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Bürgerkrieg in Kamerun
Schulen unter Beschuss

Seit vier Jahren tobt im Westen Kameruns ein Bürgerkrieg. Separatisten wollen ihren eigenen Staat, weil sie jahrelang von der Regierung vernachlässigt wurden. Um die Regierung unter Druck zu setzen, versuchen sie mit Gewalt die Schulen geschlossen zu halten.

Von Adrian Kriesch | 16.01.2021
Ein DINA4 Foto des achtjährigen Nsoh als Bekanntgabe seiner Beerdigung.
Bürgerkrieg in Kamerun: Der achtjährige Nsoh wurde durch die Explosion einer Granate getötet. (Adrian Kriesch / Deutschlandradio)
Wie lange müssen wir noch leiden, ruft die Tante von Nsoh, während der Sarg des Achtjährigen aus dem Leichenwagen geladen wird. Separatisten und Rebellen kämpften vor dem Haus der Familie in Bamenda. Als das Kind danach rausging, explodierte eine Granate.
"Der Junge ist so erfahren. In all den Jahren wusste er immer genau, wo er sich verstecken muss, wenn geschossen wird. Auch an diesem Tag hat er sich mit der Großmutter versteckt. Und dann ist es, als ob diese Explosion nur auf das Kind gewartet hat. Ich weiß nicht, warum Gott sowas erlaubt, aber ich glaube er hat einen Grund. Möge sein Name in Erinnerung bleiben. Gott, hab‘ Gnade mit uns. Wie lange wird das noch so weitergehen, wie lange?"
Opfer des Bürgerkriegs in Kamerun: die Beerdigung des achtjährigen Nsoh
Opfer des Bürgerkriegs in Kamerun: die Beerdigung des achtjährigen Nsoh (Adrian Kriesch / Deutschlandradio)
Nsoh ist eines von mehr als 3000 Opfern des Bürgerkriegs im Westen Kameruns, der seit 2016 tobt. Damals protestierte die englischsprachige Minderheit friedlich gegen die Vernachlässigung durch die mehrheitlich französischsprachige Regierung in der fernen Hauptstadt Yaoundé – die reagierte mit Gewalt. Daraufhin gründeten sich verschiedene Separatistengruppen, kämpfen seither für die Abspaltung und ihren eigenen Staat: Ambazonien.

Unterricht nur mit Militärpräsenz

Um die Regierung unter Druck zu setzen, zwingen einige Gruppen sogar die Schulen in der Region mit Gewalt dazu, zu schließen. Weil einige trotzdem öffnen, gibt es immer wieder Angriffe. Im Oktober wurden dabei im Ort Kumba sieben Kinder ermordet.
Auch in der regionalen Hauptstadt Bamenda läuft in einigen Schulen der Unterricht wieder – unter Militärschutz. Viele Kinder verstecken ihre Schuluniformen in der Tasche und ziehen sich erst vor der Schule um. Sie haben Angst auf dem Weg sonst entführt oder angegriffen zu werden.
Der Bürgermeister von Bamenda sagt, die Situation habe sich inzwischen etwas gebessert. Paul Achobang ist Mitglied der Partei von Paul Biya. Der 87-Jährige ist seit fast 40 Jahren Präsident Kameruns – und hat die Region seit Beginn der Krise kein einziges Mal besucht. Trotzdem verteidigt der Bürgermeister den Präsidenten.
"Der Staatschef ist offen und flexibel, er will eine Lösung finden. Er versucht jeden Tag Lösungen zu finden, er bietet Amnestie an, Freilassung von Gefangenen, Unterkunft für sie. So ist er, er ist unser Vater."
Flüchtlinge in Kamerun - Rückkehr in Zentralafrikanische Republik kaum möglich
Aus der Zentralafrikanischen Republik, in der seit 2013 Bürgerkrieg herrscht, sind rund 270.000 Menschen ins benachbarte Kamerun geflohen. Ende Juni haben die beiden Regierungen und das UN-Flüchtlingswerk ein Rückkehrabkommen geschlossen – aber bisher denkt kaum jemand daran, in das weiterhin von Gewalt erschütterte Land zurückzukehren.

Gewaltexzesse auch von Regierungstruppen

Wir fahren weiter aufs Land, wo noch immer viele Schulen geschlossen sind. Auf dem Weg werden wir an mehreren Checkpoints angehalten, an denen Polizisten und Soldaten ganz offen Schnaps trinken und Schmiergeld kassieren. Auch eine Gruppe Separatisten hält uns an, bewaffnet mit Jagdgewehren und Macheten. Sie sind bereit mit uns zu sprechen.
Der Reporter Adrian Kriesch interviewt einen kamerunischen Separatisten.
Der Reporter Adrian Kriesch interviewt einen kamerunischen Separatisten. Sie kämpfen für ihren eigenen Staat: Ambazonien. (Adrian Kriesch / Deutschlandradio)
"Die Leute müssen hier am Checkpoint Geld an euch zahlen?"
"Manchmal. Sie geben uns etwas Geld, damit wir uns Essen und Kleidung kaufen können", erzählt Kevin.
Die Separatisten behaupten, die Zivilbevölkerung vor dem Militär zu schützen – die Soldaten steckten hinter den Angriffen auf Schulen, um dann die Separatisten in ein schlechtes Licht zu Rücken.
"Die Soldaten vergewaltigen, zünden Häuser an. Selbst die jungen Frauen vergewaltigen sie. Die Lösung ist – sie sollen uns unser eigenes Land, unser Eigentum geben. Wir wollen die Abspaltung."
Tatsächlich gibt es Beweise für Gewaltexzesse von Soldaten gegen die Zivilbevölkerung – aber nicht für Schulangriffe.
Wir erreichen kurz danach Numba – ein Dorf zwischen den Fronten. Pfarrer Roland Arrey führt uns durch die Schule, die seit vier Jahren geschlossen ist. Auf dem Boden liegen zerrissene Schulhefte und zerstörte Bänke.
Numba, ein Dorf in Kamerun. Auf dem Boden einer Schule liegen zerrissene Schulhefte und zerstörte Bänke.
Numba, ein Dorf in Kamerun. Auf dem Boden einer Schule liegen zerrissene Schulhefte und zerstörte Bänke. (Adrian Kriesch / Deutschlandradio)
"Die Schule ist für jede Gemeinde ein wichtiges Symbol für Entwicklung und Wachstum. Aber schau sie dir an, sie zeigt uns, wie unsere Realität aussieht. Wie kann die Gemeinde hier eine Zukunft aufbauen, mit Kindern, die nicht zur Schule gegangen sind?"

Jugendzentrum als Hoffnungsschimmer

Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer – nur wenige hundert Meter entfernt. Pfarrer Arrey hat ein Jugendzentrum aufgebaut: handwerkliche Ausbildungen für Jugendliche, drei Mal die Woche ein alternatives Schulprogramm für die Kinder.
"Sie sehen Krieg und Waffen, Menschen die ihre Macht missbrauchen. Wenn das Leben nicht erfüllend ist, verliert es an Bedeutung und Geschmack. Dann machst du alles Mögliche, es hat eh keinen Wert mehr. Darum ist ein solches Zentrum ein Segen und wir haben bereits viel erreicht."
Pastor Arrey will, dass die Kinder hier endlich wieder ein normales Leben führen können. Aber seit vier Jahren seien weder Regierung noch Separatisten bereit, einen ernsthaften Dialog einzugehen. Sie spielen mit den Leben der Kinder, sagt Arrey wütend. Und der Tod des achtjährigen Jungen Nsoh in Bamenda sei nur eines von vielen Beispielen dafür.