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"Der Wulff, der kann auch einstecken"

Gunnar Schupelius, Leiter des Hauptstadt-Büros des Magazins "Focus", glaubt, dass Bundespräsident Christian Wulff sich in Zukunft häufiger zu den "großen Linien der Politik" äußern wird. Wenn er damit Kritik provoziere, werde er sein Amt - anders als sein Vorgänger - aber sicher nicht vorzeitig verlassen.

Gunnar Schupelius im Gespräch mit Christian Bremkamp | 27.08.2011
    Christian Bremkamp: Es war eine nicht gerade einfache Woche für die Kanzlerin. Nach einer Sondersitzung der Unionsfraktion zur Euro-Rettung tauchte kurz danach ein angebliches Geheimpapier von Finanzminister Schäuble auf, das sah - laut "Handelsblatt" - eingeschränkte Rechte für die Parlamentarier beim Euro-Rettungsfonds vor. Wenig später folgte eine Rede des Bundespräsidenten, in der nicht nur die Europäische Zentralbank schlecht wegkam. Und weil aller guten Dinge bekanntlich drei sind, folgten dann auch noch kritische Äußerungen von Altkanzler Helmut Kohl, der Angela Merkel Orientierungslosigkeit vorwarf.

    In Berlin bin ich jetzt mit Gunnar Schupelius verbunden. Er ist Leiter des Hauptstadtbüros des Magazins "Focus". Guten Morgen!

    Gunnar Schupelius: Schönen guten Morgen!

    Bremkamp: Bleiben wir mal beim Bundespräsidenten, bei Christian Wulff. Waren dessen Äußerungen hinsichtlich der Euro-Rettung ein Versehen oder doch das Setzen einer wohldurchdachten Duftmarke?

    Schupelius: Nein, kein Versehen. Wir kennen den Bundespräsidenten, er hat lange geschwiegen, sein erstes Jahr über eigentlich hat er sich in den Medien kaum geäußert. Er war im Land unterwegs und hat immer gesagt, ich will erst mal mit den Menschen reden. Dann hat er begonnen, ganz gut verteilt und wohlüberlegt Interviews zu geben, und so ist auch das einzuordnen. Er ist der Meinung, dass er seine Stimme erheben muss, und das entspricht, was er gesagt hat, tatsächlich seiner ganz persönlichen Meinung und auch seinem Willen, sich einzumischen.

    Bremkamp: Nun hat die EZB bereits im letzten Jahr mit diesen kritisierten Ankäufen, Aufkäufen begonnen, warum hat sich Christian Wulff dann gerade jetzt geäußert?

    Schupelius: Also tatsächlich gehörte es zu seiner Strategie, das hat er uns auch immer wieder mal gesagt, dass er sich erst sozusagen ein bisschen festigen wollte im Amt, also ein bisschen Zeit vergehen lassen, damit man ihn im Lande kennenlernt, damit er auch ein bisschen Autorität bekommt. Das, sagt er, hat man nicht vom ersten Tag an. Aber er hatte immer schon mal vor, etwas zu sagen zu den großen Linien der Politik. Und was die Europäische Zentralbank angeht, ist es natürlich so, dass es einem Sorgen machen muss, da ist er nicht der Einzige, Sorgen machen, dass diese Bank Staatsanleihen aufkauft, das ist ein Bruch aller Regeln so ähnlich wie die Maastricht-Regeln, die auch immer gebrochen wurden. Und da fühlt er sich einfach berufen zu mahnen, das haben ja Präsidenten vor ihm auch schon gemacht.

    Bremkamp: Glauben Sie, dass sich so was wiederholen wird? Salopp gesagt: Wird aus dem braven Christian Wulff bald ein sich einmischender, kritischer Geist à la Horst Köhler?

    Schupelius: Ja, das kann ich mir schon vorstellen. Der Unterschied zu Horst Köhler ist allerdings groß, denn Horst Köhler ist ja dadurch aufgefallen, dass er sich eingemischt hat und dann falsch verstanden fühlte und dann wiederum empfindlich reagiert hat. Also, nehmen wir das Beispiel aus dem März damals, 2010, da hat er sich zu Afghanistan geäußert und dann wurde ihm in den Mund gelegt, er hätte gesagt, man führe einen Krieg, um Wirtschaftsinteressen zu verteidigen, und dann hat er gesagt, so habe ich das gar nicht gesagt, und dann hat er sich geärgert. Und dann nahm das so seinen Lauf. Der Wulff ist sozusagen, wenn man das will, weniger empfindlich, der kann auch einstecken. Also, wenn es jetzt Kritik hagelt, wird er damit fertig und wird sein Amt wahrscheinlich nicht verlassen.

    Bremkamp: Wie ernst sollte denn die Kanzlerin solche Mahnungen nehmen wie die jetzt von Wulff, von Kohl? Oder droht möglicherweise Gefahr von ganz anderer Seite?

    Schupelius: Na ja, sie muss sie natürlich ernst nehmen, das ist ja auch wichtig im Staat. Der Präsident hat ja bei uns diese Rolle, er ist ja praktisch der oberste Notar, der Gesetze unterzeichnet, und dann ist er der, der ab und zu mal auf die Politik hinweist und sein mahnendes Wort erhebt. Und wenn das begründet ist, muss sie sich das genau anhören. Der Wulff hat am Ende, wenn Gesetze unterzeichnet werden, der Präsident, schon was zu sagen. Beim Altkanzler ist es anders, der hat seine Meinung geäußert. – Nein, aber entscheidend ist, ob die Partei hinter ihr steht. Und da wird es inzwischen für sie unangenehm in diesen Tagen. Es gibt immer mehr Leute, die geschwiegen haben und die jetzt sagen, wir schweigen nicht mehr, Leute in der CDU-Fraktion. Und das Argument ist, wir werden zu wenig eingebunden in diese Entscheidungen, die unsere Zukunft betreffen. Das Parlament müsste – so sagen die Parlamentarier inzwischen – im Grunde jeden einzelnen Schritt bei der Euro-Rettung mit absegnen.

    Bremkamp: Gunnar Schupelius, Leiter des Berlinbüros des "Focus", herzlichen Dank für diese Einschätzungen!

    Schupelius: Danke schön nach Köln!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.