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Deutsch-jüdische Beziehungen
"Tradierte Vorurteile und Rivalitäten seit Anbeginn des Christentums"

Israel ist Schwerpunkt der diesjährigen Leipziger Buchmesse, und jeweils im März wird bundesweit die Woche der Brüderlichkeit veranstaltet. Wie aber steht es wirklich um das Verhältnis Deutschland-Israel? Die christlich-jüdischen Beziehungen seien geprägt von Kuscheltheologie und Phrasen, sagte der Münchner Historiker Michael Wolffsohn im DLF.

Michael Wolffsohn im Gespräch mit Andreas Main | 11.03.2015
    Der Historiker Michael Wolffsohn
    Der Historiker Michael Wolffsohn (imago/Müller-Stauffenberg)
    Andreas Main: Heute beginnt in Leipzig die Buchmesse. Schwerpunkt ist Israel. Der Anlass: Vor 50 Jahren haben Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Ein viel beachtetes Buch zu diesem Thema hat schon im Vorfeld der Buchmesse einige Beachtung gefunden – und zwar eine kleine Studie von Dan Diner mit dem Titel "Rituelle Distanz". Darin geht es auch viel um Religion, aber letztlich primär um das Verhältnis der Staaten Israel und Deutschland.
    Wir wollen auf der Ebene der Religionen bleiben und mit Professor Michael Wolffsohn sprechen – über den Stand der jüdisch-christlichen Beziehungen. Denn parallel zu den Aussöhnungsbemühungen auf staatlicher Ebene gab es immer auch diese Ebene von Christen und Juden. Michael Wolffsohn ist Historiker und hat sich immer wieder auch mit dieser Frage beschäftigt, etwa in seinem Buch "Juden und Christen – ungleiche Geschwister. Die Geschichte zweier Rivalen." Mit ihm sind wir nun verbunden in München. Guten Morgen, Herr Wolffsohn.
    Michael Wolffsohn: Guten Morgen, Herr Main.
    Main: Wo sind die Parallelen und wo sind die Unterschiede, wenn Sie sich anschauen, wie sich die deutsch-israelische Beziehungen einerseits und die christlich-jüdischen Beziehungen andererseits entwickelt haben?
    Wolffsohn: Also, die deutsch-israelischen Beziehungen sind sehr intensiv geworden, auf der Regierungsebene, vor allem auch auf der Ebene der israelischen Bevölkerung - und zwar im positiven Sinne. Ich möchte daran erinnern, dass im vergangenen Jahr rund 800.000 Israelis Deutschland besucht haben. Das sind - in absoluten Zahlen wohlgemerkt - weit mehr, als Deutsche Israel besucht haben; und das bei völlig unterschiedlichen Bevölkerungsgrößen bekanntlich. Auch ein Indiz dafür sind die Umfragestimmen: Die israelische Bevölkerung ist Deutschland gegenüber viel freundlicher, wenn Sie so wollen: nachsichtiger, als umgekehrt, die Deutschen Israel gegenüber.
    Damit sind wir bei der zweiten Seite. Die deutschen Regierungsparteien haben traditionell intensive, gute und enge Kontakte gepflegt. Gewiss, es gab hier und da mal Kräche. Aber auf der Ebene der breiten Bevölkerung sieht es seit Anfang der 80er-Jahre ganz schlecht aus. Das heißt konkret: Israel ist seit 1981 immer eine der drei in der deutschen Bevölkerung – damals westdeutschen, heute gesamtdeutschen Bevölkerung - unbeliebtesten Staaten weltweit.
    Main: Inwieweit spiegelt sich das auch in den christlich-jüdischen Beziehungen wider?
    Wolffsohn: Das ist eine sehr gute Frage. Und da kommen wir zu den Tiefendimensionen des deutsch-israelisch-jüdischen Verhältnisses. Tiefendimension, die übrigens das von Ihnen erwähnte Buch von Dan Diner "Rituelle Distanz" ganz wunderbar und sehr tiefsinnig - bezogen auf die israelisch-jüdische Seite - darstellt. Nun, es sind tradierte Vorurteile, Rivalitäten seit Anbeginn des Christentums. Und vergessen wir nicht, dass der Anfang des Christentums im Grunde genommen auch der Beginn eines neuen Judentums gewesen ist – nämlich des Talmudischen Judentums. Daher ist es falsch, davon zu reden, dass das Judentum die Mutterreligion des Christentums wäre. Es sind eben zu jener Zeit – plus minus Christi Geburt – zwei neue aus dem Alten sich heraus entwickelnde Religionen entstanden. Und bis 1800 war das Rivalitätsverhältnis theologisch, religiös definiert. Seit plus minus 1800 ist der traditionelle Anti-Judaismus ein teils rassischer, nationalistischer Antisemitismus geworden, bis hin zum mörderischen Antisemitismus. Diese beiden vereinigen sich. Das war keineswegs nur ein "Privileg" des Christentums oder der Christentümer, sondern auch in der säkularisierten Form erlebbar. Von rechts sowieso – Stichwort Nationalsozialismus und andere Faschismen – aber wohlgemerkt auch von links.
    "Christlich-jüdischer Dialog in der Kreisbewegung"
    Main: Wenn wir jetzt aber mal in die Gegenwart gehen, dann haben wir intensive christlich-jüdische Beziehungen. Noch in diese Woche haben sich Rabbiner und Bischöfe getroffen, um genau über christlich-jüdische Zusammenarbeit zu sprechen. Das müsste sich ja auswirken – diese Zusammenarbeit – auf das Verhältnis von Christen in Deutschland zum Staat Israel. Was passiert da?
    Wolffsohn: Also, hier widerspreche ich Ihnen in Bezug auf Teil 1. Teil 1 – die Intensität des christlich-jüdischen Dialogs. Hier widerspreche ich heftig. Das ist seit Jahrzehnten eine Kreisbewegung. Man dreht sich im Kreise, man betreibt Kuschel-Theologie, sehr oberflächlich, nie in die Tiefe gehend. Da werden seit Jahrzehnten nur oberflächliche Phrasen produziert und präsentiert. Das liegt einfach auch daran, dass in der allgemeinen Bevölkerung aus bekannten Gründen das Interesse an Religionen weitgehend abhandengekommen ist - und mit dem Interesse auch die Kenntnisse. Das gilt für die christliche ebenso wie für die jüdische Seite. Wir haben auf der christlichen Seite auch immer begrenztere Kenntnisse in Bezug auf das Judentum. Und wir stellen bei den christlichen, vor allem bei der evangelischen Kirche fest – ich sage das ohne jede Polemik – auch eine Politisierung der Religion fest. Das hat sich von den theologisch-religiösen Grundlagen entfernt. Und auch im Judentum ist in der Orthodoxie traditionell sowieso kein großes Interesse an anderen Religionen vorhanden. Und in den nicht-religiösen jüdischen Kreisen ist die Kenntnis des eigenen Judentums so begrenzt – und das Interesse ebenso, dass von einem wirklich christlich-jüdischen Dialog mit Niveau überhaupt nicht gesprochen werden kann.
    Main: Inwieweit haben Sie den Eindruck, dass sich ein gewisser Anti-Israelismus auch in bestimmten kirchlichen Kreisen breit macht?
    Wolffsohn: Das ist kein Eindruck, sondern das ist eine Tatsache, die seit Jahrzehnten feststellbar ist, die man genau in ihren Entstehungsvorgang datieren kann – nämlich mit der Linksradikalisierung der evangelischen Jugend in den späten 60er-Jahren. Stichwort 68er. Die evangelischen Studentengemeinden waren damals Hort und Ort des Linksradikalismus, wo also die Theologie, das Religiöse immer mehr in den Hintergrund geraten ist. Das sind die ehemaligen Studenten, die heute in Schlüsselpositionen sind und sich natürlich ein bisschen diplomatischer entwickelt haben. Aber kein ernsthafter Theologe im innerkirchlich evangelischen Bereich wird bestreiten, dass es eine – na, sagen wir mal zurückhaltend – Israeldistanz gibt in der evangelischen Kirche. Das ist doch unbestreitbar, das ist kein Eindruck.
    "Abraham ist eine verdammt wackelige Brücke"
    Main: Und auf globaler Ebene – wenn wir Positionen des Papstes oder des Weltkirchenrats zu Israel abklopfen, zu welchem Ergebnis kommen Sie da?
    Wolffsohn: Auch alles Phrasen. Und dann gibt es das Hauptstichwort der Phraseologie, das seit dem Zweiten Vaticanum umhergeistert, das Stichwort von den drei abrahamitischen Religionen, also nicht nur Christentum und Judentum, oder in diesem Falle umgekehrt Judentum und Christentum, sondern auch Islam. Und das ist nun wirklich nichts anderes als eine inhaltsleere Phrase. Denn gerade der Bezug auf den jüdischen Stammvater Abraham ist alles andere als verbindend zwischen den drei Religionen. Wenn man sich die Quellen anschaut, dann ist Abraham nun wahrlich nicht die Brücke. Und wenn das die Brücke sein soll zwischen Judentum, Christentum und Islam, dann ist die verdammt wackelig, so wie es Autobahnbrücken vermeintlich oder tatsächlich momentan in der Bundesrepublik sind.
    Main: Sie sprechen von wackeligen Brücken, von Phrasen, von Kuscheltheologie. Wie kommen wir da raus, wie kommen wir zu mehr Ehrlichkeit?
    Wolffsohn: Indem wir uns die Texte genau ansehen und nicht Wünsche hinein interpretieren, dass wir durchaus die Unterschiedlichkeiten des Anderen kennen und benennen und aus dieser Unterschiedlichkeit hinaus einen gemeinsamen Kanon entwickeln mit Betonung und Kenntnis der Unterschiedlichkeit. Also von katholischer – nicht amtskatholischer – Seite her gibt es ja bekanntlich den Versuch von Küng mit dem Weltethos. Den halte ich hier und da für sehr problematisch, aber das sind durchaus Ansätze, wenn sie, anders als beim Weltethos, nicht in einer Art von Tutti Frutti sich dann vermengen lassen. Und das lässt auch in Bezug auf die Entstehung aller drei monotheistischen Religionen historisch-theologisch nachvollziehen. Das Judentum hat sich heraus entwickelt aus dem antiken Polytheismus und hat auch viele Elemente dieses Polytheismus immer noch drin, wenngleich das immer wieder bestritten wird. Aber auch da muss man genau hinschauen. Ebenso wie das Christentum sich aus dem Judentum heraus entwickelt hat, aber gleichzeitig das neue Judentum, das Talmudische Judentum entsteht. Und der Islam entsteht ja letztlich auch aus einer bestimmten Form des Christentums in Verbindung auch mit Teilen des Judentums. Und das sind die Gemeinsamkeiten und zugleich die Unterschiedlichkeiten und Abgrenzungen. All das wird ja in einer Art von Wischi-Waschi-Theologie, Kuscheltheologie vereint und das führt uns nicht weiter.