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Der Weissbooks Verlag

Die beiden ehemaligen Suhrkamp-Mitarbeiter Rainer Weiss und Anya Schutzbach haben in diesem Frühjahr mit ihrem eigenen Verlag "Weissbooks" das Premieren-Programm vorgelegt und damit große Aufmerksamkeit erregt. Nun geht es für den 59-jährigen Rainer Weiss und die 44-jährige Anya Schutzbach in die zweite Runde - jetzt erst wird sich erweisen, wie ihr Verlag von der Branche und vom Publikum angenommen wird.

Von Ulrich Rüdenauer | 25.08.2008
    "Kaisersack" nennt der Frankfurter die Schleuse zwischen Bahnhofsvorplatz und Kaiserstraße. Für den Reisenden sind es hier nur wenige Schritte von der DB Lounge in die Halbwelt. In der Kaiserstraße reiht sich ein Bordell an den nächsten Sexshop, und die Bankentürme am Horizont illustrieren dem Ankommenden deutlicher als irgendwo sonst in der Republik, wie nahe die verschiedenen Sphären des Geldverdienens sich manchmal kommen können.

    Zwischen den bunt blinkenden und rötlich schimmernden Etablissements in der Kaiserstraße haben sich aber auch ganz andere Gewerbetreibende angesiedelt, Kulturmacher und Kulturbeflissene, Verlage und Szene-Locations: Der in den letzten Jahren arg darbende Eichborn-Verlag hat seinen Sitz mitten im Rotlichtmilieu, Schöffling & Co. residieren gleich um die Ecke; die Frankfurter Verlagsanstalt wird bald aus dem Stadtteil Bockenheim weg und ins Bahnhofsviertel ziehen; vor einiger Zeit fand man hier noch die legendäre Galerie Fruchtig, ein der Avantgarde zugeneigter Musik- und Künstler-Club.

    Und nun gibt es einen weiteren Ort, an dem das Wahre, Schöne, Gute zu Hause sein will: In einem der großen Bürgerhäuser am Kaisersack, wo unten glanzlose Schmuckgeschäfte und in den oberen Etagen die mit Millionen jonglierenden Werber sitzen, hat der vor wenigen Monaten gegründete Weissbooks Verlag seine Büroräume gemietet. Erst kürzlich ist man eingezogen; noch sind die Handwerker zugange, und wo die anderen Firmen im Eingangsportal mit polierten Messingschildern protzen, signalisiert noch ein provisorischer Computerausdruck, dass im dritten Stock "Weissbooks" die Produktion aufgenommen hat. Tritt man dort oben ans Fenster, kann man dem Verleger Klaus Schöffling im gegenüberliegenden Haus zuwinken: Frankfurt ist klein und im Kulturbereich sehr überschaubar.

    Weissbooks ist das Projekt zweier Büchermacher mit Vergangenheit: Rainer Weiss, der Namensgeber, begann seine Verlagskarriere in den achtziger Jahren beim Piper Verlag in München, bevor er von Siegfried Unseld zu Suhrkamp geholt wurde. Zuletzt war er Programmgeschäftsführer aller zu Suhrkamp gehörenden Häuser, bis es vor zwei Jahren zu einem Zerwürfnis mit der Witwe Unselds und neuen Verlegerin Ulla Berkéwicz kam: unerfreuliches Ende einer langen Liaison mit dem bedeutsamen und schillernden Verlagshaus, das nicht erst in den letzten Jahren einige seiner wichtigsten Mitarbeiter vergrault hat. Anya Schutzbach leitete bei Suhrkamp zuletzt die Marketingabteilung - war stark in das operative Geschäft eingebunden.

    Schutzbach: "Ja, wir waren beide bei Suhrkamp, aber wir waren jeder für sich bei Suhrkamp. Und jeder hat dort seine Dinge getan. Und so gingen wir auch auseinander. Und wir begegneten uns auch erst dann wieder, als wir beide draußen waren, sozusagen als zwei, die gegangen sind, sind wir uns begegnet hier im Westend auf Spaziergängen und haben uns so erzählt, wie wir uns das Leben nach Suhrkamp vorstellen. Und da hatte auch jeder seine eigenen Vorstellungen. Und nach dem dritten, vierten, fünften Mal stellten wir fest, dass wir sehr im Geheimen doch den gleichen Traum geträumt hatten, was wir uns aber nie zugestanden hatten zuvor. Und so kam es dann zu dieser Annäherung an die Idee, gemeinsam einen eigenen Verlag zu gründen. Das musste aber wachsen, nicht sofort lag das auf dem Tisch, es dauerte dann doch so zwei Monate, bis wir mutig genug waren, uns das gegenseitig zu gestehen. Und dann begann die Arbeit an der Idee. Das wiederum dauerte dann noch ein halbes Jahr, bis er gegründet wurde."

    Weiss: "Wir haben uns in diesem halben Jahr nicht eine Sekunde gelangweilt, und wir haben, glaube ich, auch jede Sekunde genützt, um rechtzeitig, und rechtzeitig hieß für uns im Frühjahr 2008, das wollten wir so, auf dem Markt zu sein."
    Beide Partner sind mit Eigenkapital an ihrem Verlag beteiligt - daneben gibt es private Geldgeber aus Deutschland und der Schweiz, keiner habe mit der Branche zu tun. Für drei Jahre ist so das Überleben gesichert; danach müssen schwarze Zahlen geschrieben werden. Ein Beirat wacht über die Geschicke; natürlich wollen die Geldgeber ihr Kapital gut angelegt sehen.

    Die Aufgabenverteilung innerhalb des Kleinverlags spiegelt die früheren Schwerpunkte wider: Während Anya Schutzbach sich vornehmlich um Verkauf, Marketing, Werbung, Produktion kümmert, ist Rainer Weiss mit Programm, Lektorat, Lizenzen und Pressearbeit beschäftigt. Eine strikte Trennung gibt es allerdings nicht, bei einem solch kleinen Unternehmen auch kaum denkbar: Natürlich diskutieren die beiden gleichberechtigten Geschäftsführer auch über Manuskripte und die Herstellung der Bücher. Da verwundert es ein wenig, dass im Namen des Verlags nur einer der beiden Partner auftaucht:

    Weiss: "Zu dem Namen Weissbooks, der vielleicht insofern etwas ungewöhnlich ist, weil er Deutsches mit Englischem vermischt, kam es, weil meine Partnerin Anya Schutzbach auf Teufel komm raus meinen Vorschlag "Schutzbach und Weiss" nicht gut finden wollte. Wahrscheinlich aus sehr guten Gründen. Andererseits habe ich so einen kleinen Kindertraum gehabt. Ich dachte mir, wenn ich doch einmal so etwas wie einen Verlag machen sollte, dann sollte der "Weissbücher" heißen. Das war sozusagen mein Kindertraum. Und jetzt, als es so weit wurde, fand ich Weissbücher einfach schrecklich und muffig und oll, und der Name Weiss Verlag war belegt - es gibt zwei Weiss Verlage, einen Verlag für Steuerrecht und einen Verlag, der sich auch in ähnlichen Abgründen tummelt, so dass das gar nicht möglich war. Und nach längerem lustvollen Überlegen über einen möglichen Verlagsnamen, landeten wir bei Weissbooks, und der schien uns dann der richtige zu sein."

    Der Name hat auch die Cover-Gestaltung des Schweizer Designers Fritz Gottschalk inspiriert: Ästhetisch versuchen die Bücher durch großen Minimalismus zu bestechen - der erste Entwurf sah gar einen puren weißen Umschlag ganz ohne Schrift vor. So weit ist man dann doch nicht gegangen. Nun läuft der schwarz gesetzte Verlagsname als Schleife um das weiße Buch herum, Autor und Titel sind dagegen verhältnismäßig klein gesetzt.

    Schutzbach: "Um mit einem neuen Verlag überhaupt auf dem Markt wahrgenommen zu werden, muss man schon etwas radikal anders machen. Und dieses radikal anders machen müssen, kam unseren innersten Neigungen für ein sehr reduziertes Umschlagkonzept dann auch sehr entgegen. Man kann dieses radikale Umschlagkonzept, auf dem kein einziges Bild zu sehen ist, und zwar ganz konsequent, man kann das japanisch nennen, wenn Sie so wollen, oder architektonisch oder Design oder eben auch schweizerisch."
    Das inzwischen zehn Titel umfassende Programm hat inhaltlich einen nicht gar so forciert-radikalen Anspruch: Man findet traditionelle Erzähler wie Andreas Höfele, ein viel gelobtes Debüt der Schweizer Autorin Jacqueline Moser, ein Nebenwerk von Marlene Streeruwitz und etwas, das Rainer Weiss als erzählendes Sachbuch bezeichnet: Im Frühjahr fielen unter diese Rubrik die mit Hilfe des Frankfurter Autors und Journalisten Jamal Tuschick entstandenen Erinnerungen von Gisela Getty und Jutta Winckelmann. "Die Zwillinge" wirbelten mit ihren Liebes- und Lebensbekenntnissen im Rahmen der 68er-Nostalgie-Wochen durch die bunten Gazetten und Talkshows und bescherten dem Verlag damit nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch ganz ordentliche Verkaufszahlen.

    In diesem und anderen Fällen des ersten Programms gab es biographische Berührungspunkte zwischen den Autoren und Rainer Weiss - nun, wo der Verlag zumindest in der Branche seine Feuertaufe bestanden und eine gewisse Bekanntheit erreicht hat, finden viele ernstzunehmende Manuskripte ihren Weg in den Verlag.

    Weiss: "Es gibt Autoren wie Artur Becker, der an einem bestimmten Zeitpunkt unserer Existenz zu uns gekommen ist und gesagt hat, ich will Weissbooks-Autor werden. Im Falle etwa - im 1. Programm - von Marlene Streruwitz war von vornherein klar: Marlene Streeruwitz gibt uns ein Buch, und sie bleibt aber beim S. Fischer Verlag. Auch Dorothea Dieckmann hat ein unglaublich schönes, kleines Buch geschrieben, wird aber - vermutlich - ihre nächsten Bücher bei Klett-Cotta machen. Ich mache die erstaunliche Entdeckung, dass wir sehr viele gute Manuskripte bekommen. Das kenne ich gar nicht aus meiner bisherigen Tätigkeit, was vielleicht damit zu tun hat, dass wir noch nicht massenhaft verankert sind, das heißt, es nehmen uns Leute wahr, die in der ein oder anderen Form im Literaturbetrieb tangential mitmischen. Und von daher kriegen wir doch vieles Interessante, Aufregende, und wir könnten jetzt schon im nächsten Programm mehr Titel machen, als es uns gut täte."
    Im Moment tun zehn Titel pro Jahr gut, 2009 sollen es dann insgesamt 14 werden, gesteigert auf 18 im Jahr 2010. In diesem Herbst möchte man vor allem mit zwei Büchern Buchhändler, Kritik und Publikum überzeugen. Artur Beckers Roman "Wodka und Messer" ist eines davon:

    Weiss: "Artur Becker hat eine ganze Reihe von Büchern schon geschrieben, obschon er erst 40 Jahre alt ist, ein in Polen geborener Autor, der vor 20 Jahren nach Deutschland gekommen ist, auf den Spuren seiner Eltern. Sein Kosmos liegt in Polen an den masurischen Seen, an drei vier, kleinen Weilern, aus denen er sein Personal schöpft, aus denen er seine Weltsicht bezieht. Und so ist auch sein neues Buch "Wodka und Messer" ein Buch, das am Dadajsee spielt, mit einem grotesken, komischen, schrägen, schwierigen, jederzeit aber sympathischen Personal, und im Erzählen erzählt Becker die großen Themen, die uns angehen wie Liebe und Tod, gibt es die Liebe, gibt es den Tod, ein unfassbar sprudelnder Erzähler, ein lustvoller Erzähler, das Gegenteil eines intellektuellen Autors, obschon sein Buch durch und durch gescheit ist."
    Ob das ambitionierte Ziel erreicht wird, Artur Becker durchzusetzen - was immerhin Hoffmann und Campe nicht geschafft hat - bleibt abzuwarten. Mit einem zweiten Spitzentitel im Segment Sachbuch wollen Weiss und Schutzbach Diskussionen auslösen: Kerstin Schneiders "Maries Akte" erzählt die Geschichte zweier miteinander verwandter Frauen, die beide unter einer speziellen Form von Schizophrenie litten und ganz unterschiedliche Lebensschicksale erfuhren: Die eine wurde als "böhmische Bernadette" von der katholischen Kirche verehrt, die andere von den Nazis als "lebensunwertes Leben" umgebracht. Schneider, so glaubt Rainer Weiss, leistet mit diesem Buch einen Beitrag zur Euthanasie-Debatte, der in diesem Herbst für Aufsehen sorgen werde.

    Bei Rainer Weiss und Anya Schutzbach ist ein großer Enthusiasmus zu spüren - etwas Eigenes aufzubauen, setzt Kräfte frei. Gleichwohl wissen beide, dass es nicht nur ein spielerisches Abenteuer ist, auf das sie sich mit der Verlagsgründung eingelassen haben, sondern durchaus ein gewaltiges Wagnis.

    Schutzbach: "Was wir hier betreiben ist nicht nur Lebenstraum und die romantische Vorstellung der Verlegerei, sondern wir gründen eben auch ein Unternehmen. Ganz sachlich gesehen, das ist ein Unternehmen, das gewissen marktwirtschaftlichen Gesetzen folgen muss und Rendite erwirtschaften muss und Umsatzzuwächse verzeichnen sollte, ab einem gewissen Punkt den Break-even erreicht haben soll etc., also die ganzen unprosaischen Dinge. Man operiert anders und man handelt anders im Verlegerischen, wenn man in einem Haus fest angestellt ist, als wenn man plötzlich eigenverantwortlich ist für das große Ganze, das gesamte System, den gesamten Organismus seines Verlags, und das ist eine große Herausforderung, dass man Entscheidungen trifft, die man in einer Festanstellung vielleicht nie getroffen hätte. Man muss also in einer anderen Weise mutig sein, als man sich das vielleicht von außen betrachtet so vorstellt."