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"Der Virus ist und bleibt eine Tierseuche"

Der Leiter der Influenza-Abteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Klaus Stöhr, ist der Überzeugung, dass die Bekämpfung der Vogelgrippe schwierig ist und länger dauern wird. Stöhr sprach von einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren für Asien, in Europa "sollte es schneller gehen". Das Virus sei aber eine Tierseuche, die nur ab und zu auf den Menschen überspringe, betonte Stöhr.

10.01.2006
    Heinlein: Guten Morgen, nach Genf

    Stöhr: Schönen Guten Morgen.

    Heinlein: Herr Stöhr, die Türkei muss mit der Vogelgrippe leben, so haben wir es gerade gehört. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Virus die Grenze auch nach Deutschland überschreitet?

    Stöhr: Ja, also erst mal sollten wir nicht hoffen, dass die Vogelgrippe in der Türkei noch lange existiert. Ohne Zweifel wird die Seuchenbekämpfung außerordentlich schwer und auch nicht kurzfristig zu bewältigen sein. Die explosionsartige Ausbreitung jetzt, die man beobachtet, ist höchstwahrscheinlich auf ein längerfristiges Bestehen der Seuche doch zurückzuführen, unter dem Mantel der schwachen Seuchenüberwachung. Man muss einfach sagen, dass die Seuche vielleicht sich schon länger ausgebreitet hat, als man es glaubte, und jetzt, mit dem verstärkten Interesse und besseren Aufmerksamkeit werden einfach mehr Fälle gefunden. Aber, in Asien wird es wohl drei bis fünf Jahre dauern, bis man die Seuche in den Griff bekommt. In Europa sollte es schneller gehen. Die Methoden und Verfahren sind eigentlich da und erprobt, man muss sie nur umsetzen, konsequent. Das wird etwas Zeit, aber in jedem Fall wohl auch viel Geld kosten.

    Heinlein: Der Weg des Virus von Asien nach Europa in die Türkei hat nur wenige Monate gedauert. Deshalb noch einmal die Frage, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Virus auch in Deutschland ankommt?

    Stöhr: Ohne Zweifel steigt das Risiko, dass die Seuche sich weiter ausbreitet. Man muss aber hier unterscheiden: Die Seuche ist nach Europa über Zugvögel gekommen, von höchstwahrscheinlich Zentralasien, China über die Mongolei nach Kasachstan, Russland, Ukraine, Rumänien, nun die Türkei, schon vor längerem eigentlich, vor einigen Monaten. Aber jetzt breitet sich die Seuche in der Türkei nicht mehr über Zugvögel aus, das geht über Tierverkehr, Tiertransporte, kontaminierte Futtermittel, Personen und sicherlich auch, und diese Art der Weiterverbreitung trägt ein größeres Risiko jetzt in sich, dass die Seuche auch in andere Länder sich verbreitet, besonders, und das ist ganz wichtig, über infizierte Tiere, die dann lebend exportiert werden.

    Heinlein: Also sind illegale Fleischimporte aus der Türkei nach Deutschland in der Tat eine Gefahr und hier müssen Kontrollen verstärkt werden.

    Stöhr: Ja, ohne Zweifel. Es ist überhaupt keine gute Idee aus der Türkei oder anderen Ländern, die die Vogelseuche haben, Lebendtiere, also Produkte mitzubringen, Federn und so weiter, das ist hoch risikobehaftet und die deutschen und auch die anderen nationalen und veterinären Gesundheitsbehörden sehen das sicherlich genau so und werden sicherlich auch sich genau überlegen in der europäischen Kommission was man unternehmen muss.

    Heinlein: Wie aggressiv ist denn dieser Virus? Was weiß die WHO darüber? Die Ansteckungsgefahr scheint ja relativ hoch.

    Stöhr: Die Ansteckungsgefahr für den Menschen hat sich offensichtlich nicht verändert. Wir haben in Asien geringe Anzahl von Fällen gesehen, über 140 in der Größenordnung, jetzt haben wir Fälle in der Türkei, einfach weil die Geflügelseuche so weit verbreitet ist. Aber das Virus ist und bleibt, hoffentlich noch für lange, eine Tierseuche, die ab und zu mal auf den Menschen überspringt. Wie sehen überhaupt noch keine Anzeichen darauf, dass eine verstärkte Mensch zu Menschübertragung stattfindet, aber, wir wollen das natürlich auch ausschließen, deswegen ist unser WHO-Team unten in Anatolien, in den Krankenhäusern, und da gibt es, wie gesagt keine Anzeichen darauf, dass sich die Seuche stärker auf den Menschen ausbreitet.

    Heinlein: Aber von Fall zu Fall, Herr Stöhr, wenn ich sie richtig verstehe, genügt der unmittelbare Kontakt mit diesem infizierten Geflügel, um sich dann tatsächlich mit H5N1 anzustecken.

    Stöhr: Genau, das ist die einzige und wichtigste Infektionsquelle für den Menschen: Der Kontakt, der enge Kontakt mit Geflügel, besonders mit Federn beim Rupfen, wenn viel Staub entsteht, wenn das nicht richtig gehandhabt wird, dann wird das Virus über den Staub aerosoliert, also gelangt an die Luft, Personen atmen den ein, aber sicherlich auch über kontaminierte Hände, kann der Erreger in den Munde, in die Nase in die Augen gelangen, und das sollten die wichtigsten Infektionsquellen sein und so kann man sich ja dann auch schützen. Wenn man in die Türkei reist, dann geht man halt nicht auf die Geflügelhöfe, da wird man die Lebendtiermärkte meiden, in Ankara sind sie ja schon verboten. Alles das macht Sinn.

    Heinlein: Kann man denn in der Türkei, wenn man denn als Tourist hinreist, gefahrlos jetzt noch einen Geflügeldöner essen, oder sollte man das eher unterlassen?

    Stöhr: Also, das Virus ist außerordentlich hitzeempfindlich, bei 70°C ist es innerhalb von Minuten, Sekunden verschwunden. Alles was gut gekocht, gebraten ist, hat überhaupt kein Risiko. Also man kann sich seinen Döner oder auch andere Geflügelprodukte noch sehr gerne genehmigen. Auch in der Türkei.

    Heinlein: Nun haben Sie gesagt es wird lange dauern, drei bis vier Jahre, wenn ich Sie richtig verstanden haben, bis die Seuche tatsächlich ausgerottet ist in Asien. Wann wird es denn wirksame Medikamente oder Impfstoffe gegen die Vogelgrippe, gegen den H5N1-Virus geben?

    Stöhr: Also gegen die Tierseuche gibt es ja schon Impfstoffe, schon viele Jahre. Der hat aber so einen kleine Haken der Impfstoff, der ist nicht, so wie man das erwartet für den Menschen, dass man das Hühnchen impft, das Hühnchen ist glücklich und gesund und scheidet auch keinen Erreger mehr aus. Das ist leider nicht der Fall. Wenn man jetzt anfängt die Tiere zu impfen, dann scheiden die immer noch den Erreger aus, falls der in der Gegend ist, das ist natürlich ein hohes Infektionsrisiko, das geht also nicht so ganz gut. Falls dieses Geflügelvirus, hat es ja noch nicht, aber falls es sich verändern sollte, und das befürchten wir ja, und das Risiko nimmt ja eigentlich zu mit der Weiterverbreitung des Geflügelgrippevirus, also falls dieser Erreger sich umwandelt in einen Menschenvirus, dann muss die Impfstoffproduktion sofort beginnen, das kann man nicht vorher anfangen, und wir gehen davon aus, dass die Kapazitäten gegenwärtig dafür ausreichen, innerhalb von ungefähr neun, zehn Monaten umgerechnet 900 Millionen Impfdosen herzustellen, weltweit, es wird nicht für alle ausreichen, aber sicherlich für die Länder, in denen solche Betriebe existieren, würde sicher von großem Vorteil sein.

    Heinlein: Herr Stöhr, der späte Winter, also die jetzige Jahreszeit, ist ja die Zeit für Grippewellen, erhöht dies insgesamt die Infektionsgefahr?

    Stöhr: Also, es gibt glücklicherweise keinen Zusammenhang zwischen diesem Geflügelgrippevirus und einer möglichen Pandemie und dem was wir jedes Jahr sehen. Jedes Jahr kommt es ja im Herbst, Winter zu einer Grippewelle, die wird von einem anderen Influenzavirus verursacht, der Impfstoff funktioniert leider nicht gegen das Geflügelgrippevirus, aber ich kann ihren Hörern allen nur empfehlen, besonders die die chronische Erkrankungen haben, der Lunge, des Herzens, Magen-Darm-Kanal, Nieren und die schon etwas älter sind, sich die normale Grippeimpfung zu holen, die macht Sinn, man kann damit doch schweren Erkrankungen vorbeugen und jedes Jahr sterben in Deutschland ja auch mehr Leute an der Grippe als an Verkehrsunfällen. Also, Grippeimpfung ist eine gute Idee.

    Heinlein: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Klaus Stöhr, Leiter der Influenzaabteilung der WHO. Ich danke Ihnen für das Gespräch und Aus Wiederhören nach Genf.

    Stöhr: Ich danke auch.