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Der Wald verdurstet

Im Süden Hessens sind Wälder durch Wassermangel gefährdet. Der Gernsheimer Stadtwald weist bereits viele abgestorbene Eichen auf. Zu den Ursachen des Wassermangels zählen die Zersiedelung der Landschaft und die Trinkwassergewinnung.

Von Ludger Fittkau | 25.07.2011
    "Die Katastrophe besteht darin, dass im Hessischen Ried durch die Grundwasserentnahmen jetzt schon über 10.000 Hektar Wald akut gefährdet sind. Dass weiß man auch in der Politik, das weiß man auch in der Forstverwaltung, das ist vielfach dokumentiert. Das wissen alle, aber es passiert nichts. Es muss gehandelt werden, denn der Wald stirbt. Und wenn nicht bald was passiert, dann ist der Wald weg."

    Thomas Norgall ist Naturschutzreferent der BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Hessen. Besonders schlimm sei das Waldsterben im Stadtwald von Gernsheim am Rhein. Das liege vor allem daran, dass der staatliche Trinkwasser-Produzent Hessenwasser unter dem Wald Grundwasser fördert und zu wenig Rheinwasser zurück in den Boden infiltrieren lasse, so Gernsheims Bürgermeister Peter Burger.

    "Ja, wir haben in der Tat Kummer. Denn der Gernsheimer Stadtwald ist von massiven Trockenschäden betroffen. Die aktuelle Infiltration von etwa 12 bis 15 Millionen Kubikmeter im Jahr reicht nicht aus, um den Gernsheimer Stadtwald vor diesen Schäden zu bewahren. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass vor allem alte Eichenbestände absterben."

    Seit Mitte der 1960er-Jahre stieg die Grundwasserförderung in Südhessen stark an. Hier wird Trinkwasser für den gesamten Ballungsraum Rhein-Main gefördert. Die Wälder schützten dabei das Wasser vor Fremdstoffen – beispielsweise Düngemitteln, wie sie von landwirtschaftlichen Flächen in das Grundwasser gelangen können. Doch der Grundwasserspiegel wurde dabei zu stark gesenkt, so Thomas Norgall vom BUND:

    "Heute steht der Grundwasserspiegel bei dreieinhalb Meter unter Flur, aber die Wurzeln kommen nur bis zwei Meter tief in die Erde, sodass sie eben gar nicht das Grundwasser erreichen und der Wald stirbt weiter."

    Das hessische Umweltministerium hat nun für den Spätsommer die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie angekündigt, die darstellen soll, wie das Waldsterben noch zu stoppen sein könnte. Ein Problem sind jedoch Neubaugebiete in der Nähe der südhessischen Wälder. Wenn nun der Grundwasserspiegel wieder erhöht würde, um den Wald zu retten, könnten davon die Neubaugebiete von Nachbarkommunen betroffen sein, so Gernsheims Bürgermeister Peter Burger. Er spricht von einer "Genehmigungssünde". Diese Bebauung hätte seiner Meinung nach nie bewilligt werden dürfen:

    "Sünder waren in diesem Fall die Gemeinden, die in Gebieten, die man früher klassischerweise nicht bebaut hat, Bebauung ermöglicht haben. Und Sünder ist in diesem Fall auch das Regierungspräsidium gewesen, das diese Bebauung genehmigt hat."

    Das Regierungspräsidium hat seinen Sitz in Darmstadt – eine Stadt, die selbst massiv vom Waldsterben in der Region betroffen ist, so Thomas Norgall vom BUND Hessen:

    "Man weiß, seit Mitte der 90er-Jahre ist es auch publiziert, dass etwa elf Prozent der Wälder im ganzen Rhein-Main-Gebiet oder rund 30.000 Hektar von diesem Problem bedroht sind. Die Stadt Darmstadt hat etwa den sogenannten ‚Westwald’. Der ist immer schon wichtig gewesen, damit der Sand nicht aus der Rheinebene in die Stadt hinein fliegt. Auch diesem Wald geht es zum Beispiel erschreckend schlecht auf mehreren Tausend Hektar. Man sieht dort Bereiche, da darf der Spaziergänger schlicht und einfach nicht mehr hinein, weil die Bäume zusammenbrechen. Das ist kein geschlossener Wald mehr, wie man ihn gängigerweise kennt, wenn man von Wäldern spricht."

    Das Waldsterben im Rhein-Main-Gebiet ist wohl nur noch durch aufwendige technische Lösungen zu stoppen. Der Gernsheimer Bürgermeister Peter Burger schlägt für seinen Stadtwald vor, den Grundwasserspiegel wieder zu erhöhen und gleichzeitig durch Brunnenbohrungen rund um den Wald zu verhindern, dass die Keller benachbarter Siedlungen volllaufen.

    "Es bestehen aber durchaus technische Möglichkeiten, das Wasser im Gernsheimer Stadtwald aufzuspiegeln und an der Peripherie des Waldes durch Brunnen, die man dort bohrt, um das Wasser wieder anzusenken. So könnte – bildlich gesprochen – ein Wasserberg unter dem Wald entstehen."

    Für die meisten der mehrere hundert Jahre alten Eichen im Gernsheimer Stadtwald kommt dies jedoch zu spät. Sie sind bereits abgestorben.