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Deutsch-Griechisches Kunstprojekt
Ein Survival Kit als Allzweckwaffe

Mit einem Projekt namens "Survival Kit" will der Deutsche Akademische Auslandsdienst die Zusammenarbeit junger griechischer Künstler mit ihren deutschen Kollegen fördern. Nach sechs Monaten Arbeit stellt die Allianz nur ihr erstes gemeinsames Projekt vor: einen Film.

Von Julian Ignatowitsch | 29.10.2014
    Brechendes Glas, zwei schreckliche Klauen. Übergroß, runzlig, reptilienartig tasten sie sich ihren Weg nach innen, in den gerade noch sicher scheinenden Raum, in Richtung des Zuschauers. Die Monster stehen vor der Tür, sie werden uns kriegen. Rettung ungewiss.
    Es ist ein Ausschnitt aus dem Film des Projekts "Survival Kit", das die Akademie der Bildenden Künste München und die Athens School of Fine Art gemeinsam betreiben. Eine deutsch-griechische Künstlerkollaboration im Schatten der Krise – könnte man meinen, doch genau davon will sich das Projekt nicht vereinnahmen lassen. Stattdessen:
    Arvanitis: "Ein Survival Kit, aber: mit Sicht nach der Krise."
    Kirschner: "Einmal weg von dieser ganzen Presse und Propaganda und Diskussion, die ja sehr angeheizt, aber ohne Verständnis geführt wird. Selber mit dem Austausch und durch künstlerische Mittel die Situation zu problematisieren, zu erfahren, sich auszutauschen."
    So erklären es die Projektleiter Anja Kirschner und Nikos Arvanitis.
    "Da ging es dann auch um Fragen: Wie definiert man Schuld? Wie definiert man Schulden?"
    Rund 30 junge Künstlerinnen und Künstler wollen neue Perspektiven öffnen. Sechs Monate haben sie dazu an ihrem 45 Minuten langen Episodenfilm gearbeitet. Geskriptet und gedreht wurde in kleinen Gruppen in Athen und München. Die Frage nach dem Rettungspaket immer im Hinterkopf:
    "Survival Kit in dem Sinne, dass man sich überlegen muss, was ist eigentlich notwendig, um zu überleben. Und zwar nicht nur auf der ersten Linie, von Wasser, Essen, und so weiter, sondern wie reproduziert sich das über längere Sicht und auch welche philosophischen, emotionalen, theoretischen und politischen Ideen spielen da mit rein."
    "The seeker is the sought, hence so much neurosis, so much madness. I had always wanted not to be a master to anybody."
    Frei übersetzt heißt das: Der Suchende ist der Gesuchte, deshalb gäbe es so viele Neurosen und Verrücktheiten in der Welt, und sie wollte niemals über jemanden herrschen.
    Ein Strom intellektualisierten Kopfkinos
    Es sind komplizierte und manchmal durchaus verkopfte Gedanken, die hier in Filmsprache übersetzt werden. Mal trägt die Rettung einen astronautisch anmutenden Brandschutzanzug a la Odyssee im Weltraum, dann ein skurriles Kinderkostüm mit Dornenkrone auf dem Kopf a la Leos Carax.
    In einer der Episoden werden die "Totengespräche" des altertümlichen Satirikers Lukian einer Neubearbeitung unterzogen: Ein Toter kommt in die Unterwelt und hat seinen Obolus vergessen, der ihm die Überfahrt garantiert. Er sucht Hilfe, bei einem anderen Toten. Großzügigkeit und Schuldenausgleich im Hades.
    - "Excuse me could you please help me?"
    - "I don't think so, I'm dead."
    - "You know, me too. But please help me..."
    - "...what if the next person is not as generous as I am?"
    Die Episoden wechseln im Stil – von dokumentarisch zu fiktional – genauso schnell wie im Thema – von den mythologischen Totengesprächen zur neuzeitlichen Zombieinvasion. Das macht es dem Zuschauer nicht immer leicht. Übrig bleibt ein Fluss von Eindrücken, kein wirkliches Begreifen.
    Das Ergebnis jedoch: eher alles und nichts. Ein Strom intellektualisierten Kopfkinos, wie man es aus so manchen Ausstellungsfilmen kennt. Auch die Rettung: sie ist hier so vieles und doch nur ein leerer Begriff. Ein "Survival Kit" als Allzweckwaffe, die stumpf bleibt - in den komplexen Fäden der Postmoderne. Und das ist vielleicht die wesentliche Erkenntnis: Befreiung findet man höchstens noch in der Lethargie zwischen Schlaf und Essen.
    "I can't do anything. Can you imagine? Only sleep and eat, and sleep and eat, and sleep and eat, and sleep and eat ..."