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Deutsch amerikanische Literaturszene
Neue Allianzen zwischen Berlin und New York

Beim New York-Berlin Literature Festival tauscht sich die transatlantische Literaturszene über Themen, Stile sowie Herausforderungen und Zukunftshoffnungen des Buchmarkts aus. Trotz rückläufiger Leserzahlen sind gerade kleine Buchläden und Verlage ein Grund für Optimismus.

Von Cornelius Wüllenkemper | 14.07.2018
    Uljana Wolf und Sophie Seita beim Literaturfestival "Berlin New York = Urban Dictionary"
    Uljana Wolf und Sophie Seita beim Literaturfestival "Berlin New York = Urban Dictionary" (Graham Hains)
    Was die Politik derzeit nicht vermag, übernimmt die Literatur. Der Austausch zwischen den beiden Kultur-Metropolen Berlin und New York wird dieser Tage mehr denn je in den Vordergrund gestellt. Die New Yorker Herausgeberin und Anwältin für Urheberrecht Brittany Hazelwood, die in ihrer Heimatstadt das Festival "Neue Literatur" organisiert, lässt daran keinen Zweifel.
    "Der literarische Austausch zwischen Berlin und New York ist eng. Viele New Yorker Autoren kommen nach Berlin, um hier zu entschleunigen. Sie genießen die Freiräume der Stadt, aber auch die intellektuelle Freiheit, sich mit neuen Leuten auszutauschen, sich inspirieren zu lassen. Zugleich leben deutsche Autoren wie Daniel Kehlmann oder die Berlinerin Uljana Wolf zumindest zeitweilig in New York. Während der Austausch zwischen Autoren sehr lebendig ist, ist der Austausch an Büchern eher einseitig."
    Hoher Erfolgsdruck
    Nur drei Prozent der in den USA verkauften Bücher sind Übersetzungen, davon ein Bruchteil aus dem Deutschen. Brittany Hazelwood spricht vom "Neo-Kolonialismus", den die USA gegenüber fremdsprachiger Literatur betreibe und kehrt damit den Angriff des US-Präsidenten Donald Trump gegen Importe deutscher Ware ins Gegenteil. Immerhin, deutschsprachige Klassiker wie Franz Kafka, Paul Celan oder Winfried Georg Sebald und auch einige aktuelle Autoren wie Wolfgang Herrndorf, Hertha Müller und Philipp Winkler werden in den USA veröffentlicht. Oft scheuen die Verlage allerdings das Risiko, denn der Erfolgsdruck auf dem US-Markt ist ungleich höher als in Deutschland. Buchpreisbindung, reduzierter Mehrwertsteuersatz, Stipendien und Fördergelder seien in den USA weitestgehend unbekannt, betont Edwin Frank, der in seinem unabhängigen Verlag New York Review Books unter anderem deutsche Klassiker herausgibt.
    "Um auch mal etwas Optimismus zu verbreiten: wir beobachten, dass gerade junge Leute wieder zunehmend kleine, unabhängige Buchläden gründen oder besuchen. Viele neue Buchläden gerade in den großen Küstenstädten funktionieren wie Anziehungspunkte für die Leser. Das Sterben der kleinen Buchläden in den USA hat sich zum Glück gewandelt. Die Treue der Kunden hat aus ihnen wieder Räume des sozialen und intellektuellen Austauschs gemacht."
    Schlechte Konditionen
    Auch in Deutschland setzt man angesichts der kriselnden Ketten wie Thalia und Hugendubel vor allem auf die sorgfältige und nachhaltige Zusammenarbeit mit kleineren Buchläden. Andreas Rötzer, Verleger bei Mattthes&Seitz, sagte, den Direktverkauf an den Internet-Giganten Amazon habe er längst eingestellt, die Konditionen seien einfach zu schlecht.
    "Unsere Bank, das sind die unabhängigen Buchhandlungen. Die machen ungefähr sechzig Prozent unseres Umsatzes. Und das sind auch die, die als Multiplikatoren wirken. Die anderen Buchhandlungen, die Ketten und so weiter, die nehmen es dann auch, wenn ein Titel sich verkauft, aber sie tun nichts dafür, dass er ins Rollen kommt. Und es ist dasselbe wie in Amerika, das viele junge Leute jetzt wieder Buchhandlungen gründen."
    In Deutschland und in den USA hat die Verlagsszene im letzten Jahrzehnt beständig Leser an Online-Serien und an Social Media-Kanäle verloren. Auf Dauer müsse man einsehen, dass die Literatur kein Industrieprodukt mit unerschöpflichem Wachstumspotential sei, meinte die Berliner Literatur-Agentin Karin Graf.
    "Die Konkurrenz der Schriftsteller untereinander ist größer geworden, das Schreiben ist leichter geworden, es gibt Schreibschulen, es hat sich professionalisiert, es schreiben mehr Leute, es drängen mehr Leute auf den Markt, [...] so dass mehr Autoren nicht mehr zum Veröffentlichen kommen als früher, obwohl mehr veröffentlicht werden wollen. Die Zahl der Leser sinkt, das heißt, der Kuchen wird kleiner."
    Enge Zusammenarbeit
    Die Zukunft liegt bei wenigen und dafür verlegerisch sorgfältig betreuten Titeln. Die klassische Literatur-Rezension in den großen Tageszeitungen spielt für den Erfolg eines Titels so gut wie keine Rolle mehr, der Trend geht neben Social Media und öffentlichen Lesungen zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Verlags-Vertrieb und Buchhandel. Und was macht gute Literatur aus?
    Die deutsch russische Künstlerin und Autorin Julia Kissina verteidigte das deutsche Subventionssystem gegen die Marktlogik in den USA. Der New Yorker Autor und Übersetzer Peter Wortsman dagegen meint
    "Meine Definition von großer Literatur wäre: was macht uns plötzlich schüchtern, was macht uns Angst."
    Während literarische Trends und neue Verfahrensweisen eher in Deutschland gedeihen, führt der Weg zum internationalen Durchbruch noch immer über die USA. Das "Berlin-New York Literature Festival" diskutierte die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Literaturszenen so offen, kritisch und zugleich zugewandt-optimistisch, wie man es sich derzeit vom politischen Parkett nur wünschen kann.