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"Der Weltwährungsfonds ist die ungefähr undemokratischste Organisation, die es gibt"

Jean Ziegler, Autor und Mitglied im Beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrates, hat begrüßt, dass die G20-Staaten mit über einer Billion Dollar die Finanz- und Wirtschaftskrise bekämpfen wollen. Es sei aber "beunruhigend", dass der Internationale Währungsfonds diese Gelder verwalten soll, kritisiert Ziegler, denn dort hätten die finanzmächtigen Staaten das absolute Sagen. Unter der Krise litten aber besonders die ärmsten Länder der Welt.

Jean Ziegler im Gespräch mit Sandra Schulz | 03.04.2009
    Sandra Schulz: Mit mehr als 1000 Milliarden Dollar, also mehr als einer Billion, stemmen sich die 20 stärksten Wirtschaftskräfte, kurz die G20, gegen den Konjunktureinbruch. Das ist rein zahlenmäßig wohl das beeindruckendste Ergebnis des Gipfels der Staats- und Regierungschefs, die bis gestern in London beraten haben. Die umgerechnet rund 820 Milliarden Euro sollen zur Verfügung gestellt werden, um arme Länder und den Welthandel zu stützen.

    In London war man ja zusammengekommen, um die Lehren aus der internationalen Finanzkrise in Konsequenzen umzumünzen. Jean Ziegler ist Mitglied im beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrates und Autor. Zuletzt erschienen ist sein Buch mit dem Titel "Das Imperium der Schande - der Kampf gegen Armut und Unterdrückung", und mit Jean Ziegler bin ich nun telefonisch verbunden. Guten Morgen!

    Jean Ziegler: Guten Tag!

    Schulz: Herr Ziegler, von einem fast historischen Kompromiss sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel. Erkennen Sie die historische Komponente?

    Ziegler: Ich glaube, man muss einmal sagen, was das G20 ist. Das sind die 20 stärksten Staaten der Welt, aber das ist kein Parlament, es ist keine normative Behörde, es werden keine Beschlüsse gefasst und auch keine Konventionen abgeschlossen. Es ist eine Versammlung während weniger als zwei Tagen, wo zwei Sachen passieren: Da geschieht der Meinungsaustausch zwischen Staats- und Regierungschefs einerseits und andererseits das sogenannte Pledging, wie man im Diplomatenjargon sagt, das heißt die Absichtserklärungen. Das einzige Dokument, das irgendwie ein Referenzdokument ist, ist das Schlusskommuniqué, das natürlich ausgehandelt wird bis zum letzten Komma. Jetzt die Absichtserklärungen, die abgegeben worden sind, sind natürlich erfreulich. Einerseits diese Riesensumme, die zur Verfügung gestellt wird, um den Handel anzukurbeln, den Interbankenkredit und so weiter, das ist an sich erfreulich. Was nicht erfreulich und was beunruhigend ist, dass die Behörde, die diese Riesensummen verwalten und umleiten soll, vor allem zu den ärmsten Ländern, der Internationale Währungsfonds ist. Frau Merkel hat im November sehr richtig gesagt, es muss einen Sicherheitsrat für Wirtschafts- und soziale Fragen geben im Rahmen der UNO. Das war eigentlich ihr guter Vorschlag.

    Schulz: Herr Ziegler, Sie haben das schon angedeutet: Es ist die erste Verabredung dieser Art, bei der auch die Schwellenländer mit am Tisch saßen. Heißt das, dass Sie auch den Einfluss kritisieren, den die Schwellenländer geübt haben?

    Ziegler: Zusammengekommen sind in London die Regierungschefs von Ländern, die zusammen 87 Prozent des Weltbruttosozialproduktes ausgemacht haben, also verwalten, aber doch nur 60 Prozent der Weltbevölkerung, und die Weltordnung, wie sie schon vor dieser fürchterlichen Finanzkrise war, war schon schrecklich. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren, 100.000 Menschen sterben am Tag am Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen, 963 Millionen Menschen, fast einer aus sechs auf diesem Planeten, sind permanent schwerstens unterernährt. Diese Menschen, die nicht in London waren, deren Vertreter nicht in London waren, die werden jetzt noch viel, viel schlimmer leiden - das weiß ja jedermann - durch diese Finanzkrise. Was man eigentlich wünschen müsste, ist, dass die UNO endlich aktiv würde. 192 Staaten sind Mitglied, die haben alle dieselben Rechte in der Generalversammlung, könnten also Beschlüsse fassen, die jeden direkt betreffen. Der Weltwährungsfonds ist die ungefähr undemokratischste Organisation, die es gibt. Er gehört zwar formell wie die Weltbank auch, wie die Bretton-Woods-Institutionen allesamt, zum UNO-System, das kann man sagen, aber diese Weltbank ...

    Schulz: Herr Ziegler, diese Kritik am IWF ist ja nicht ganz neu. Für den IWF spricht natürlich, dass es eine Institution ist, die jetzt in diesem Moment konkret handlungsfähig ist, anders als in dieser Frage zum Beispiel die Institutionen der Vereinten Nationen. Ist das nicht alleine ein Argument, diese Stärkung zu begrüßen?

    Ziegler: Doch, Sie haben Recht natürlich. Den Weltwährungsfonds gibt es ja. Der hat auch große Erfahrung, große Kompetenz, was seinen Apparat betrifft, und dessen Kompetenzen werden jetzt erweitert und dessen Mittel werden massiv aufgestockt. Aber es bleibt dabei, so Recht Sie haben in Ihrer Aussage, im Weltwährungsfonds gibt es nicht "ein Land, eine Stimme", sondern es gibt "ein Dollar, eine Stimme". Die finanzmächtigen Staaten der Welt haben das Sagen, das absolute Sagen im Weltwährungsfonds. Kann man denen vertrauen, wenn es um die ärmsten Länder der Welt geht, die, noch einmal gesagt, nicht präsent sind im G20 und praktisch nicht präsent sind im Weltwährungsfonds?

    Schulz: Das kritisieren Sie. Gleichzeitig stellt sich die Frage, warum die Globalisierungskritiker keine stärkeren Impulse setzen, wenn wir zurückblicken zum Beispiel auf das Weltsozialforum in Belém. Auch da hat es keine Einigung auf ein gemeinsames Programm gegeben.

    Ziegler: In Belém waren 150.000 Personen, die haben etwas mehr als 8000 soziale Bewegungen, Gewerkschaften, Kirchen und so weiter, die so genannte internationale Zivilgesellschaft repräsentiert. Das war eine unglaublich lebendige und intellektuell auch engagierte und auch sachkompetente Versammlung, aber die haben - - Das liegt in der Sache. Das ist eine Bruderschaft der Nacht. Das ist eine Zivilgesellschaft. Marx hat gesagt, der Revolutionär muss das Gras wachsen hören. Da beginnt etwas erst, die internationale Zivilgesellschaft, wo übrigens auch die deutschen Attac, die deutschen Kirchen und so weiter sehr, sehr stark und positiv mitgewirkt haben. Da beginnt erst etwas. Sie können nicht den Weltwährungsfonds, die Weltbank, die Bretton-Woods-Institutionen, 1944 gegründet, mit dem Weltsozialforum Belém im Januar 2009 zum Beispiel vergleichen und sagen, die einen sind effizient, und die anderen sind es nicht. Es geht um die Mobilisierung jetzt der öffentlichen Meinung. Sie wissen, zwischen Amerika und der Europäischen Union besteht eine Meinungsverschiedenheit. Die Amerikaner haben 5,5 Prozent des Bruttosozialproduktes investiert in die Wiederinstandsetzung oder Wiederinfahrtsetzung ihres Finanzsystems. Sie glauben, es ist ein Verkehrsunfall passiert und dann kann man einfach mit genügend Geld diesen Wagen reparieren und ihn weiterfahren lassen in den alten Bahnen, währenddem Herr Sarkozy und Frau Merkel eine andere Ansicht haben. In Europa sind ungefähr ganz knapp drei Prozent des Bruttosozialproduktes der 27 EU-Länder vorgesehen.

    Schulz: Jean Ziegler im Gespräch heute Morgen mit dem Deutschlandfunk. Herr Ziegler, mit Blick auf die Uhr müssen wir leider zum Ende kommen. Haben Sie vielen Dank.

    Ziegler: Ich danke Ihnen.