Donnerstag, 28. März 2024

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Der Vulkan La Soufrière auf Guadeloupe
Auf dem Dach der Kleinen Antillen

Die Insel Guadeloupe ist die größte der Inselkette der Kleinen Antillen. Der höchste Berg der "Inseln über dem Winde" ist der Vulkan La Soufrière. Um ihn zu erklimmen, muss man einiges auf sich nehmen, unter anderem Regen, Wind und Schwefelgase. Doch der Aufstieg lohnt sich.

Von Cornelius Wüllenkemper | 17.02.2019
    Blick von la Soufrière auf Guadeloupe durch Wolken.
    La Soufrière, Guadeloupe (Deutschlandradio / Cornelius Wüllenkemper)
    Wer das Auto am Fuße des Vulkans stehenlässt, wird überwältigt vom tiefen Grün des Regenwalds. Entlang des Wasserlaufs, der nur einer der vielen Arme der Bergquellen auf Guadeloupe ist, wachsen Palmen, Farne, riesige Bäume, umrankt von Lianen und unterschiedlichsten Gewächsen, zwischendurch sprießen immer wieder knallig bunte, unwiderstehlich duftende Blumen hervor. Kolibris saugen ihre Blütenkelche aus, während die stets freundlich blickenden Geckos blitzschnell im Unterholz verschwinden. Wer die Ohren spitzt, hört die Rufe der heimischen Vögel.
    Die Insel Guadeloupe, französisches Staatsgebiet, ist die größte der Inselkette der Kleinen Antillen. Der höchste Berg der sogenannten "Inseln über dem Winde" ist der Vulkan La Soufrière. Als Christoph Kolumbus Guadeloupe 1493 auf seiner zweiten Reise entdeckte, gab es das heutige Bergmassiv noch nicht, es entstand erst bei einem gewaltigen Ausbruch um 1530. Heute erhebt sich das Kraterplateau der Soufrière mächtig, ja bedrohlich aus dem dichten Regenwald über die Insel. Dort oben wollen wir heute hinauf.
    "Ich bin Patrice Segretier, Verantwortlicher des Nationalparks Guadeloupe und ausgebildeter Naturführer."
    Jäger, Bergführer, "Kind des Waldes"
    Patrice ist ein Vollprofi. Wir treffen ihn wie verabredet auf einem Parkplatz am Fuße des Vulkans. Schlank und hoch gewachsen, zwei äußerst wache, leuchtende Augen, sonnengegerbte Haut, Wanderoutfit. Seit 30 Jahren arbeitet Patrice im Nationalpark von Guadeloupe, zuvor war er Jäger und Bergführer, bereits seit frühen Tagen ein "Kind des Waldes", wie er sagt. Den letzten großen Ausbruch des Vulkans 1976 hat er hautnah miterlebt, kennt all die Geschichten und Märchen, die sich um den mythischen Ort auf dem "Dach der Antillen" ranken. Aber zunächst wenden wir uns den zwei Wasserbecken zu, die direkt hinter uns liegen.
    "Hier sind wir an den sogenannten Bains jaunes. Die ersten, die die Landschaft rund um die Soufrière erkundet haben, waren die französischen Beamten der Kolonialverwaltung. Am Wochenende sind sie hier hinaufgewandert, zur Erholung und auch zur Jagd. Hier an den Quellen haben sie übernachtet. Warmes Wasser, so um die 30 Grad, ein wenig Schwefel und besonders eisenhaltig und daher äußerst entspannend für müde Beine!"
    Tropenpflanzen liefern Medikamenten-Wirkstoffe
    Das Eisen und der Schwefel im Wasser der "Bains jaunes", der "Gelben Bäder" schimmert deutlich vom Grund hinauf zur Wasseroberfläche. Die heilende Wirkung des Bassins ist nicht die einzige Wohltat des Jungles am Fuße der Soufrière.
    "Wir sind hier in einem feuchten Tropenwald, wie man sieht, wachsen die Bäume sehr hoch. Imposant, oder?! Auf unserem Weg nach oben werden wir eine Vielzahl an verschiedenen Spezies sehen, für Botaniker ist das hier wie ein Spielplatz! Die Pflanzen geben Auskunft über die Entwicklung des gesamten Naturkreislaufs.
    Frangipani-Blüten auf Guadeloupe.
    Frangipani-Blüten (Deutschlandradio / Cornelius Wüllenkemper)
    Zugleich liefern unsere tropischen Pflanzen wichtige Wirkstoffe für viele Medikamente. Es regnet hier bis zu zehn Meter pro Quadratmeter im Jahr, wir befinden uns also an einem der feuchtesten Orte der Erde. Würde mich nicht wundern, wenn wir heute davon etwas abbekommen."
    Meint Patrice und deutet uns den Weg hinauf zum Vulkanmassiv von La Soufrière. 300 Tage im Jahr liegt die "Vieille Dame", die "Alte Dame" in dichten Wolken. Die Temperaturen sinken auf dem Gipfel immerhin bis auf 15 Grad – eine Eiseskälte für karibische Verhältnisse. Dazu wehen sturmartige Winde.
    "Das feuchte Klima und die ganzjährige Sonne lassen die Natur nur so sprießen. Das merkt man auch an den Vögeln. Da hören Sie, das zum Beispiel ist ein Sucrier."
    "Und jetzt hört man einen ganz wichtigen Vogel: den Pic de la Guadeloupe, den es nur hier gibt."
    Wer etwas Geduld und Glück hat, wird hier auch etliche bunt schimmernde Kolibri-Arten entdecken, äußert streitfreudige Amazonenpapageien und unzählige weitere Spezies, vom braunen Zitterer bis hin zum sogenannten Spötter der Savanne. Seit dem Hurrikane Maria im vergangenen September haben sich einige Vogelarten zurückgezogen, erzählt Patrice, der Sturm habe ihren Lebensraum zerstört. Aber die Natur lässt sich nicht aufhalten, ist er sich sicher, das Leben geht weiter.
    Naturgewalten als Wunder, Lebensquell, Bedrohung
    Blick auf La Soufrière in Guadeloupe.
    Blick auf La Soufrière in Guadeloupe (Deutschlandradio / Cornelius Wüllenkemper)
    Vulkanausbrüche, Hurrikanes, ein undurchdringlicher Regenwald: Die Kräfte der Natur sind tief in die Seele der Guadeloupener eingeschrieben, als Wunder, als Lebensquell - und als Bedrohung. Dass man den Wald aus Neugier durchwandert und als Ort der Erholung begreift, kommt so manchem Autochthonen bis heute ziemlich komisch vor.
    "Das hat mit unserer Geschichte zu tun. Die Sklaven der französischen Kolonialherren flüchteten sich manchmal in den Wald. Die Franzosen haben aus dem Wald einen Ort des Schreckens gemacht, an dem böse Dunkelhäutige ihr Unwesen treiben, die sogenannten 'nègres marrons', entlaufene Sklaven. Bis heute rankt sich ein ganzer Mythos um sie. Sie verließen nachts den Wald und suchten in den umliegenden Dörfern nach Nahrungsmitteln. Viele Guadeloupener trauen sich bis heute nicht in den Wald, weil sie Angst vor dem 'nègre marron' haben. Der Wald ist traditionell den Jägern und Bauern vorbehalten, weil die sich verteidigen können. Den Kindern, mit denen ich manchmal Touren durch den Regenwald mache, sage ich: es gibt hier keine 'nègres marrons'. Den letzten, den ich gesehen habe, habe ich heute Morgen im Spiegel gesehen!!"
    Unser Weg führt uns immer weiter durch den Regenwald hinauf in Richtung Vulkan. Ein beständiger, warmer Regen setzt ein, dichter Nebel umhüllt uns, die Sichtweite beträgt nur wenige Meter.
    "Hier sind wir an der Savane à Mulets angekommen, der Regenwald liegt hinter uns, die Vulkanlandschaft beginnt. Die Soufrière funktioniert wie ein Schnellkochtopf mit Sicherheitsventil. Der Untergrund ist mit Regenwasser durchtränkt. Bei tektonischen Verschiebungen heizen sich diese immensen Wasservorräte auf, verdampfen und drängen an die Erdoberfläche. Entweder durch bereits bestehende Löcher, oder sie bahnen sich ihren Weg und lösen große Felsbrocken, wie diesen hier vor uns. Aus diesen Spalten treten dann Wasserdampf, Felsenstaub und verschiedene giftige Gase aus."
    Phreatische Eruption in 1976
    Patrice zeigt auf einen massigen Felsbrocken von etwa drei Metern Durchmesser. Die letzte sogenannte phreatische Eruption, bei der kein Magma, sondern Gestein und Wasser austritt, erlebte Guadeloupe 1976. Ein Großteil der Süd-Insel wurde über Monate evakuiert, mit wirtschaftlichen Folgeschäden, die bis heute spürbar sind. Die Menschen hätten damals fluchtartig ihre Häuser, Höfe und Geschäfte verlassen, zahlreiche Flüchtende seien im Getümmel auf den Straßen verletzt worden. Die Soufrière bleibt der wunde Punkt im kollektiven Unterbewusstsein der Guadeloupener.
    "Im Falle eines Magma-Ausbruchs fällt der gesamte Krater in sich zusammen. Wie eine Zeitbombe. Alles wird zerstört, die Soufrière, wie wir sie jetzt hier im Nebel verschwinden sehen, würde nicht mehr existieren, es gäbe den ganz großen Knall. Der Vulkan La Soufrière ist einer der gefährlichsten der Welt. Das soll uns aber nicht davon abhalten, heute da hochzugehen ..."
    Sagt unser Guide Patrice mit einem schelmischen Lächeln, zieht sein Regencape tiefer ins Gesicht und setzt den Weg fort. Die reiche Vegetation vom Ausgangspunkt in rund 1.000 Metern Höhe weicht zusehends einfachen Gräsern und dicken, feuchten Mooswänden auf schroffen Felswänden. Die Vogelrufe werden seltener, bis sie schließlich ganz verschwinden.
    "Man sieht, dass es stark geregnet hat, diese Moosschicht war letzte Woche noch nicht da. Schade, dass unsere Zuhörer nur meine Stimme hören, aber glauben Sie mir, dieses Farbenspiel ist paradiesisch! Farbtöne wie auf einer Maler-Palette. Die Moose sind vollgesogen mit Wasser, ich kann sie mit bloßer Hand eindrücken wie einen Schwamm. Da, toll oder?"
    Moos, Schwämme, Flechten, Mull
    Tatsächlich hat man den Eindruck, in einer Art Spielzeugwelt gelandet zu sein, so schillernd sind die Farben von Moos, Schwämmen, Flechten und Mull, die Akustik der ganzen Umgebung wird unwirklich gedämpft durch die bis zu 1,5 Meter dicken Gewächsschichten, die uns umgeben.
    "Von der Farbe des Mooses können wir ablesen, wie viel es geregnet hat. Wenn die Tropfen in der Nachmittagssonne glitzern, taucht das die ganze Umgebung in ein wunderschönes gedämpftes Licht. Das Moos ist zugleich ein Wasserspeicher. In trockenen Zeiten habe ich hier oben schon aus dem Moos getrunken. Unsere Messgeräte zeigen uns hier zum Teil Feuchtigkeitswerte über 100 Prozent an, kaum zu glauben, oder?"
    Je höher wir steigen, umso kleiner werden die Gewächse, bis sie fast ganz der felsigen Umgebung weichen. Auf dem Boden finden sich zunehmend kleine gelbliche Schwefelkristalle, ein eindeutiger Hinweis darauf, dass wir bald am Ziel sind. Der Wind nimmt merklich zu. Noch ein paar Meter bis zum "Dach der Kleinen Antillen", dem Kraterplateau La Soufrière.
    Am Eingang zum Gipfelplateau weht der Wind so stark, dass man sich kaum aufrecht halten kann. Voller Körpereinsatz. Nicht umsonst heißt der schmale Felsdurchgang "Porte de l’enfer", Höllentor.
    "Der Fels hier vorne sieht ein wenig aus wie der Kopf eines Gorillas. Die Leute nennen ihn Beelzebub-Felsen. Und der Tümpel da vorne heißt Teufelstümpel. Alles Namen, die den Menschen einbläuen sollen, diesen Ort besser zu meiden. Die tiefe Angst vor dem Vulkan ist in der Vorstellungswelt der Guadeloupener noch immer sehr verbreitet."
    Nach ein paar Schritten gelangen wir an eine große Felsspalte, aus der mit einigem Druck Dampf emporschnellt. Tatsächlich erinnert der Anblick an einen Schnellkochtopf.
    "Willkommen in der Hölle! Kein Wunder, dass die Leute bei diesen Namen Angst haben, die Soufrière zu besteigen. Es gibt viele Einheimische, die noch nie hier oben waren und es auch nie sein werden. Obwohl wir seit dreißig Jahren versuchen, das zu ändern. Denn dank unseres Vulkans haben wir jede Menge Trinkwasser auf Guadeloupe, alle Quellen und unsere wunderschönen Wasserfälle werden durch La Soufrière gespeist. Wir haben Glück, diesen Vulkan zu haben!"
    Giftiger, gefährlicher Schwefelgeruch - ein neuer kleiner Krater
    Ein wenig unheimlich wird es dann schon noch. Vorbei an erloschenen Kraterlöchern stoßen vor in einen derzeit abgesperrten Bereich des Plateaus vor. Ziemlich genau so stellt man sich landläufig die Oberfläche des Mondes vor. Hier oben scheint wirklich nichts mehr zu leben, nur Felsen, Messgeräte sind zu sehen, an denen Schläuche in leise blubbernde, gelbliche Schlammtümpel führen. Aus handteller-großen Löchern im Boden entströmt heiße Luft – so heiß, dass man sich ihnen nur sehr vorsichtig nähert. Das Luft-Gas-Gemisch ist zudem nicht ungiftig. Starker Schwefelgeruch steigt in die Nase.
    "Wir befinden uns hier jetzt im aktivsten Teil des Kraterplateaus. Hier darf man wirklich nur mit ausgebildeten Mitarbeitern des Nationalparks hin, seit 2014 ist der Bereich offiziell gesperrt, weil einige neue Aktivitäten gemessen wurden. Merken Sie, wie der ganze Boden sehr warm ist. Hier vor uns ist einer der neuen kleinen Krater."
    Aus einer etwa 30 Zentimeter großen, gelb eingefärbten Felsspalte im Boden entweicht mit einigem Druck ein Dampfstrahl. Ein paar Schritte weiter blubbert ein gelblicher Tümpel, dem wir uns aber nicht nähern – die austretenden Gase sind zu gefährlich.
    "Bis jetzt haben wir keine definitiven Anzeichen für einen Lava- Ausbruch in den kommenden Jahren. Aber wir werden weitere Abenteuer mit unserer "Alten Dame" erleben, so viel ist sicher. Die Soufrière ist sehr gut überwacht und man sollte sie sich unbedingt anschauen. So viel kann ich sagen."
    Meint Patrice, unser Guide und Geschichtenerzähler. Der Vulkan La Soufrière und der Regenwald unter ihm, sind seine Welt. 1.500 Mal sei er in den vergangenen Jahren hier oben gewesen, erzählt er, und immer wieder mache er entdecke er Unbekanntes und staune über unendliche Erneuerungskraft der Natur. Auf dem "Chemin des Dames", einem bequemen Abstieg, stapfen wir zurück zum Ausgangspunkt an die "Gelben Bädern". Es stimmt: Wer die Soufrière erklommen hat, durch Regen, Starkwind und Schwefelgase gewandert ist, hat sich eine Ruhepause in den warmen Bassins am Fuße des Vulkans verdient.