Deutschland durchsetzen werden.

    Sagt HDE-Sprecher Pellengahr. Doch selbst das bayerische Umweltministerium bewertet die Drohungen des Handels als letzte Rückzugsgefechte. Denn, so heißt es, es gebe bereits ein funktionierendes bundesweites Rücknahmesystem - das so genannte P-System für Tankstellen, Kioske und kleineren Verkaufsstellen von Einwegverpackungen. Entscheidend seien jetzt ohnehin die positiven Signale der EU-Kommission sowie die Annahme der Novelle durch die Ministerpräsidenten.

    Sollte die Neuregelung tatsächlich am Freitag beschlossen werden, wird sich die Verpackungsverordnung dennoch standesgemäß von der politischen Bühne verabschieden. Aufgrund der verschiedenen Ratifizierungsfristen und Übergangsregelungen könnte es passieren, dass ein Teil der neuen Pfandpflicht - vor allem für Erfrischungsgetränke - erst im Herbst 2005 in Kraft tritt. Dies wäre dann der letzte Akt im Trauerspiel um die deutsche Verpackungsverordnung.