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Der Wert der Kunst
Wie funktioniert der weltweite Kunstmarkt?

Warum werden für Kunstwerke des einen Künstlers Millionenbeträge bezahlt und warum gehen andere - nicht weniger talentierte - leer aus? Und wie kommen die teils als absurd wahrgenommenen Preise eigentlich zustande? In mehreren Forschungsprojekten und Veröffentlichungen haben Wissenschaftler versucht, die Mechanismen des weltweiten Kunstmarktes zu entschlüsseln.

Von Ingeborg Breuer | 09.10.2014
    Begehrt: Besucher des französischen Pavillons auf der EXPO 2010 in Shanghai fotografieren Millets berühmtes "Angelusläuten."
    Wie kommen die teils als absurd wahrgenommenen Preise eigentlich zustande? (dpa/picture alliance/Diego Azubel)
    "Wie entstehen Preise im Kunstmarkt? Das ist etwas, was sich als absolut intransparent für den normalen Kunstinteressenten darstellt."
    "Mir ist das oft ein Buch mit sieben Siegeln, was denn bei heutiger Kunst als qualitativ hochwertig eingeschätzt werden soll und was nicht."
    "Man hat nicht so etwas wie klare Qualitätskriterien, mit deren Hilfe man sagen kann, dieses Kunstwerk wird in zehn Jahren angesehen sein und hohe Preise erzielen".
    "700.000. Niemand mehr? 700.000. Zum ersten, zum zweiten … ich darf zuschlagen, zum dritten".
    700.000 Euro für einen 'Gerhard Richter' sind natürlich 'Peanuts'. Seine teuersten Bilder liegen im zweistelligen Millionenbereich. Höhepunkt bisher: sein fotorealistisch verwischter "Domplatz Mailand" für 37,1 Millionen Dollar.
    Mittlerweile ist Gerhard Richter aber als teuerster noch lebender Künstler abgelöst: der "Balloon Dog" des Amerikaners Jeff Koons, eine tonnenschwere Vergrößerung von in Hundeform verknoteten Luftballons, erzielte 58,4 Millionen Dollar. Und der britische Künstler Damien Hirst veranstaltete 2008 eine Auktion bei Sotheby’s in London. Er ließ dort 56 seiner Werke versteigern. Erlös: rund 140 Millionen Dollar. 10,3 Millionen erreichte allein sein "Goldenes Kalb", ein Jungbulle in Formaldehyd, Hörner und Hufe aus 18-karätigem Gold, auf dem Kopf eine ebenfalls aus massivem Gold gefertigte strahlende Scheibe. Ulli Seegers, Professorin für Kunstgeschichte an der Uni Düsseldorf:
    "Wenn ich mir angucke, was im Moment im Markt hoch gehandelt wird, stelle ich fest, dass das nicht die Kunst ist, die kritisch ist, die widerständig ist, die zu neuem Denken anregt, sondern die eher affirmativ mit einer bestimmten Hochglanzästhetik und leicht verdaulich einher kommt."
    Es ist verpönt, Kunst als Ware zu begreifen. Gewöhnlich werden deshalb in Galerien Bilder auch nicht mit Preisschildern versehen. Die Kunst zähle, nicht das Geld, so die Botschaft. Kunst ist Selbstzweck, ist Berufung, ohne Hintergedanken an Geschäft und Nutzen. Auch wenn Salvador Dali einmal bekannte: "Alles, was mich interessiert ist Geld". Und Andy Warhol Dollarzeichen aufs Papier brachte, die man sich dann als Objekte an die Wand hängen konnte.
    "Ich habe heute gerade eine sehr hübsche Anekdote gelesen über Hans Thoma, den Karlsruher Maler, der in einer Ausstellung hinter einem Vorhang die Reaktionen von Besuchern mithörte."
    Dr. Johannes Nathan vom Forum "Kunst und Markt" an der TU Berlin.
    Dass Kunst und Geld nicht zusammen gehen, ist ein Mythos
    "Und da sagte ein Paar: Was hat sich der Künstler da wohl gedacht bei diesem Bild? Das war ein Landschaftsbild. Und in dem Moment stürmt Thomas hinter den Vorhang hervor und sagt, na der Künstler wollte das Bild verkaufen, verkaufen wollte er es. Das ist tatsächlich etwas, was man bei der Kunstbetrachtung leicht vergisst, dass viel von dieser Betätigung doch auf einen ökonomischen Erlös, auf einen beträchtlichen Gewinn abzielt. Und das schon seit Jahrhunderten."
    Dass Kunst und Geld nicht zusammen gehen, ist ein Mythos. Bereits 1675 schrieb die französische Adlige Marquise de Sévigné, dass Gemälde wie Goldbarren seien und jederzeit für das Doppelte ihres Einkaufspreises verkauft werden könnten. Der erste Kunstboom fand im Goldenen Zeitalter der Niederlande statt. Im 17. Jahrhundert waren die Niederlande nicht nur Handelsnation und Weltmacht geworden, sondern auch eine gigantische Kunstwerkstatt. Denn die Konsumlust reich gewordener Bürger war erwacht und verlangte nach sichtbarer Materialisierung.
    "Im 17. Jahrhundert hat diese holländische Gesellschaft so wahnsinnig prosperiert, da gab es einen Mangel an Bargeld und Gold, wo man sein Erwirtschaftetes mit anlegen konnte und da haben viele, die dann zu Wohlstand gekommen sind, überlegt, wie kann ich es sonst noch unterbringen? Und da war Kunst eine sehr beliebte Sparte für die Investition."
    Kaum ein anderer Markt allerdings ist von solchen Ungleichheiten geprägt wie der Kunstmarkt. Da gibt es die wenigen Malerfürsten mit ihren Millioneneinnahmen, während 95% der Künstler, so Schätzungen, von ihrer Kunst nicht leben können. Es herrscht ein Überangebot an Kunst. Oft ziert sie nur die Wände von Cafés, Altenheimen oder Werkskantinen, wo sie darauf wartet, für wenig Geld gekauft zu werden. Nicht selten aber scheitert sogar das.
    "Es gibt Diskussionen, wenn ein Werk von Jeff Koons so teuer ist, warum hat meins keinen Marktwert? Und das ist ganz brutal Angebot und Nachfrage. Und das hat es im Kunstmarkt immer schon gegeben",
    so Professor Kasper König, bis Ende 2012 Direktor des Museums Ludwig in Köln. Es sind schnöde Marktgesetze, die den - finanziellen - Wert eines Kunstwerks bestimmen. Teuer ist, was nachgefragt ist. Ist das zugleich der Ausweis für Qualität?
    "Ich finde es schwierig, mit dem Begriff der Qualität zu hantieren. Da kann es sein, dass ein junger Künstler mit vielen Ideen vielleicht auch mal eine Produktion in Gang setzt, die … nicht die höchsten Qualitätskriterien erfüllen, die aber irgendwelche knackigen oder interessanten Ideen auf einen guten Punkt bringen."
    Dr. Johannes Nathan, Kunsthistoriker an der TU Berlin ist zugleich Direktor der Galerie Nathan Fine Art in Zürich und Berlin.
    "Dann kann das für eine Galerie durchaus Anreiz sein, sich für diese Person weiter einzusetzen. Dann wird das mit der Aktivierung eines großen Netzwerkes einhergehen, dann wird man versuchen, den Journalismus zu aktivieren, man wird auch Institutionen versuchen zu gewinnen, die vielleicht den Künstler schon ausstellen. Und da kann es dann gelingen, dass ein Kreis von potenten Sammlern gewonnen wird, die anfangen diese Werke zu kaufen. Und das Ganze kann, wenn es eine kritische Masse überschreitet, eine derartige Wucht entfalten, dass so ein Künstler in höchste Höhen kommt. Ich würde aber zögern zu sagen, das ist einzig Folge der Qualität dieser Werke."
    Anders als andere Waren hat Kunst keinen "funktionalen Wert"
    Da die Qualität von Kunstwerken prinzipiell schwer auszumachen ist, so die beiden Soziologieprofessoren Jens Beckert und Jörg Rössel in ihrem Aufsatz "Kunst und Preise", steht der potenzielle Käufer von Kunst vor dem Problem einer "fundamentalen Ungewissheit". Anders als andere Waren hat Kunst keinen "funktionalen Wert", der sich in ihrem unmittelbaren Nutzen niederschlägt. Ebenso wenig lasse sich ihr Wert durch die Herstellungskosten bestimmen. Und dass es auch nicht der technisch-künstlerische Aufwand ist, der ein Werk zu einem Kunstwerk macht, ist spätestens klar, seit Marcel Duchamp im Jahr 1917 ein handelsübliches Pissoir versehen mit einer Signatur ausstellte. Dessen Repliken befinden sich mittlerweile in zahlreichen namhaften Museen. Professor Jörg Rössel, Soziologe an der Universität Zürich:
    "Die Soziologie hat sich schon früh gegen die Vorstellung gewandt von solitären Künstlern, die quasi in ihrer Individualität singulär Kunstwerke herstellen. Es braucht auch Personen, die die Kunstwerke bewerten, zum Beispiel Kunstkritiker, Kunsthistoriker, Kuratoren, Galeristen, um aus einem bestimmten Objekt überhaupt ein Kunstwerk zu machen. Das heißt die Idee ist, ein Kunstwerk wird nicht durch seine materiellen Eigenschaften zu einem Kunstwerk, sondern durch die zugeschriebenen Eigenschaften, die bestimmte Akteure im Feld der Kunst einem Objekt zuschreiben."
    Ein Objekt gilt also dann als Kunstwerk, wenn sich Künstler, Kritiker, Galeristen, Museumsdirektoren, Kuratoren und Sammler darin einig sind, dass es Kunst ist. Egal ob dies, wie die Münchener Kunsthistorikerin Piroschka Dossi in ihrem Buch "Hype. Kunst und Geld" ironisch anmerkt, ein Tierkadaver, eine Nasenoperation oder ein mit Acrylfarbe gemalter rosa Pudel ist. Das Urteil über den ästhetischen Wert eines Werkes wird die Grundlage zur Bestimmung des ökonomischen Wertes. Soziologisch gesprochen: Der Wert des Kunstwerks ist eine "Konstruktion". Und für Rössel liegt in dieser Konstruktion etwas durchaus Beliebiges. Philosophisch gesprochen: eine Kontingenz.
    "Da steckt sehr viel Kontingenz drin. Es gibt es viele Studien aus dem Feld der Kunst, die zeigen, was jetzt ein Erfolg wird oder was als ästhetisch hochwertig betrachtet wird, mit relativ hohen Zufällen behaftet ist. Wenn man sich eine Kohorte von Absolventen einer Kunsthochschule auswählen würde und dann sagen würde, wer von denen wird am Ende wirklich berühmt? Also es gibt da sehr schöne experimentelle Studien, dass sowohl Laien als auch Kunstsachverständige doch relativ große Mühen haben, wenn sie das Gekritzel von Kindern und von zeitgenössischer Kunst unterscheiden sollen."
    Die Düsseldorfer Kunsthistorikerin Ulli Seegers sieht eine zunehmende Verengung des Feldes der Akteure, die über den künstlerischen und damit auch den pekuniären Wert eines Werkes urteilen. Der Vermarktungserfolg wird mehr denn je zu einem Netzwerkphänomen. Galerien verbinden sich mit anderen, Händler schließen sich zu Großfirmen zusammen. Die globale Vernetzung des Kunsthandels bleibt nicht ohne Folgen für den Wettbewerb. Sie führt zu einer Konzentration der Nachfrage auf Künstler, die von diesen global arbeitenden Firmen protegiert werden. Mittlerweile, so wiederum Piroschka Dossi, seien es nur noch 30 - 40 Künstler, "die mit ihren Werken die Geschmacksvorlieben einer globalen Geldelite bedienen."
    "Wie entstehen Preise im 21. Jahrhundert im Kunstmarkt? Das sind Großgalerien, die sich international zusammengetan haben, die eine Geschäftsbeziehung haben und die bestimmte noch unbekannte Künstler entdecken und dann gegenseitig auf verschiedenen Kontinenten in einflussreichen Kunstorten zeigen und vermarkten. Und durch dieses Zusammenspiel ist für einen noch relativ unbekannten Künstler in kurzer Zeit so etwas wie eine Marktmacht gegeben. Also ich werde vom Noname zum Bigname, idealerweise."
    "Wir alle werden vom Geld korrumpiert"
    Je bekannter ein Künstler aber wird, schrieb der New Yorker Galerist Leo Castelli bereits Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, "um so mehr wird er unter dem Blickwinkel des Investments betrachtet." Und gab gleichzeitig zu: "Wir alle werden vom Geld korrumpiert". Heute versuchen Künstlerrankings und Kunstindexe, den Erfolg eines Künstlers messbar zu machen und in Zahlen und Preisen darzustellen. Zunehmend gilt das Prinzip der Börse: buy - hold - sell. Also: Kaufen - Halten - Verkaufen.
    "Das Ziel ist keineswegs der Aufbau einer kunsthistorisch bedeutenden individuellen Privatsammlung, sondern das Ziel ist klar formuliert, das Ziel ist Return of Investment, die Kunst als Investitionsobjekt. Und natürlich werden diese Werke nicht irgendwo aufgehängt, sondern die werden gelagert, in angemieteten Lagerhallen, zollfrei, die explosionsartig aus dem Boden sprießen."
    Verändert sich so auch der Charakter der Kunst? Sind intellektuelle Tiefe und Komplexität eines Kunstwerks nicht länger erwünscht? Ulli Seegers, die im Dezember ein Buch "Ethik im Kunstmarkt" veröffentlicht, sieht Kunst zunehmend von einer vordergründigen "Konsumästhetik" geprägt:
    "Dabei geht es darum, mit einer bestimmten Form von Ästhetik, die nicht mehr risikoreich ist, sondern die unsere Zeit abbildet und insofern gesellschaftsfähig ist. Ich will nicht dem das Wort reden, dass es heute keine kunsthistorisch bedeutende Kunst mehr gäbe, aber die Frage nach Ismen, nach neuen Stilen, nach interessanten Positionen, wie sie kunsthistorisch vielleicht in den nächsten 100 Jahren noch interessant bleiben werden, das ist sehr stark zurückgetreten gegen die Betrachtung von Kunst als Investition."
    "500 five hundred… zum ersten, nein 520, 540, 600, vielen Dank, 620, six hundred"
    Jede Kunst braucht einen Markt. Und Markterfolg und künstlerische Glaubwürdigkeit bedingen einander. Im Innern aller Kunstwerke, die durch den Kunstmarkt groß werden, glitzert - das Geld. Nur das Geld? Oder ist da noch ein anderer Wert, jenseits des Warenwerts der Kunst? Für den Schriftsteller Walter Benjamin besaß das Kunstwerk eine "Aura", so definierte er 1935 in einem Aufsatz: In der Kunst zeige sich die "einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag". In ihr erscheine etwas Transzendentes, was über das Angeschaute hinaus geht. Kunst, so wiederum der Maler Paul Klee, gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.
    "Ich würde sagen, Kunst kann auf ganz entscheidende Weise unsere Wahrnehmung formen und verändern."
    Dr. Johannes Nathan, Kunstwissenschaftler und Galerist:
    "Das ist aber etwas, was man im Moment kaum sieht, weil es so schockierend. Wenn man zum Beispiel an Munchs berühmten Schrei denkt, der zu seiner Zeit die meisten, auch die Kunstkritiker abgestoßen hat, wo man vielleicht rückblickend im Zug der fürchterlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts noch mal besser versteht, wie gut es dem Künstler gelungen ist, Urängste des Menschen auf ein klares Bild zu bringen."
    Erst die Zeit wird entscheiden
    Traditionell ist es das Museum, das aus der profanen Ware Kunst einen ästhetischen Gegenstand macht. Allerdings geraten die Museen selbst finanziell zunehmend unter Druck und können bei steigenden Marktpreisen im Wettbewerb um Kunst kaum noch mitbieten. Und trotzdem: Wenn das Kunstwerk ins Museum kommt, verlässt es die Welt des Marktes. Das Museum drückt der ausgestellten Ware sozusagen sein Gütesiegel als "staatlich geprüftes Kulturgut“ auf. Es gibt ihm eine Dauer über den kommerziellen Hype hinaus. Prof. Kasper König, langjähriger Direktor des Museums Ludwig in Köln:
    "Wenn wir es im Museum zeigen, dann ist das ja kein Verkaufsraum, dann ist der ökonomische Wert sekundär. Es gibt viele Dinge, die im Markt keinen außerordentlichen Wert darstellen, die aber in der Ideengeschichte extrem wichtig sind. Im Bewusstsein einer bestimmten Generation ist das Teil dieser Ästhetik. Aber wie das in zehn Jahren sein wird, das wissen wir nicht"
    "Wie das in 10 Jahren sein wird, das wissen wir nicht". Erst die Zeit entscheidet also, ob aus einem Millionenhype auch ein kunsthistorisch bedeutendes Werk wird, das sich in das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft einprägt. Oder ob es sich dabei um so etwas handelt wie des Kaisers neue Kleider, die niemand zu entlarven wagt, aus Angst als Banause da zu stehen. Erst die Zeit wird entscheiden, ob z.B. Jeff Koons Balloon Dog, jener 56 Millionen-Dollar-Blechpudel zum Epoche bildender Neo-Dada gekürt oder nur eine Fußnote der Kulturgeschichte bleiben wird.
    "Ich würde sagen, das ist ein Preis, den man in 20, 30 Jahren mit anderen Augen betrachten wird. Das ist etwas, was in der Kunstgeschichte immer wieder passiert ist, dass es Künstler gab, die zu ihren Lebzeiten unglaublichen Erfolg hatten, deren Werke für große Summen verkauft wurden, deren Werke fast vergessen sind, deren Werke vielleicht in den Museen im Depot schmachten und die auf dem Markt nur noch geringe Preise erzielen."