Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Der Walnuss-Urwald in Kirgistan

Zur Adventszeit wurde sie wieder fleißig geknackt, die Walnuss, die sich in den Wintermonaten hierzulande großer Beliebtheit erfreut. Ursprünglich kommt diese Steinfrucht aus dem fernen Zentralasien. Der Legende nach soll Alexander der Große sie auf einem seiner Feldzüge dort entdeckt und nach Griechenland mitgebracht haben, von wo sie sich weiter ausbreitete - bis in unsere Gärten.

Von Barbara Mohr | 24.12.2004
    Im Ursprungsgebiet in Kirgistan befindet sich noch ein natürlich erhaltener Walnusswald - und wie einige Fachleute behaupten, der überhaupt einzige Walnuss-Urwald der Welt. Die ältesten Bäume sind über 200 Jahre alt. Sie wachsen am Fuße des bis zu 7000 Meter hohen Tienschan-Gebirges vor atemberaubendem Panorama. Nur mit dem Pferd kann man sich auf den steinigen Trampelpfaden fortbewegen. Neben den großen, knorrigen Walnussbäumen finden sich hier auch wilde Pflaumen, Äpfel und Birnen. Viele der Pflanzenarten kommen ausschließlich in dieser Region vor und bilden somit ein weltweit einmaliges Ökosystem.

    Mit dem Urwald im Süden Kirgistans beschäftigt sich zurzeit ein Team von Wissenschaftlern der Universitäten Erlangen und Greifswald. Ihr Interesse gilt jedoch nicht nur dem einzigartigen Naturraum. Die Forscher untersuchen vor allem, welche Bedeutung der Wald für die Menschen in der Region hat. Projektmanager und Kulturgeograph Matthias Schmidt erklärt warum:

    Nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen ist, haben sehr viele Menschen hier ihren Arbeitsplatz verloren. Das wirtschaftliche System wurde ja umgestellt, von der Planwirtschaft hin zur Marktwirtschaft. Und das ist einfach spannend, das jetzt zu verfolgen, weil hier sehr, sehr viel passiert.

    Ihre Forschungsarbeit konzentriert sich auf die Region um das Bergdorf Arslanbob. Von hier brechen die Wissenschaftler zu ihren Erkundungstouren in den Wald auf. Und in Gesprächen mit den Einwohnern erfahren sie, welche Rolle die Walnuss vor der Unabhängigkeit Kirgistans gespielt hat.

    Zu Sowjetzeiten war ganz interessant, dass die Leute selbst nie wussten, was mit diesen Walnüssen passierte. Sie hatten einen Plan bekommen, sie mussten sämtliche Walnüsse abgeben. Das ist eine sehr seltsame Situation, dass die Menschen, die direkt an diesen Walnusswäldern wohnen, keine Walnüsse gegessen haben. Das wurde auch wirklich streng kontrolliert.

    Die geernteten Nüsse wurden aus Südkirgistan bis nach Moskau transportiert. Um die Vermarktung kümmerten sich sozialistische Bauerngenossenschaften. Die Bewohner von Arslanbob machten sich keine weiteren Gedanken darüber. Doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich einiges geändert, wie Matthias Schmidt erklärt.

    Die Leute müssen sich ganz umorientieren, sie müssen jetzt selbst schauen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wenn sie keinen Arbeitsplatz mehr haben, keinen festen, oder selbst wenn sie eine Einstellung haben – ein Lehrer verdient etwa 600 Som im Monat, das sind 12 Euro. Das reicht nicht aus um eine Familie zu ernähren.

    In Arslanbob hat daher die Walnussernte wieder an Bedeutung gewonnen. Zumindest für einige Monate im Jahr können sich die Einwohner des Bergdorfs so etwas dazuverdienen. Seit die Arbeitslöhne nicht mehr staatlich geregelt sind sondern vom Umfang der Ernte abhängen, ist jedoch auch der Druck auf den Naturhaushalt gewachsen.

    Die Wälder sind nach wie vor in staatlichem Besitz. Im Herbst, wenn die Früchte reif sind, werden sie in einzelne Parzellen unterteilt. Diese können von Familien gepachtet und abgeerntet werden.

    Die zieht dann meistens mit den zwei drei Kühen, die sie noch haben, in den Wald, schlagen ihre Zelte auf unter den Bäumen und bewachen erst mal das Territorium. Die Not ist sehr groß, viele Leute ernten dann schon illegal, also auf Gebieten, die ihnen nicht zugeteilt worden sind, Walnüsse ab. Und das versuchen sie natürlich dadurch zu verhindern, leben dann drei, vier Wochen im Wald. Meist haben sie dann das Vieh dabei, das dort weidet.

    Für den Wald sind die grasenden Tiere eine enorme Belastung. Sie fressen die Jungpflanzen ab, die für seinen langfristigen Erhalt notwendig sind. Auch illegale Abholzung wird immer mehr zum Problem. Vor allem die großen Knollen, die am Stamm alter Walnuss-Bäume wuchern, sind wegen ihrer feinen Maserung sehr wertvoll. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben europäische und nordamerikanische Holzhändler den kirgisischen Wald entdeckt.

    Eine solche Maserknolle kann also hier schon locker den Wert von 1000 Dollar haben und das ist für die Leute hier sehr, sehr viel Geld. Und diese Vertreter, die sind also schon fleißig tätig gewesen. Es wurden bereits die besten Bäume in den 90er Jahren gefällt.

    Nur eine nachhaltige Nutzung kann den bedrohten Wald auf Dauer am Leben erhalten. Dafür setzt sich auch Matthias Schmidt ein.

    Ich hoffe, dass wir da vom Projekt auch einen ganz guten Beitrag leisten können, dass wir diese Wälder schützen können und vielleicht auch den Menschen eine gewisse Hilfe leisten können dadurch.