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Desaster auf Raten

Die Krise, die vom amerikanischen Hypothekenmarkt ausging, wirbelt wirtschaftlich die Welt durcheinander. Momentan sind die Auswirkungen auch in Europa deutlich zu spüren. Groß sind die Unsicherheit, die sich aus den Verlusten der Banken ergeben. Experten glauben, dass ein schnelles Ende noch nicht in Sicht ist.

Von Michael Braun und Brigitte Scholtes | 17.01.2008
    Immer wieder gibt es Hoffnung, Erholung, Entwarnung an der Börse. So wie heute. Die amerikanische Bank JP Morgan hatte gestern Abend recht gute Quartalszahlen gemeldet, der Kurs stieg in New York um fast sechs Prozent. Der deutsche Aktienmarkt schien sich zu erholen, bis heute Mittag die Quartalszahlen von Merrill Lynch kamen: Fast 13 Dollar Verlust je Aktie, doppelt so viel wie erwartet, insgesamt knapp zehn Milliarden Dollar. Es war fast wie vorgestern, als der große deutsche Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate heftige Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe gemeldet hatte - auch die ausgelöst durch die Immobilienkrise in Amerika. Dabei hatte der Münchner Konzern bislang immer so getan, als könne ihm die Subprime-Krise nichts anhaben. Das war ein Schock für die Börse. Fidel Helmer, Börsenchef von Hauck & Aufhäuser:

    "Dass ein DAX-Wert so einen Einbruch innerhalb eines Tages verzeichnete, habe ich noch nicht erlebt, auch nicht einen Anstieg eines Dax-Wertes von 35 Prozent. Also das war schon erschütternd."

    Das Schlimme: Nun fürchten die Märkte, auch die anderen beruhigenden Worte aus Deutscher und Commerzbank könnten nicht der Wirklichkeit entsprechen:

    "Bei der Hypo Real Estate war es ja ebenfalls so, dass da eigentlich nichts Negatives mehr kommen sollte. Es kam dann doch. Und auch die Aussagen der Vorstandsvorsitzenden der anderen Institute lassen ja mehr oder weniger alles offen, was da im Zweifelsfall noch auf uns zukommt."

    Jochen Sanio, der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, der oberste deutsche Bankenaufseher also, nannte die aktuelle Finanzkrise gestern Abend beim Neujahrsempfang der Behörde "die härteste Vertrauenskrise der vergangenen Jahrzehnte."

    "Binnen weniger Wochen war sie dahin, die Zuversicht, dass die tragenden Teile des Systems wirklich belastbar waren. Auf die Solvenz der großen Marktteilnehmer mochte man schon gar nicht mehr setzen. Niemand wusste, wie hoch die Verluste waren. Diese Unsicherheit hat verheerende Destruktivkräfte entfesselt und fast alle Akteure paralysiert."

    Wie konnte es dazu kommen?

    Die Ursprünge liegen lange zurück, als es der amerikanischen Wirtschaft gut ging und die Hauspreise seit 1992 unter Schwankungen nur eine Richtung kannten: nach oben. Zwischen 1996 und 2006 haben sich die Hauspreise in Amerika verdoppelt.

    Im Vertrauen auf ständig steigende Preise wurden die Immobilien zu 100 Prozent auf Pump finanziert, am Ende sogar bei Bauherren, die kein weiteres Vermögen als Sicherheit anbieten konnten und auch sonst keine guten Schuldner waren. Amerikanische Banken gaben zunächst billigen Kredit, verzichteten auf Tilgung, verabredeten kräftig steigende Zinsen und hohe Tilgungsraten in der Zukunft, wenn - so die Hoffnung - die Einkommen und Hauspreise höher sein würden. Dass sie sich damit Risiken einhandelten, war den Banken bewusst. Sie refinanzierten diese Risiken mit Anleihen, die am Kapitalmarkt ausgegeben wurden. So wurden die Risiken gestreut.

    Das funktionierte lange Zeit gut. Das Finanzierungsinstrument wurde aber immer weiter genutzt, und so wurde aus einer Risikostreuung am Kapitalmarkt eine Risikokonzentration bei nicht erstklassig besicherten Krediten, bei Subprime-Krediten. Und als die Einkommen nicht stiegen, die Hauspreise seit 2007 fielen, zuerst langsam, dann drastisch, zurück auf das Niveau des Jahres 1992, da waren alle Sicherheiten dahin. Die Immobilienkredite wurden nicht mehr bedient, die Anleihen auch nicht, wer solche Anleihen besaß, saß in der Falle. Die Risikofreude, die zu dieser Situation geführt hatte, war pikanterweise aus einer anderen Krise entstanden. Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank:

    "Ganz sicherlich ist die entschlossene Liquiditätsbereitstellung durch die amerikanische Zentralbank nach dem New-Economy-Crash mit sehr niedrigen Geldmarktzinsen von einem Prozent über viele Jahre der wichtigste Auslöser für reichlichste Liquidität auf diesem Globus. Die Welt war damit mit Liquidität überflutet und gleichzeitig gab es in wichtigen anderen Ländern, die ja jetzt auch von der Subprime-Krise betroffen waren, nahezu keine Gelegenheit, normale Finanzierungen zu machen. Die Finanzinstitute, die mit so viel Liquidität ausgestattet waren, standen plötzlich mit vielen Einlagen da, aber mit wenig rentablen Möglichkeiten, das Geld anzulegen. "

    Banken, deren Geschäft nicht sonderlich tragfähig war, hatten diesen Missstand lange zukleistern können, indem sie die Anleihen auf Subprime-Kredite kauften. Lange warfen die nämlich ordentliche Gewinne ab. Als sie ausblieben, brachen die Banken zusammen. In Deutschland sind die Mittelstandsbank IKB und die SachsenLB die eindringlichsten Beispiele dafür. Die IKB musste Ende Juli vor allem von ihrem Großaktionär, der staatlichen KfW Bankengruppe, gestützt werden. In kleinerem Umfang waren auch alle anderen Bankengruppen dabei, die Sparkassen, die genossenschaftlichen und die privaten Banken. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, hatte die Schieflage der IKB bekannt gemacht und die Rettungsaktion angeregt. Dies auch mit Hilfe von Liquidität durch die Notenbanken:

    "Ohne die Intervention der Zentralbanken hätten wir eine ganz große Problematik gehabt, die leicht zu einem systemischen Risiko sich hätte entwickeln können. Wie wenig braucht es, wenn einmal das Vertrauen dahin ist und die Leute nicht mehr bereit sind, ihr Geld einzusetzen. "

    Wenn man einen Willigen findet, soll die IKB verkauft werden. Die SachsenLB ist unter die Fittiche der Landesbank Baden-Württemberg geschlüpft, die WestLB, auch sie von Subprime-Verlusten gepeinigt, soll sich mit ihrer Schwester, der Landesbank Hessen-Thüringen, zusammenschließen. Ob es klappt, ist unsicher. Der Konsolidierungsdruck im Bankgewerbe ist jedenfalls hoch. Denn es gibt derzeit eine doppelte Krise, sagt Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Deka Bank: Erstens die Unsicherheit, die sich aus den Verlusten der Banken und den Folgen für das Bankensystem direkt ergeben.

    "Das Zweite ist die Auswirkung auf die Konjunktur. Die Auswirkungen werden in der ersten Jahreshälfte geschehen. Wir sehen, dass Frühindikatoren für die konjunkturelle Entwicklung sich nach unten bewegen, das ist der zweite Unsicherheitsfaktor. Und diese beiden Unsicherheiten spiegeln sich an den Börsen wider. Und die Börsen neigen naturgemäß dazu, Risiken sehr deutlich einzupreisen, teilweise auch übertrieben einzupreisen, eher mit Schlimmerem zu rechen."

    Wie schlimm es ist, ist noch nicht absehbar. Denn es müssen Papiere bewertet werden, für die es derzeit keine Kurse gibt. Die Subprime-Anleihen will derzeit niemand haben, sie sind unverkäuflich. Ihre Besitzer hoffen, sie seien gleichwohl nicht wertlos. Dass die ursprünglichen Werte illusionär sind, ist klar. Experten rechnen mit Abschreibungen von rund 110 Milliarden Dollar. 20 Milliarden Dollar bisher bei Merrill Lynch, fast ebenso viel bei der Citigroup. Auch bei der Schweizer UBS und britischen Banken werden Ende Februar hohe Abschreibungen erwartet. So werden die Anleger in den nächsten Wochen mit Sorge jeder Bilanzvorlage entgegensehen. Auch danach ist wohl kaum Ruhe angesagt, meint Dieter Hein vom unabhängigen Analysehaus fairesearch. Klarheit herrsche auch dann wohl noch nicht:

    "Die wäre gegeben, wenn es bei dieser Subprime-Krise geblieben wäre. Man sagt: "OK, das Ereignis haben wir abgearbeitet, das war´s." Das ist noch nicht abgearbeitet, weil die Institute eben teilweise gar nicht wissen, welche Risiken sie haben, und plötzlich davon überrascht werden. Und zum Zweiten: Wenn sich die Rahmenbedingungen durch die Krise verschlechtern - danach sieht es momentan aus - kann man die Folgen auch noch nicht absehen. Also, die Hoffnung, die man hatte, dass so im März, wenn die Zahlen für das Jahr 2007 vorliegen, dass man dann einen Haken darunter machen kann und sagt: " Jawohl, das war´s", ist abgearbeitet. Es sieht immer mehr danach aus, dass das nicht der Fall ist, und von daher lässt das natürlich Befürchtungen weiten Raum."

    Befürchtungen, die die Börsen immer wieder in Unruhe versetzen könnten. Denn sie sorgen sich, dass die Banken nicht mehr genügend Eigenkapital haben, um die Investitionen der Wirtschaft und der Verbraucher zu finanzieren. So zeige der Blick in die USA, und dort auf die Lage am Hypothekenmarkt, dass mit einem Ende der Krise so bald noch nicht zu rechnen sei, meint der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, denn die niedrigen Zinsen werden derzeit nach oben angepasst:

    "Es besteht sicher noch ein gewisses Risiko, dass zusätzliche Spannungen auftreten. Die kommen zum einen aus den USA, wo noch sehr viele Haushalte sozusagen mit "Lockvogelzinsen" in Hypothekenverträge gelockt wurden. Und die müssen zunehmend - nach einer Spanne von zwei Jahren - marktgerechte Zinsen bezahlen. Diese Zinsanpassungen finden im Augenblick statt, und die werden ihren Höhepunkt im Sommer dieses Jahres erreichen. Das heißt, es werden sehr viele Haushalte mit Zinszahlungen dann konfrontiert, die sie sich nicht leisten können. Sie werden also ihre Häuser verkaufen müssen. Oder die Häuser werden versteigert. Also wird von daher noch ein ständiger Druck auf den Markt da sein, der eben dann alle die Immobilienkredite belastet. Wir werden möglicherweise auch noch Belastungen aus Spanien oder Großbritannien bekommen. Das sind ja auch Länder, in denen sehr stark kreditfinanzierte Immobilien erworben wurden und wo sich auch eine ordentliche Abkühlung abzeichnet. Also auch da ist ein gewisses Risikopotential. "

    Und das dürfte vor allem in den USA deutliche Spuren in der Realwirtschaft hinterlassen, meint Bofinger:

    "Die amerikanischen Haushalte haben in den letzten Jahren einfach gar nichts gespart. Sie haben sich dadurch reicher gerechnet, dass ihre Häuser im Wert gestiegen sind und haben darauf gehofft, dass sie dann diese Häuser irgendwann einmal verkaufen können, wenn sie alt werden, und damit ihren Lebensunterhalt finanzieren. Und wenn sie feststellen, dass dieses Modell nicht aufgeht, dann werden sie auch gezwungen sein - so wie das in anderen Ländern der Fall ist - etwas zu sparen von dem, was sie an Einkommen haben. Und das wird sicher auf längere Zeit die Konsumdynamik in den USA belasten. "

    Auch Uwe Angenendt, Chefvolkswirt der BHF-Bank, sieht noch kein schnelles Ende der Krise:

    "Meine Beurteilung ist, dass die Krise uns noch einige Zeit begleiten wird. Es läuft in Wellen. Die erste Welle war sozusagen eine Liquiditätskrise, man hat Liquidität gesucht in den Banken, um die vielen Wertpapierportefeuilles, die Kursverluste hinnehmen mussten, zu finanzieren, in die eigenen Bücher zu nehmen. Die nächste Welle war die Bewertungswelle, die wir auch jetzt sehen: Hohe Abschreibungen auf die Wertpapierportefeuilles, die man übernommen hat bei verschiedenen Banken. Eine dritte Welle wird sein, dass Eigenkapital gesucht wird, um die Bankbilanzen wieder in die Balance zu bringen. Und ich denke eine vierte Welle steht uns noch bevor, dass das Bankgeschäft - ganze Geschäftsideen sozusagen - geplatzt sind und dort wieder neue Wege gesucht werden müssen. Und das geht natürlich vermutlich auf die Ertragslage des gesamten Bankensystems. "

    Die einzelnen Wellen aber sind nicht streng voneinander abgegrenzt. So hat sich die Lage am Geldmarkt, an dem sich die Banken mit zusätzlicher Liquidität versorgen können, zwar schon wieder entspannt. Denn die Notenbanken weltweit hatten den Kreditinstituten kurzfristige Milliardenkredite angeboten. Sie fürchteten eine Verknappung bei der Kreditvergabe, und das hätte die gesamte Wirtschaft weltweit in den Abwärtsstrudel gezogen. Hier attestiert die Fachwelt den Zentralbanken professionelles Krisenmanagement, auch der Europäischen Zentralbank. So meint der Wirtschaftsweise Peter Bofinger:

    "Die EZB hat ja auch mit ihrer Liquiditätspolitik im mehreren hundert Milliardenmaßstab dafür gesorgt, dass das europäische Bankensystem mit dieser Belastung zurecht gekommen ist. Das heißt, die EZB hat also auch Intensivmedizin betrieben, und sie hat das auch gut gemacht."

    Die Bewertung der Kreditbündel aber bleibt ein Problem. Denn die Bankmanager wussten häufig nicht, was sie da an Risken ins Haus geholt hatten. Deshalb ging Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit der Branche auch schon vor einigen Monaten hart ins Gericht und warf ihnen vor, ihre Risiken mit euphemistischen Begriffen zu verbrämen:

    "Die nennen sie dann Conduit oder Investmentvehikel oder strukturierte Produkte. In Wirklichkeit ist das eine Wundertüte, wo sie nicht wissen, wo die Risiken und der Knallfrosch drin ist. Sie haben keine blasse Ahnung davon. "

    Dass diese Derivate lange Zeit kritisch beargwöhnt wurden, hat seinen Grund darin, meint Bankenanalyst Dieter Hein:

    "... dass sie auch für die schlimme Weltwirtschaftskrise ´29 mitverantwortlich waren. Die waren im Verbot, und die haben jetzt eigentlich die erste Krise, nachdem sie wieder voll zugelassen waren. Und sie verschärfen auch wieder die Krise, da die Institute häufig gar nicht wissen, welche Risiken sie drin haben, zusätzlich zu den Risiken, die Banken und Versicherungen auf Grund ihres Geschäftes eben eingehen. Und das ist natürlich ein Sprengsatz, den wir so die letzten sechzig Jahre nicht hatten."

    Nun gilt es Auswege zu finden, damit dieser Sprengsatz nicht explodiert. Wobei der oberste Bankenaufseher Jochen Sanio einen gewissen Unwillen verspürt, den Banken aus jeder Patsche zu helfen:

    "Es zeichnet sich immer deutlicher die Frage ab, was man eigentlich als Banker anstellen muss, um nicht gerettet zu werden. "

    In den USA aber richten sich die Hoffnungen zum einen auf die amerikanische Regierung als auch auf die amerikanische Notenbank, sie mögen den amerikanischen Verbrauchern helfen. So meint der Wirtschaftsweise Peter Bofinger:

    "Also am Besten ist es natürlich, wenn man ansetzt, da, wo das Problem ist, nämlich bei diesen Haushalten, die einfach ihre Kreditzahlungen nicht mehr leisten können, weil diese Zinsanpassung auf sie zukommt. Die amerikanische Regierung ist ja schon dabei, sich Gedanken zu machen, wie man den Haushalten hilft, diese Anpassungen über die Zeit hinweg zu strecken. Das, was es bisher an Ansätzen gibt, ist aber - soweit ich das sehe - noch etwas zu halbherzig und man wird sich überlegen müssen, ob man da nicht noch umfassender rangeht, damit man eben diese Welle von Zinsanpassungen über die Zeit strecken kann und damit wäre sie ja auch leichter zu verkraften. Zum andern bin ich überzeugt, dass die amerikanische Notenbank alle Register ziehen wird - zinspolitisch - wenn es darum geht, die Wirtschaft zu stabilisieren. Das ist sozusagen das positive Element in dieser Krise, dass in den USA die Wirtschaftspolitik weiß, dass sie eingreifen muss, und dass sie dann auch bereit ist, sehr kräftig zu intervenieren. "

    Zu kräftig aber dürften diese Zinssenkungen, die der Chef der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, vor einigen Tagen angedeutet hatte, auch nicht ausfallen. Schließlich war es das Übermaß an Liquidität gewesen, das die aktuelle Krise erst ausgelöst hatte.

    Anders dürfte aber die EZB reagieren: Sie hat zwar mit Liquiditätsspritzen geholfen, eine Kreditklemme zu verhindern, und das will sie auch weiterhin so handhaben. Doch wegen der aktuell zu hohen Inflation im Euroraum weigert sie sich, die Zinsen zu senken, warnt vielmehr vor zu hohen Lohnabschlüssen, die eine Lohn-Preisspirale in Gang setzen könnten. Sie belle, damit sie nicht beißen, also die Zinsen erhöhen müsse, meint Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank:

    "Wir rechnen damit, dass die Europäische Zentralbank ihren Leitzins nicht anheben wird. Sie wird ihren Leitzins zunächst unverändert lassen und in der zweiten Jahreshälfte sogar senken, vor allem eben aus Sorge um die Konjunktur. "

    Das Beispiel Japans zeigt aber, dass man mit zu billigem Geld nicht immer den erhofften Aufschwung erreicht: Die Japaner hatten nach dem Platzen der Immobilienblase in den neunziger Jahren die Leitzinsen bis auf null Prozent herabgeschleust. Die Wirtschaft haben sie trotzdem nicht ankurbeln können. Das sollte den Amerikanern als Lehre dienen, meint Krämer:

    "Was jetzt in den USA passiert, sind Bilanzbereinigungen. Die Haushalte müssen ihre übertriebene Verschuldung abbauen, sprich: Sie müssen ihre Bilanzen bereinigen. Und solange sie ihre Bilanzen bereinigen müssen, werden sie nicht bereit sein, auf niedrige Leitzinsen zu reagieren, sprich ihre Verschuldung wieder zu erhöhen. Wenn man weiß, man muss wieder runter mit der Verschuldung, verschuldet man sich nicht stärker, auch wenn der Leitzins etwas niedriger ist. Und von daher wird die Leitzinssenkung der amerikanischen Notenbank wenig wirken. Normalerweise sollte man ja annehmen, wenn die Notenbank in Amerika den Leitzins stark senkt, dann bekommen wir nächstes Jahr, 2009, ein richtig kräftiges Wachstum, vier oder fünf Prozent. Das ist so die Erfahrung der Vergangenheit. Aber wenn die Haushalte parallel eben ihre Bilanzen bereinigen, werden wir keinen ordentlichen Aufschwung erleben. Wir werden ein Wachstum haben von knapp zweieinhalb Prozent, was für amerikanische Verhältnisse wenig ist. Das heißt, die Arbeitslosigkeit wird im nächsten Jahr weiter steigen. "

    Dazu kommen dann noch die Banken, die händeringend nach Eigenkapital suchen - und das finden bei bisher verschmähten Geldgebern: Ausländischen Staatsfonds nämlich. 37 Milliarden Dollar sind ihnen in den letzten Wochen allein durch Staatsfonds aus Singapur, Kuwait, China oder Abu Dhabi zugeflossen. Dieses Geld war nicht immer willkommen, erinnert sich Jörg Krämer:

    "Es ist ziemlich pikant, wenn man sich erinnert, dass noch vor zwei, drei Jahren die Amerikaner verhindert haben, dass Ausländer Beteiligung an ihren Häfen übernehmen. Ich glaube, dass Banken in Amerika zumindest so einflussreich sind - und so wichtig sind aus strategischen Gründen wie Häfen. Und dass die Amerikaner jetzt bereit sind, Ausländer in großem Umfang investieren zu lassen in die Banken, sprich in das Herz der amerikanischen Volkswirtschaft, zeigt, wie ernst die Lage in Amerika ist."

    Auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger erkennt zwar an, dass die ausländischen Geldgeber derzeit sehr willkommen sind. Denn sie verhindern eine Kreditklemme und damit ein allzu starkes Abbremsen der Konjunktur. Aber man sollte sich nicht zu früh freuen, mahnt er:

    "Allerdings ist es natürlich, wenn man das etwas perspektivisch sich überlegt, vielleicht schon bedenklich, wenn jetzt aus Minderheitsbeteiligungen an Banken plötzlich Mehrheitsbeteiligungen würden, wenn also zum Beispiel der chinesische Staatsfonds die Mehrheit an der Citybank übernehmen würde und aus der amerikanischen Citybank würde plötzlich de facto eine staatseigene, chinesische Bank werden. Dann würde ich doch gewisse Probleme sehen. Denn das wäre sicher auch für die Marktwirtschaft nicht so gut, wenn die Banken, die ja in einem marktwirtschaftlichen System eine ganz zentrale Rolle spielen, wenn die von Eigentümern gehalten werden, die eben nicht nur ökonomische, sonder auch politische Ziele verfolgen."

    Die Krise, die ausging vom amerikanischen Hypothekenmarkt, wirbelt deshalb nicht nur wirtschaftlich die Welt durcheinander. Sie könnte auch eine Verschiebung der politischen Gewichte nach sich ziehen.