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Detailliertes Wahlprogramm für die Kultur

Die Grünen haben ihre Vorstellungen von Kulturpolitik hin zu einer ökologisierten Kulturwirtschaft im Detail ausgearbeitet. Zentrale Forderung ist für die Partei die Abschaffung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern.

Von Jürgen König | 26.08.2013
    Als gesellschaftlichen Stein des Anstoßes verstehen die Grünen die Kultur; sie ermögliche uns die Welt mit anderen Augen zu sehen, differenzierter zuzuhören und neu zu denken. Kunst und Kultur seien der Schlüssel zur Beteiligung gesellschaftlich benachteiligter Gruppen, die Grundlage ebenso der europäischen Integration und Verständigung wie des "globalen Dialogs.

    Keine Partei singt das Loblied auf die Kultur mit so viel Leidenschaft und Ausdauer wie die Grünen, kein anderes Wahlprogramm geht so detailliert auf sie ein, bis hin zu nachhaltigem Catering und CO2-neutralen Transporten in der ökologisierten Kulturwirtschaft – an alles hat man gedacht. Im Zentrum all dessen: die kulturelle Bildung. Kunst und Musik spielerisch vermitteln, Zeichnen auch im Biologieunterricht, Instrumentalunterricht für alle. Ein Gesamtkonzept soll es dafür geben – finanziell gemeinsam getragen von Bund, Ländern und Kommunen. Agnes Krumwiede, die kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag:

    "Wir legen großen Wert darauf, dass bei allen Konzepten, die wir haben, als bei der frühkindlichen Erziehung, aber auch beim Ausbau der Ganztagsschulen – dass wir da einfach die Kooperationen stärken wollen. Dass es einfach irgendwann nicht mehr vom Geldbeutel abhängen darf, ob ein Kind ein Musikinstrument lernt oder nicht."

    Damit Bund, Länder und Kommunen gemeinsam Geld für Kulturelles ausgeben können, muss das bestehende Kooperationsverbot, das genau dieses untersagt, abgeschafft werden – auch das ein zentrales Vorhaben der Grünen.

    "Allerwichtigster Punkt ist: Die Länder müssen mit eingebunden werden. Also, das von oben herab zu dirigieren, das funktioniert so überhaupt nicht."

    Um jedem die Chance kultureller Teilhabe zu bieten, wollen die Grünen neben den klassischen Kulturinstitutionen die freien Initiativen und Projekte stärker fördern. Menschen mit Migrationshintergrund seien in vielen Kultureinrichtungen stark unterrepräsentiert, da bestehe Handlungsbedarf. Kultur sei für die Grünen kein elitäres Projekt für die mit der umfassenden Vorbildung und dem dicken Geldbeutel, dezentrale und niedrigschwellige Kulturangebote seien dringend nötig.

    Die etablierten Theater, Opernhäuser und Orchester will man weiter fördern, dabei aber die Zusammenarbeit mit der freien Szene verstetigen. Und: So klar, wie keine andere Partei, formulieren die Grünen, was Liebhaber der Hochkultur bedrohlich finden könnten: dass angesichts veränderter gesellschaftlicher Anforderungen, stärkerer gesellschaftlicher Segregation und knapper Kassen die Frage nach Erhalt, notwendigen Veränderungen und gegebenenfalls Neuausrichtungen kultureller Angebote, Institutionen und Förderungen immer wieder neu zu stellen sei.

    Dass die Grünen der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Künstlerinnen und Künstler angesichts ihrer derart herausgehobenen Bedeutung gleich ein ganzes Maßnahmenpaket widmen, versteht sich. Mindestabsicherungen und Honoraruntergrenzen, die Gleichstellung von Frauen im Kulturbetrieb, die Reform der Künstlersozialkasse.

    "Wir wollen zum Beispiel Krankengeld ab dem ersten Tag, wir wollen den Bezug von Arbeitslosengeld I für die Künstlerinnen und Künstler insofern erleichtern, dass sie schon Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, wenn sie vier Monate lang innerhalb von 24 Monaten eingezahlt haben. Und wir wollen, dass sie eben eine bestimmt Zeit für ihre berufliche Integration selber verantwortlich sind. Das ist nämlich ein großes Problem für viele Künstler, dass ja die Pausen zwischen den Projekten eigentlich der Vorbereitung auf ein neues Projekt dienen und sie dann nicht zwangsvermittelt werden sollten von den Bundesagenturen für Arbeit."

    Beim Urheberrecht möchten die Grünen die Rechte der Urheber stärken, die der Verwerter eher einschränken. Inhaber von Nutzungsrechten sollen die Kreativen auf Verlangen darüber informieren müssen, wie oft ihre Werk genutzt und welche Erträge damit erwirtschaftet wurden. Ein Bundeskulturministerium lehnen die Grünen ab. Sie bevorzugen das Modell eines Kulturstaatsministers im Kanzleramt, dessen Ressort sie aber um jene Bereiche erweitern möchten, für die derzeit andere Ministerien zuständig sind.

    In deutlicher Kritik an Kulturstaatsminister Bernd Neumann, CDU, streben die Grünen "endlich klare, transparente Kriterien bei der Vergabe von Bundeskulturmitteln" an: Über die Bewilligung von Förderantragen solle zukünftig eine Jury in öffentlichen Sitzungen entscheiden, jeder Förderbereich müsse regelmäßig evaluiert werden. Die Filmförderung will man vom Kopf auf die Füße stellen, indem man auf anspruchsvolle, kreative Projekte setzt, statt nach Hollywood zu schielen.

    Und: Einen Kulturentwicklungsplan soll es geben, der den freien Initiativen und der Soziokultur einen besseren Zugang zu Fördergeldern ermöglicht, denn dort löckt der kulturelle Stachel die Grünen am meisten - als gesellschaftlicher Stein des Anstoßes.