Donnerstag, 25. April 2024

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Designer Wayne Hemingway
"Wir brauchen einen neuen Youthquake"

"Die Leute müssen begreifen, dass sie etwas ändern können", sagte Designer Wayne Hemingway im Dlf. Die Menschen hätten für den Brexit gestimmt, weil sie gegen ihre Lebenssituation protestieren wollten. Jetzt brauche das Land eine kulturelle Revolution.

Wayne Hemingway im Corsogespräch mit Louise Brown | 23.07.2018
    Designer Wayne Hemingway sitzt mit seinem Hund im Garten auf einer Bank aus Stein
    Designer Wayne Hemingway sitzt mit seinem Hund im Garten (Deutschlandradio/LouiseBrown)
    Louise Brown: Sie waren Teil dieser kreativen Bewegung, die seit den 60er-Jahren an mit Musik, Design, Kunst und Jugendkultur eine neue britische Identität geschaffen hat. Wie war das damals, als Sie angefangen haben auf dem Londoner Camden Market - sechs Pfund kostete damals, glaube ich, der Stand?
    Wayne Hemingway: Ich hatte Glück, einer Generation anzugehören, bei der sich die Jugendkultur sehr schnell entwickelte. 1973, mit zwölf Jahren, sah ich David Bowie in meiner Heimatstadt Blackburn. Wenn man in dem Alter so etwas erlebt, macht es enormen Eindruck. Von da an dachte ich nicht mehr an Fußball, sondern nur noch an Gegenkultur. Nach Glam Rock kam der Punk. Northern Soul tauchte auf, Disco und Funk und die New Romantics.
    "Es war eine andere Zeit!"
    Dann traf ich meine Frau. Und als ich 18 war, fühlte es sich ganz natürlich an, nach London zu gehen, wo es mehr Clubs gab und mehr Bands. Jeder von uns hatte 50 Pfund in der Tasche. Wir hatten keine Angst und keinen Plan. Es war eine Zeit, in der man sich ziemlich sicher sein konnte, dass es einen besser gehen würde als seinen Eltern. Es gab nicht diese soziale Ungleichheit wie heute, nur dieses Gefühl von Hoffnung.
    Wayne Hemingway und seine Frau Gerardine im Look der 1980er-Jahre
    Wayne Hemingway und seine Frau Gerardine in den 1980er-Jahren als junge Designer des Labels "Red or Dead" (Wayne Hemingway )
    Und genau so kam es: Als erstes gründete ich eine Band und mir ging das Geld aus. Meine Frau Gerardine schlug vor, unsere Klamotten auf dem Camden Markt zu verkaufen. Sie konnte gut nähen und ich war gut darin, Second-Hand-Kleidung aufzustöbern, die man verkaufen konnte. Daraus wurde unsere Firma "Red or Dead". Wir eröffneten ein Geschäft in einer Straße, die heute zu den Shoppingmeilen in London gehört. Für einen großen Laden zahlten wir 60 Pfund! Und auf einmal hatten wir 20 Läden und das Geschäft machte einen Umsatz von 25 Millionen Pfund. Es war eine andere Zeit!
    "Wir haben eine Jugend, die sich kaum mit Mainstream-Politik auseinandersetzt"
    Brown: Sie sagten einmal, als Arbeiterklasse-Junge hätten Sie nicht einmal gewusst, was Design ist, hätten aber diesen Tatendrang gehabt.
    Hemingway: Es gab da einen Optimismus. Nichts konnte einen damals zurückhalten – solange man eine Idee hatte, könnte man es einfach versuchen.
    Brown: Wenn Sie an dieses progressive Gefühl von damals denken: Wie haben Sie sich am Morgen nach dem Brexit-Referendum gefühlt?
    Hemingway: Wir waren geschockt. Weil wir nicht geglaubt haben, dass es zum Brexit kommen würde. Ich hätte wissen sollen, dass es in meiner Heimat, die deutlich für den Brexit gestimmt hat, zum Protest kommen würde. Die Städte im Norden des Landes sind nur noch blasse Erinnerungen an jene, die sie mal waren. Die Jobs in der Textilindustrie sind weg, auch die Plattenläden und die Clubs. David Bowie würde heutzutage nie in Blackburn auftreten. Gleichzeitig durften die Städte mit ansehen, wie der Süden immer stärker wurde. Ich verstehe, warum die Leute für den Brexit gestimmt haben: Nicht, weil sie keine Europäer mögen. Sie haben gegen ihre Lebenssituation gestimmt und gegen den Weg, den Großbritannien gerade geht.
    Wir haben noch länger mit Wayne Hemingway gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs in englischer Originalversion
    Brown: Britische Popkultur war oft eine Reaktion auf soziale Ungleichheit. Aber wo ist die Anti-Brexit-Punk-Rebellion? Wo waren, wo sind die Kreativen?
    Hemingway: Die Kreativen waren zu gelassen. Keiner glaubte, dass es zum Brexit kommen würde. Ich bin mit Demonstrationen aufgewachsen - gegen Thatcher zum Beispiel. Das alles war greifbar. Der Brexit war aber nicht greifbar. Für viele war es zudem eine ausgemachte Sache. Dazu haben wir eine Jugend, die sich kaum noch mit der Mainstream-Politik auseinandersetzt.
    "Kultur kann etwas ändern"
    Brown: Was muss sich tun?
    Hemingway: Die Leute müssen begreifen, dass sie etwas ändern können. Dass Kultur etwas ändern kann, indem man Lärm macht. Das kann man nicht nur einer kleinen Kreativbranche überlassen. Sie kann aber den Menschen das Gefühl geben, sie hätten eine Stimme. Die Menschen müssen erkennen, dass sie selbst etwas ändern können. Es müssen Millionen auf die Straßen gehen und demonstrieren. Viele wollen etwas tun. Aber viele fragen sich auch: Wo ist diese Massenbewegung?
    Hemingway: Ich habe einige Youthquakes erlebt. Punk war ein Youthquake. Beim Punk ging es darum, dass alles möglich war, egal wo man herkam. Wir brauchen einen neuen Youthquake. Jetzt.
    Brown: Sie haben Ihr Modehaus "Red or Dead" Ende der 90er-Jahre verkauft und das Unternehmen "HemingwayDesign" gegründet, mit dem Sie zwar in verschiedenen Designbereichen unterwegs sind, aber mit einem vorrangigen Ziel ...
    Hemingway: … unsere Philosophie lautet: Design kann das Leben lebenswerter machen. Alles, was wir tun, hat einen politischen oder sozialen Wert.
    "Wir wirken altmodisch"
    Brown: Können Sie ein Beispiel nennen?
    Hemingway: Eines unserer ersten Projekte war eine Wohnsiedlung in einer Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit in Gateshead. Wir hatten noch nie ein Haus entworfen - dabei war die Siedlung groß, 760 Häuser! Es ist ein toller Wohnort geworden für eine total vielseitige Community.
    Ein anderes Projekt war das "Festival of Making" in meiner Heimatstadt Blackburn - einst eine der führenden Produktionsstädte in Großbritannien, aber seit dem Niedergang der Industrie kamen harte Zeiten auf Blackburn zu. 60.000 Menschen sind 2017 zum "Festival of Making" gekommen. Die Straßen waren voll mit Menschen, die Großes und Kleines gebastelt haben.
    Wir versuchen, das Leben der Menschen etwas zu verbessern in der Hoffnung, dass sie, wenn sie zufriedener sind, das nächste Mal im einem Referendum anders abstimmen werden. Unsere Projekte können den Brexit nicht aufhalten, aber vielleicht können sie helfen, die Wunden zu heilen, die diesem Land geschadet haben.
    Brown: Ob mit sozialem Wohnungsbau oder Modenschauen: Sie sind dafür bekannt, dass sie es schaffen, das Uncoole wieder cool zu machen. Wie kann man in Brexit-Zeiten das Cool Britannia von einst wieder cool machen?
    Hemingway: Die Marke Großbritannien ist vom Brexit schwer angeschlagen. Wir wirken altmodisch und als ob wir nur auf uns selber schauen. Und plötzlich hält man uns auch für rassistisch. Aber wir sind kein rassistisches Land. Was kann uns wieder cool machen? Das einzige ist: eine kulturelle Revolution. Wir müssen Leute dahin kriegen, aufzustehen und zu erkennen, dass wir eine intelligente und subversive Nation sind, in der die Jugend etwas zu sagen hat. Wie Punk und Britpop und eine neue Generation von Künstlern wie etwa Damian Hirst es einst getan hat – und damit weltweit Resonanz fand. So etwas brauchen wir wieder.
    Brown: Zum Abschluss noch diese Frage: Ich habe gelesen, Sie sammeln gerne Gegenstände aus der britischen Kultur …
    Hemingway: Ich bin Mitbesitzer eines Museums, "The Land of Lost Content". Dort werden beliebte Alltags- und Kunstobjekte der Briten aus verschiedenen Generationen gezeigt: Lebensmittelkarten aus den 40er-Jahren, Gewerkschaftsposter aus den 70ern oder Marks&Spencer-Hemden aus den 60er-Jahren - die sind super cool, davon habe ich fünfzig Stück.
    Brown: Was würden Sie aus der heutigen Zeit zu der Sammlung hinzufügen?
    Hemingway: Ich habe Zeitungsartikel und Banner aus der Zeit der Bergarbeiterstreiks der 70er. Ich würde Ähnliches sammeln aus unserer Zeit. Der Brexit ist der größte politische Umbruch für die Menschen in Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg. In 30, 40 Jahren werden wir zurückschauen und darüber staunen. Aber ich bin sicher, dass wir dann wieder in der EU sein werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Eine Spotify-Playlist mit den besten Songs zum Thema begleitet die Serie - im Deutschlandfunk-Account unter "DLF_BrexitMonday"