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Design und Zeit

Uhren sind schon immer Klassiker des Designs - und somit auch Schmuck- und Prestigeobjekte. Eine Ausstellung im Marta-Herford-Museum für zeitgenössische Möbelkunst und Design befasst sich mit Zeitempfinden im Gegenwartsdesign und nennt sich lapidar: "Jetzt."

Von Peter Backof | 12.09.2011
    "Es ist etwas, was - glaub ich - jeder von uns kennt: Wir haben hier Objekte, tatsächlich aus dem Herforder Rathaus, eingesetzt."

    Gleich am Anfang der Schau "Jetzt." Mit Kuratorin Friederike Fast.

    "Sitzbänke, Tische und Anzeigetafeln, wie man sie in Warteräumen öffentlicher Gebäude kennt, klassischerweise."

    Formen und Farben deuten auf Wert und Beständigkeit in diesem nachgestellten Amtsflur.

    " Ja, sie vermitteln den Eindruck, als wär man aus der Zeit gefallen."

    An der Wand auch: Ein ironischer Chrono-Schredder, der Kalendertag-Blätter zerfasert - und somit Wartemarken-Automaten auf die Schippe nimmt. Ko-Kurator Jörg Hundertpfund:

    " Und das Interessante ist ja, dass das Warten gar nicht mehr vorkommt. Also das ist ein ganz merkwürdig anachronistisches Phänomen."

    Obwohl Stühle und Tische in Wartebereichen so zeitlos wirken, sind sie ständig einem Designprozess unterworfen. Man sieht, zum Beispiel an den Mustern von Stoff-Bezügen, wie sich Moden in Dinge einschreiben. Und auch die Zeit selber: "Jetzt" ist mehr als eine Designshow, eine Phänomenologie mit kritischen Zwischentönen. Man kommt an Wanduhren mit sichtbarer Mechanik vorbei, die die Zeit zum Fetisch machen, oder an einer Vanitas-Variation: Ein lebensgroßes Skelett ist Rockstar. Eine witzige Wackelpuppe auf den schnellen Blick. Aber die ist sehr filigran, Knochen für Knochen, mit einer schwarzen Lederhaut überzogen. Man sieht, wie viel Arbeitszeit in diesem entschleunigten Werk steckt.

    "Das Design ist die Kunst, die das kritische Gegenüber nicht kennt. Die Designer, die arbeiten in einem kritiklosen Raum."

    Derlei Slogans sind irritierend auf die Wände drapiert. Kommentar zum Trend derzeit: Design ist auch Kunst und umgekehrt.

    "Performatives Design, im aktuellen Designdiskurs durchaus ein eingeführter Begriff."

    Friederike Fast meint einen weißen Stuhl von Front Design aus Schweden. Unscharf wie eine schnelle Skizze. Der Künstler gestikuliert eine Formvorstellung in den Raum.

    "Und mit Hilfe von Sensoren wird diese Bewegung aufgezeichnet und in digitale Daten umgesetzt."

    Ein Dokument des technisch Machbaren, aber wenig einladend, darauf zu sitzen. Auch fehlt den Kuratoren an diesem Stuhl etwas. Wenn jeder herginge, und seinen individuellen Stuhl in den Raum gestikulierte, dann gäbe es sieben Milliarden verschiedene Stühle. Aber die Form wäre dann beliebig.

    Problematisch könnten aus Sicht der Ausstellungsmacher auch Versuche sein, kreative Prozesse komplett ins Internet zu stellen. Thomas Lommeé stellt seit vier Jahren "Open Structures" vor. Wieder ein Werk, das erst mit der Zeit wächst: virtuelle Baukästen, deren Elemente von einem User-Schwarm kombiniert werden sollen.

    "Man bleibt tendenziell, das ist meine Befürchtung, Autist. Selbst wenn jeder in der Lage wäre, zu gestalten, frage ich mich: Wo findet die kulturelle Reibung statt? Wenn wir mit den Dingen leben, reden wir über die Dinge. Und diese Übersetzung in die Virtualität, das weiß ich nicht, ob es sich da verliert, also nur um sich selbst zirkuliert, auf der Basis dessen, was das Netz ermöglicht, als Struktur."

    In "Jetzt." spielt die Hinwendung des Designs zur Vergangenheit eine große Rolle. Der Vintage-Mülleimer im Kaiser-Wilhelm-Look, die Stone-Washed-Jeans für Kopfarbeiter. Über Moden hinaus gehend erfolgreich verkauft. Es sind Waren mit Geschichts-Patina, die etwas Wertiges und Gebrauchtes ausstrahlen. Paradoxer Kommentar zu diesem Design-Trend: ein Paar Künstlerturnschuhe. Sie werden voller Farbspritzer verkauft. Wenn man sie anzieht und damit läuft, blättern die künstlichen Gebrauchsspuren ab.

    MARTa Herford Museum