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Desaster mit Spätfolgen

Umwelt.- In der Nacht zum 3. Dezember 1984 starben in der indischen Stadt Bhopal mehr als 15.000 Menschen: Schlamperei in einer Produktionshalle hatte dazu geführt, dass austretendes Gas unzähligen Bürgern die Luft zum atmen nahm. Auch 25 Jahre später leiden Tausende noch an den Spätfolgen des Unglücks.

Von Hellmuth Nordwig | 03.12.2009
    Erst nach der Katastrophe von 1984 wurde bekannt, dass in Bhopal schon lange ein Problem bestanden hatte: Chemikalien im Boden vergifteten das Grundwasser, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Das hat ein internationales Expertenteam bestätigt, dem der Bauingenieur Professor Harald Burmeier angehört.

    "Was dazu geführt hat, dass die Brunnen, die dort existieren zur Wassergewinnung für die dortige Bevölkerung vor Jahren schon, bereits zu Produktionszeiten als kontaminiert gekennzeichnet wurden. Die sind rot angestrichen worden. Das sind so Handpumpen. Das heißt, dass die Bevölkerung diese Brunnen nur noch für Brauchwasser nutzen soll, also zum Waschen von Kleidung oder so etwas."

    Trinkwasser gibt es dort bis heute nur aus Tankwagen, doch die Menge reicht bei weitem nicht. So sind die Menschen eben doch auf die Brunnen angewiesen. Und nehmen damit nach wie vor Giftstoffe auf, von denen 25.000 Tonnen in den Boden eingesickert sind. Vor allem Produktionsrückstände von Unkrautvernichtungsmitteln und Insektiziden wie Lindan. Ferner Krebs erregende Zwischenprodukte sowie Quecksilber. Um das Problem dauerhaft zu lösen, schlagen die Fachleute vor, den Boden zu erhitzen und ihn so von den Chemikalien zu reinigen – in einer geschlossenen Anlage, damit keine Giftstoffe nach draußen gelangen.

    "Hier könnte man den Boden ausheben. Man könnte ihn thermisch vorbehandeln vor Ort. Wir haben hier vorgeschlagen, eine Desorption zu machen, das heißt eine Abtrennung der Schadstoffe vom Boden. Und wenn wir den kontaminierten Boden dekontaminiert haben, dann haben wir vorgesehen, dass der gereinigte Boden wieder eingebaut wird. Unsere Idee war, dass wir auf Standards sanieren, die eine Wohnbau-Folgenutzung für den Standort ermöglichen."

    Solche Sanierungen sind andernorts bereits erfolgreich durchgeführt worden. Beim Erhitzen verdampfen die giftigen Chemikalien und werden als sogenanntes Destillat aufgefangen. Diese hoch konzentrierte Giftbrühe muss dann in einem zweiten Schritt unschädlich gemacht werden. Experten wie Harald Burmeier von der Hochschule Ostfalia schlagen vor:

    "Dieses aufkonzentrierte Destillat, das da rauskommt, in eine geeignete Sonderabfallentsorgungsanlage entweder in Europa oder in die USA zu fahren. Das ist möglich; es gibt das Basler Abkommen, nach dem diese Transporte auch zulässig sind. Wir haben den Verbrennungstechniken dort in Indien nicht getraut. Da war die Diskussion, das in Zementöfen mit zu verbrennen. Aber dafür sind die Abgasanlagen nicht eingerichtet."

    Indische Fachleute hatten als Alternative angeregt, Bakterien einzusetzen, um den Boden zu sanieren. Doch diesen Plan haben die Experten verworfen. Denn bei einem vergleichbaren Standort in Deutschland hat er nicht funktioniert: in Hamburg-Moorfleet, wo ebenfalls Pflanzenschutzmittel den Boden verseucht hatten. Selbst wenn der Boden in Bhopal gereinigt wäre, bliebe aber das Problem des vergifteten Grundwassers. Direkt im Untergrund kann es dort nicht saniert werden, weil das Gestein zu zerklüftet ist. Harald Burmeier:

    "Für das Grundwasser haben wir eine sehr pragmatische Lösung vorgeschlagen: Unser Ziel war es, das Grundwasser zu fördern, vor Ort zu behandeln in einer Grundwasseraufbereitungsanlage auf Trinkwasserstandard, und es dann als Trinkwasser auch zu nutzen – weil die Leute dort eine chronische Wasserknappheit haben."

    Die Experten haben ihr Konzept im Auftrag von Greenpeace erarbeitet. Vor fünf Jahren, am 20. Jahrestag der Katastrophe, haben sie es auf einer öffentlichen Veranstaltung in Bhopal vorgestellt. Dort ist es auf großes Interesse gestoßen – doch passiert ist bis heute nichts. An den Kosten dürfte es nicht liegen: Sie sind mit rund 30 Millionen US-Dollar überschaubar. Doch nach dem Unfall hat die Betreiberfirma Union Carbide das Gelände in Bhopal einfach verlassen. Im Jahr 2004 haben die Anwohner das Unternehmen in den USA verklagt, weil Krankheiten und Missbildungen bei Kindern immer noch an der Tagesordnung sind. Die Firma steht auf dem Standpunkt, nun sei die Regierung des indischen Bundesstaats für die Sanierung zuständig. Der Prozess dauert an.