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Der Westsahara-Konflikt
Ein diplomatisches Fiasko für die UNO

Der Streit um die seit 1975 von Marokko beherrschte Westsahara ist wohl einer der am längsten ungelösten internationalen Konflikte. Und es deutet nichts darauf hin, dass sich das ändert. Im Gegenteil: Nach einem sprachlichen Fehltritt von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon droht sogar ein Bruch zwischen der UNO und Marokko.

Von Stefan Ehlert | 02.04.2016
    Mitglieder des Military Liaison Office of the UN Mission for the Referendum in Western Sahara (MINURSO), versuchen in Oum Dreyga (Westsahara), ihr Auto aus dem Sand zu bewegen.
    So festgefahren wie dieser UNO-Jeep scheint derzeit der Westsahara-Konflikt. (UN Photo/Martine Perret)
    Eine größere Demonstration hat Marokko wohl noch nicht erlebt. Drei Millionen Menschen waren es nach offiziellen Angaben, die Hauptstadt Rabat war an diesem Sonntag Mitte März ein Meer von roten Fahnen, Transparenten und Menschen aus allen Schichten und Parteien, so wie diese junge Frau: "Ich bin als Bürgerin zu diesem gigantischen Marsch gekommen, um meine Verbundenheit mit der marokkanischen Sahara zum Ausdruck zu bringen."
    Die marokkanische Sahara, so heißt die Westsahara im offiziellen Sprachgebrauch. Südmarokko oder die südlichen Provinzen darf man auch sagen. Seit mehr als 40 Jahren ist der Status dieses Landstrichs von der Größe Italiens ungeklärt. Die Westsahara birgt Phosphat, großen Fischreichtum vor der Küste und touristisches Potenzial, das Marokko nutzen und ausbauen möchte. Die Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung beklagen, sie hätten nichts vom Reichtum ihres Landes und würden unterdrückt, die Menschenrechte missachtet. Seit Ende des Bürgerkriegs mit der Befreiungsfront Polisario vor 25 Jahren gibt es die UN-Mission für die westliche Sahara, eine Truppe von 245 Mann und zivilen Unterstützern. Jetzt steht sogar diese UN-Mission selbst infrage. Angefangen hat die jüngste Krise mit einem Besuch des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon in den Flüchtlingscamps in Tindouf in Algerien. Rund 90.000 Menschen aus der Westsahara sind dort dem Elend des Lagerlebens ausgesetzt, viel seit Jahrzehnten: "Ich komme gerade aus Tindouf, wo ich unmittelbar die harten Bedingungen gesehen habe, unter denen die Flüchtlinge leben. Seit mehr als 40 Jahren sind sie von ihren Familien getrennt, und vor allem beunruhigt mich das Schicksal der Kinder."
    Unterstützung der Blauhelme in der Westsahara aufgekündigt
    Für sie endet die Welt am Zaun ihres Camps. Ban mahnte dringend Fortschritte an im Dialog zwischen Algerien und Marokko, damit diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren können. "Die Verhandlungspartner haben keinerlei Fortschritte gemacht, um eine gerechte und für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden."
    Dann sprach Ban Ki Moon noch von Occupation, der Besatzung der Westsahara durch Marokko, und mit diesem Wort war eine rote Linie überschritten. Samir Bennis, der Chefredakteur des Portals Moroccoworldnews in Rabat, fasst die Meinung seiner Regierung zusammen: "Der Gebrauch des Wortes Besatzung verstößt gegen internationales Recht, gegen die Praxis und gegen das Mandat, das der Sicherheitsrat Ban Ki Moon gegeben hat."
    Dorf der Sahraouis in Smara im algerischen Exil.
    Dorf der Sahraouis in Smara im algerischen Exil. ( imago/Engelhardt)
    Soweit die marokkanische Perspektive. Marokko wies nach dem Eklat mit Ban Ki Moon mehr als 80 zivile Mitarbeiter der UN-Mission aus, kündigte die militärische Unterstützung der Blauhelme in der Westsahara auf und drohte, seine Soldaten auch aus anderen Blauhelm-Missionen der Vereinten Nationen abzuziehen. Die MINURSO wäre damit am Ende, konstatiert der ehemalige Militärbeobachter der Mission Christos Tsatsoulis. Im Fernsehsender Al Jazeera sagte er: "Marokkos Unterstützung ist für die UN-Mission in der Westsahara lebensnotwendig. Ich glaube nicht, dass es sie ohne diese Hilfe weiter geben wird."
    Marokko agiert aus einer Position der Stärke
    Eine Entschuldigung Ban Ki Moons, der mitteilen ließ, er sei missverstanden worden, nahm das Königreich nicht an. König Mohammed VI. ließ erklären, er sei für Ban Ki Moon nicht verfügbar. Ein diplomatisches Fiasko für die UNO, die noch in diesem Monat über die Verlängerung der Blauhelmmission in der Westsahara befinden muss. Marokkos Partner, darunter die Europäer, aber neuerdings auch Moskau, hielten sich offiziell zurück. Der UN-Sicherheitsrat gab ernsthafte Bedenken zu Protokoll, will aber an der Blauhelmmission festhalten. Eine weitere Zuspitzung des seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts zwischen Algerien und Marokko wegen der Westsahara torpediere gemeinsame Ziele, meint Helmut Reifeld, Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat: "Das größte Risiko ist die Terrorismusbekämpfung. Es ist die Frage, ob nicht über kurz oder lang beide Staaten gezwungen sind zusammenzuarbeiten."
    Doch derzeit deute wenig darauf hin. Marokko agiert aus einer Position der Stärke heraus. Es ist wirtschaftlich und politisch gut vernetzt in Afrika, während Algerien unter seinem von Schlaganfällen gezeichneten Präsidenten Bouteflika wie gelähmt wirkt. Und auch in Europa will sich niemand wegen der Westsahara mit Marokko anlegen, sagt Analyst Reifeld von der Adenauer-Stiftung: "Gerade mit der aktuellen Immigrationssituation ist Europa auf Marokko angewiesen und das wird auch benutzt als Druckmittel."
    Die Entwicklung in ganz Nordafrika wird gebremst
    Ins Hintertreffen geraten dabei die Interessen der Menschen in der Westsahara. Für sie wie für alle Marokkaner könnte es schwieriger werden, in Deutschland Asyl zu finden, sollte Marokko zum sicheren Herkunftsland erklärt werden. 175 Folterfälle hat Amnesty International vergangenes Jahr allein in den marokkanischen Gefängnissen registriert. Aktivisten aus der Westsahara gelten als besonders gefährdet. Nötig wäre dort aus Sicht von Khadija Mohsen vom Pariser Institut für strategische Studien eher ein Ausbau der UN-Präsenz und nicht der Abzug. Das Patt in der Westsahara, sagt sie, bremse die Entwicklung in ganz Nordafrika und berge große Risiken. "Die Grenzen zwischen Marokko und Algerien sind geschlossen, es sind zwei Länder, die überhaupt nicht zusammenarbeiten auf der Ebene der Wirtschaft oder in Sicherheitsfragen, wie dem Handel mit Waffen aus Libyen."
    Eine Lösung, sagen alle Beobachter einhellig, könnten nur Gespräche zwischen Algerien und Marokko bringen. Offiziell bekannt geworden ist darüber nichts.