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Deutsch in Migranten-Familien
CSU-Vorstoß: Falscher Weg, richtiges Ziel

Die Anwältin Seyran Ates ist kurdisch-türkischer Herkunft. Sie hält den Vorschlag der CSU, Migrantenfamilien auch zu Hause zum Deutschsprechen anzuhalten, für ein schlechtes Signal. Im Deutschlandfunk sagte sie, Deutsch zu lernen sei gerade für Kinder wichtig, jedoch sei das Aufgabe der Schulen, nicht der Familien.

Seyran Ates im Gespräch mit Bettina Klein | 08.12.2014
    Seyran Ateş
    "Wir haben es mit Familien zu tun, wo die Eltern schlechtes Deutsch sprechen. Wollen wir nun, dass diese Kinder mit einem schlechten Deutsch zuhause konfrontiert sind?", fragt Seyran Ates. (Deutschlandradio Kultur)
    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Spott, Häme und Entrüstung erntet die CSU für ihren Vorschlag, Migrantenfamilien dazu anzuhalten, zu Hause und in der Öffentlichkeit Deutsch zu sprechen. Inzwischen ist zu hören, die CSU wolle zumindest an der Formulierung noch feilen.
    Die CSU will wohl um 14 Uhr in einer Pressekonferenz dazu Stellung nehmen und sagen, wie sie die Formulierung im Leitantrag-Entwurf eventuell noch verändert. Bisher heißt es dort: "Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen." - Am Telefon ist Seyran Ates, sie ist Rechtsanwältin in Berlin. Sie kommt aus einer türkischen Familie, beschäftigt sich viel mit der Situation von Migrantenfamilien und hat sich damit nicht immer nur Freunde gemacht. Ich grüße Sie, Frau Ates.
    Seyran Ates: Ich grüße Sie, Frau Klein!
    Klein: Sie haben es mitbekommen: Die Reaktionen reichen von Wut, Häme, Spott bis hin zu Empörung und auch ganz sachlichen Gegenargumenten. Stimmen Sie in den Chor der Kritikerinnen und Kritiker ein?
    Ates: Ich stimme da absolut ein und versuche, es jetzt mal sachlich zu formulieren. Ich bin kurdisch-türkischer Herkunft, also aus der Türkei, und ich spreche Türkisch. Meine Tochter ist zehn Jahre alt und sie spricht fließend akzentfrei native Englisch und Deutsch. Was ich mache, ist, dass ich zuhause so viel wie möglich Türkisch mit ihr spreche, damit sie diese Sprache, in die sie hineingeboren wurde, die ja auch ein Teil ihrer Identität ist, nicht verlernt, weil sie nämlich in Kontexten lebt, in denen weniger Türkisch gesprochen wird. Deshalb würde ich jetzt gerne von den Politikern wissen wollen, wie sie in solchen Fällen verfahren wollen. Wollen sie jetzt meiner Tochter die Möglichkeit nehmen, die Ursprungssprache meiner Großfamilie nicht zu lernen? Es wird kein Schuh daraus, was die Herren und Damen sich da ausgedacht haben. Natürlich will ich auch, dass die Mehrheit gut bis sehr gut Deutsch spricht, damit sie sich im öffentlichen Raum, in Behörden, bei Ärzten, wenn sie eine Therapie machen müssen, ganz höchst persönlich ausdrücken können. Aber das erreichen wir doch nicht durch so etwas.
    "Dieses schlimme Wort Integration"
    Klein: Wenn wir uns über das Ziel alle einig sind, Sie halten es für komplett überflüssig oder vielleicht sogar schädlich, dass, um dieses Ziel zu erreichen, auch in den Familien, auch zuhause Deutsch gesprochen werden sollte?
    Ates: Nun, man kann diese Forderung so nicht aufrecht erhalten, weil ganz einfach man sich die Frage stellen muss, um welche Familien geht es? Sie sprechen über Familien, die nicht gut Deutsch sprechen. Ich spreche mit Ihnen relativ gut Deutsch. Ich arbeite mit der deutschen Sprache, ich schreibe Bücher in deutscher Sprache, ich kann mit meiner Tochter ein gutes Deutsch sprechen. Sprechen wir aber über die Familien, die wir noch integrieren wollen oder versuchen - dieses schlimme Wort Integration -, die wir auch mit in die Gesellschaft aufnehmen, umarmen wollen, dann haben wir es mit Familien zu tun, wo die Eltern schlechtes Deutsch sprechen. Wollen wir nun, dass diese Kinder mit einem schlechten Deutsch zu Hause konfrontiert sind, oder krampfhaft? Es gibt ja deutsche Eltern, die mit ihren Kindern Englisch sprechen, damit die Kinder gut Englisch lernen. Dabei ist das Englisch dieser Eltern, dieser deutschen Eltern grottenschlecht. Es ist peinlich eigentlich eher, wenn die zu Hause krampfhaft Englisch sprechen. So eine Situation ist das. Der Weg dahin ist schlecht und dieses Signal, was die CSU gemacht hat, ist schlecht. Das meine ich. Das Ziel ist klar, aber wie wir dahin kommen, ist die Diskussion, und auf jeden Fall kommen wir nicht dahin, indem wir sagen, jeder muss zu Hause Deutsch sprechen.
    Klein: Was die CSU in dieser Formulierung ja auch nicht sagt, aber es ist schon klar, wie das jetzt angekommen ist. Wenn wir uns darüber unterhalten, dass zuhause viele Familien, auch die Eltern teilweise kein gutes Deutsch sprechen, Sie würden auch nicht sagen, dass es einfach dann angemessen oder angebracht wäre für die Eltern, zuhause oder im öffentlichen Raum mehr Deutsch zu sprechen, um diese Sprache zu üben?
    Ates: Nein. So kann es nicht gehen. Ganz einfach, weil ich selbst eine transkulturelle Identität habe und mit mehreren Sprachen ja lebe. Tagtäglich wird in meiner Umgebung, oder ich spreche auch drei Sprachen: Englisch, Deutsch, Türkisch. Und ich merke, ich möchte die Sprache dann sprechen mit den Personen, mit denen die Sprache am besten angebracht ist. Meine Mama zum Beispiel: Ich lebe zurzeit mit meiner Mama und meiner Tochter. Meine Mama ist 76. Die wird doch jetzt nicht mehr Deutsch lernen! Also es ist absurd. Es ist gut, dass meine Tochter meine Mama hat, damit sie mit der Türkisch spricht. Wir haben es mit einer Generation zu tun, mit Eltern, die das leider nicht mehr so gut lernen werden. Lassen wir die Leute doch mal bitte in Ruhe.
    "Das ist Aufgabe der frühkindlichen Erziehung der Kindergärten"
    Klein: Und was ist mit den Kindern, Frau Ates? Sie haben selber teilweise auch beklagt, dass in Schulen in Neukölln eben nicht Deutsch gesprochen wird, schlecht Deutsch gesprochen wird, dass es ganz klar ein Faktor ist, der junge Menschen ausschließt von Bildungschancen oder die nicht gerade erhöht.
    Ates: Ich sage ja: Das Ziel ist richtig. Nur haben die jetzt leider Gottes in die falsche Richtung geschossen. Es tut mir leid! Ich bin absolut auch der Meinung und ich kämpfe dafür seit vielen Jahren. Ich habe mich gegen Leute verteidigen müssen, die gesagt haben, man kann türkischen Kindern nicht zwanghaft Deutsch beibringen, das sei Germanisierung. Totaler Humbug! Wir müssen den Kindern gutes Deutsch beibringen. Aber das ist Aufgabe der frühkindlichen Erziehung der Kindergärten, es ist Aufgabe der Schulen. Meine Eltern haben es doch auch nicht gekonnt. Wo habe ich denn Deutsch gelernt?
    Klein: Wo haben Sie es gelernt?
    Ates: Ich habe es in der Schule gelernt, in der Vorschule habe ich es gelernt. Die Schule ist der Ort. In unserem Haushalt zuhause wurde kein Deutsch gesprochen. Wir sind fünf Kinder. Zwei davon sind selbstständige Handwerksmeister, ich bin Anwältin und Autorin, meine Schwester ist Friseurin, mein Bruder ist Erzieher. Wir haben alle wunderbar Deutsch gelernt, weil wir draußen in der Schule und auf der Straße Kontakt zu Deutschen hatten, aber nicht, weil unsere Eltern zuhause mit uns ihr grottenschlechtes Deutsch sprechen mussten.
    Klein: Frau Ates, kommen wir noch mal kurz ein bisschen von Ihrer Familie weg. Das haben Sie jetzt sehr schön dargestellt, wie das bei Ihnen gelaufen ist. Wenn wir von der Familie wegkommen und sagen, im öffentlichen Raum, würden Sie dann auch nach Ihren Erfahrungen in Berlin sagen, es ist vollkommen okay, wenn Kinder oder Jugendliche ihre Herkunftssprache mehr sprechen als Deutsch, auch wenn erkennbar ist, dass es ihnen gut tun würde, auch im öffentlichen Raum die Sprache des neuen Landes zu üben?
    Ates: Wir müssen uns überlegen, wie diese Kinder Kontakt zu Deutschen bekommen, wo sie auch Deutsch sprechen können. Wenn sie untereinander in der Sprache, die sie auch sehr gut beherrschen, emotional auch gut beherrschen, miteinander reden, dann können wir bitte da nicht eingreifen. Diese Kinder besitzen eine transkulturelle Identität. Wir müssen sie nur darin unterstützen, die deutsche Sprache auch wirklich gut zu können. Es gibt ja viele oder die meisten. Es gibt ganz, ganz viele, die sprechen fließend Deutsch, die haben kein Problem mit der deutschen Sprache. Aber sobald drei, vier, fünf türkische Menschen zusammen sind, sprechen sie türkisch, und das können wir nicht verbieten im öffentlichen Raum. Das geht nicht.
    "Gut gemeint ist nicht immer gut"
    Klein: Ich würde gern noch mal auf die politische Ebene schauen, weil ja auch die CSU sich jetzt sehr heftiger politischer Vorwürfe erwehren muss, oder dass vielleicht gar nicht mal tut, sondern sie auch ernst sind und deswegen diese Formulierung ändert. Etwa sagt ja die türkische Gemeinde, das sei einfach ein Versuch, Wähler der AfD und rechtskonservativer Parteien zu beeindrucken. Die türkische Gemeinde sagt auch, das sei menschenfeindlich, verfassungswidrig und absurd. Würden Sie das auch unterstreichen?
    Ates: Nein! Das unterschreibe ich alles gar nicht. Ich finde ja, dass es gut gemeint ist, und gut gemeint ist nicht immer gut. Ich finde auch, dass das alles zu übertrieben ist, die Kritik teilweise. Ich möchte da wirklich sachlich bleiben. Selbstverständlich ist es eine richtige Forderung zu sagen, sorgen wir bitte dafür, dass alle Menschen, die hier leben, einigermaßen vernünftig Deutsch sprechen. Dieses Ziel ist wunderbar und richtig und ich möchte in Richtung der CDU- und CSU-Politiker sagen, bitte andere Wege dahin. Das, wie jetzt die Forderung angekommen ist, das sehen Sie ja, ist falsch. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir das ernsthaft und sachlich und gut umsetzen können.
    Klein: Also komplett streichen die Formulierung, zu etwas anhalten, aber zumindest das aufnehmen, was Sie gerade gesagt haben, das Ziel muss sein, Deutschkenntnisse müssen sich entwickeln und auch verbessert werden teilweise?
    Ates: Genau, auf jeden Fall. Das unterschreibe ich. Da sind die Herren und Damen ja auch auf dem richtigen Weg. Nur haben sie jetzt ein falsches Modul, sagen wir mal. Dieses Modul muss weg. Sie müssen sich einfach ein neues Konzept überlegen.
    Klein: Die Meinung von Seyran Ates heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk, Anwältin in Berlin, zur Frage, wann und wo Migrantenfamilien zum Deutsch sprechen angehalten werden sollen, wie die CSU es in ihrem Leitantrag bisher formuliert hat. Frau Ates, vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.
    Ates: Danke, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.