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Der weite Weg zur Rohstoffwende

Chemie. - Erdöl ist zurzeit so billig wie schon lange nicht mehr. Doch Experten sind sicher, dass der Preis schon bald wieder ansteigt. So sagt die Internationale Energieagentur voraus, dass ein Fass Rohöl schon im kommenden Jahr 200 Dollar kosten könnte. Inzwischen forschen Chemiker weltweit an Verfahren, um Kunststoffe und vieles mehr aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen.

Von Hellmuth Nordwig | 24.03.2009
    Die Firma Roquette im Norden Frankreichs ist kein gewöhnliches Chemieunternehmen. Denn die Grundbausteine für die Produkte werden hier nicht aus Erdöl gewonnen, sondern aus Maisstärke. Pierre Gallezot, Forscher am Institut für Katalyse und Umwelt der Universität Lyon:

    "Diese Firma könnte man als chemische Bioraffinerie bezeichnen. Sie vereint zwei verschiedene Verfahrenstechniken: die enzymatischen Prozesse der Biotechnologie und die klassischen chemischen Umwandlungen."

    Nicht nur in Frankreich nutzt die Chemieindustrie Stärke als Rohstoff. Die erste Großanlage ging 2005 in den USA in Betrieb: Dort stellt die Firma Cargill jährlich 140.000 Tonnen Kunststoffe aus Mais her. Die meisten pflanzlichen Rohstoffe werden jedoch zu Treibstoffen umgewandelt: zu Bioethanol und Biodiesel. Kritiker sagen: Was man essen kann, gehört nicht in den Tank. Soweit geht Pierre Gallezot nicht. Aber er hält es für sinnvoller, nachwachsende Rohstoffe zu Chemikalien zu verarbeiten.

    "Bei diesen Produkten ist die Wertschöpfung viel höher. Biotreibstoffe werden einfach verbrannt. Und sie stehen in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln. Von Chemikalien braucht man dagegen viel weniger. Es genügt also, den Teil zu verwerten, der ohnehin nicht verzehrt wird, und daraus wertvolle Chemieprodukte zu erzeugen."

    Die nicht essbaren Pflanzenteile sollen in einer neuen Generation der Bioraffinerien genutzt werden. Weltweit arbeiten Forscher an Universitäten und in der Industrie zum Beispiel daran, Stroh oder Holz zu verwerten. Deren Hauptbestandteil ist Zellulose.

    "Zellulose wird schon jetzt genutzt, zum Beispiel für Textilfasern. Aber es ist noch schwierig, daraus rentabel und umweltfreundlich Chemikalien herzustellen."

    Deshalb verfolgt der französische Forscher einen anderen Ansatz: Er nutzt die Öle von Pflanzen. Auch sie sind zu schade zum Verbrennen, meint er. Man kann daraus eine Reihe von Chemieprodukten herstellen. Zum Beispiel Weichmacher für Kunststoffe.

    "PVC und andere Plastikprodukte riechen manchmal eigenartig. Das ist nicht der Kunststoff selbst, sondern der Weichmacher. Viele dieser Substanzen sind gesundheitsschädlich. Zum Beispiel die Phthalate, die deshalb in Europa nicht für Kinderspielzeug aus Plastik verwendet werden dürfen. Wir entwickeln zurzeit ein Verfahren, um aus pflanzlichen Ölen weniger schädliche Weichmacher herzustellen. Andere Produkte sind bereits auf dem Markt: biologisch abbaubare Reinigungsmittel und Schmierstoffe aus Pflanzenölen."

    Die Forscher gehen dabei auf eine für die Chemie fast revolutionäre Weise vor: denn normalerweise versucht man dort, reine Stoffe herzustellen. Darum wird der Rohstoff Erdöl mit großem Aufwand in seine Bestandteile getrennt, bevor daraus Chemieprodukte erzeugt werden. Das kostet Energie, und für nachwachsende Rohstoffe gibt es zudem bisher kaum vergleichbare Trennverfahren. Es ist jedoch gar nicht immer nötig, mit Reinsubstanzen zu arbeiten, meint Pierre Gallezot.

    "Naturprodukte sind immer Mischungen. Und für viele Anwendungen ist es überhaupt kein Problem, ein Gemisch herzustellen. Wir forschen zum Beispiel an Tinte, an Papierzusätzen oder Baumaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen. Und sogar Kosmetika sind eine Mischung vieler natürlicher Substanzen."

    Es könnte also sein, dass eine Bio-Raffinerie der Zukunft auch Stoffgemische liefert. Sicher ist soviel: Der Chemieindustrie wird keine andere Wahl bleiben, als Erdöl zunehmend durch pflanzliche Rohstoffe zu ersetzen.