Donnerstag, 25. April 2024

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Deutsch-Rap und Geschlecht
"Feminismus und Hip-Hop verfolgen eigentlich ähnliche Ziele"

Rap und Geschlecht. Beides gehört zusammen - irgendwie. Dabei geht es nicht nur um Sexismus, sondern auch um Maskulinität als Schutzmechanismus. Es ist eine komplizierte Beziehung, die Heidi Süß in ihrem Sammelband "Rap und Sexismus" aufdröseln will. Ein Beitrag zur Verständigung.

Von Helene Nikita Schreiner | 18.08.2021
Shirin David - Hamburger You-Tube Star in der Europapassage dort hat sie bei Douglas ihr neues Parfum vorgestellt - Hamburg 12.02.2020
Einer der Beiträge des Sammelbands beschäftigt sich auch mit sexpositivem Marketing bei der Deutschraperin und Influencerin Shirin David (rtn - radio tele nord / Patrick Becher)
Wenn Bildungsbürgertum, Kultur-Journalistinnen und Akademiker über marginalisierte Gruppen sprechen, schreiben und forschen, kann das manchmal ganz schön nach hinten losgehen. Zu weit voneinander entfernt scheinen die Lebensrealitäten. Kommunikation gibt es kaum. Das führt zu Verkürzung, Ablehnung und schlimmstenfalls zur Verfestigung von Vorurteilen.
Dieses Muster scheint besonders symptomatisch für die Betrachtung und Bewertung von Rap zu sein. Scheinbar alle haben hierzu eine Meinung, ob man sich nun auskennt oder nicht. Eine, die sich definitiv auskennt und deren Meinung viel mehr Gehör bekommen sollte, ist die Rap- und Männlichkeitsforscherin Heidi Süß.
Mit ihrem Sammelband "Rap & Geschlecht – Inszenierungen von Geschlecht in Deutschlands beliebtester Musikkultur" hat Süß die erste Sammlung von überblickenden Beiträgen zum Thema herausgebracht. Auch wenn es immer wieder vereinzelte Beiträge zum Thema gab, ist das erstaunlich, denn die deutsche Hip-Hop-Forschung ist inzwischen über 20 Jahre alt. Außerdem gehören Geschlecht und Sexismus zu den dominantesten und nachgefragtesten Themen, wenn es um Rap geht.
Hier geht es zum Literatursommer von Deutschlandfunk

#metoo und Antifeminismus im Deutschrap

Momentan bekommen beide Problematiken auf Grund der #deutschrapmetoo-Kampagne viel Aufmerksamkeit. Im Zuge der Kampagne äußern sich Betroffene sexueller Gewalt zu Übergriffen innerhalb der Rapszene. Besonders unter männlichen Rappern bekommt auch der lauter werdende Antifeminismus viel Aufmerksamkeit. Antifeminismus im Hip-Hop? Für Heidi Süß fehl am Platz:
"Wenn man zwei, drei Minuten drüber nachdenkt, dann wird man feststellen, dass Feminismus und Hip-Hop eigentlich ähnliche Ziele verfolgen. Es geht um den Kampf gegen Unterdrückung, Freiheit, Gleichheit, Teilhabe. Sich gegen Feminismus auszusprechen, ist eigentlich mit keinem einzigen Wert aus dem Hip-Hop-Wertesystem vereinbar. Hier kriegt gerade jemand vollkommen was durcheinander."
Die Rapper Kollegah und Farid Bang posieren vor einer Werbepartnerwand bei der Echo-Verleihung 2018.
Wie antisemitisch Texte im Gangsta-Rap mitunter sind, wurde vielen durch den Skandal um die Echo-Vergabe an Kollegah und Farid Bang bewusst. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
So versuchen Süß und ihre Kollegen und Kolleginnen in 15 Beiträgen die komplexe Beziehung zwischen Rap und Geschlecht aufzudröseln. Es geht um sexpositives Marketing bei Shirin David, weibliche Rap-Geschichte, afrodiasporische Perspektiven auf Hip-Hop, arrogante Bossmentalität am Beispiel des Rappers Kollegah, Mutterfixierung und Vaterlosigkeit und sogar die Rapperin Sookee reflektiert in einem Beitrag über ihre eigene Karriere.
Illustration: Zwei Personen stehen sich mit jeweils einem Megaphon gegenüber.
Lyrischer Schlagabtausch - Feindbilder im Pop
Feindbilder dienen der Abgrenzung und der Selbstvergewisserung – auch im Pop. Helene Nikita Schreiner untersucht, welche echten und imaginierten Gegner es in der Popmusik gibt, woher sie stammen und wofür sie taugen.

Hypermaskulin, patriarchal und traditionell

Die interessantesten und innovativsten Analysen des Bandes sind im letzten Kapitel "Männer-Rap – Neue Sichtweisen auf alte Strukturen" zu finden.
"Nachdem Frauen ja jetzt über mehrere Jahre von Männern in die Kategorie 'Frauen-Rap' abgeschoben wurden, dachte ich: 'Jetzt label ich einfach mal zurück.' Und mach damit aber auch Männlichkeit als Geschlechtskategorie sichtbar", sagt Süß.
Süß meint, dass Männlichkeit als Geschlechtskategorie lange Zeit unsichtbar war, weil "männlich" als Standard galt. Doch wie konstituiert sich Männlichkeit überhaupt im Rap? Die Antwort scheint recht einfach: hypermaskulin, patriarchal und traditionell. Warum ist das Männerbild nicht fortschrittlicher? Für Süß ist wichtig dieses Problem intersektional zu betrachten, also zu daran zu denken, dass viele Rapper von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind:
"Deutschrap ist sowieso ein Paradebeispiel, finde ich, für die Notwendigkeit von intersektionalen Perspektiven. Weil die Haupterzählung ja die Marginalisierungserzählung ist - aufgrund von sozialer Herkunft, Ethnizität, Hautfarbe – und eigentlich nicht in erster Linie aufgrund von Geschlecht, was aber natürlich mit reinspielt. Und zwar deshalb, weil Maskulinität im Rap auch gerne als Stilmittel eingesetzt wird, um Rassismuserfahrungen zu kompensieren. Dass dieser, auf Außenstehende übertrieben wirkende, Habitus der Stärke, der Coolness, der Autorität, der Hypermännlichkeit auch einfach ein Bewältigungsmechanismus ist."

Resümee

Süß formuliert den Anspruch, bei der Auswahl der Beitragenden sowie Beitragsformate Diversität und sprachliche Verständlichkeit zu gewährleisten. Dies ist ihr, bis auf wenige Ausreißer, grundsätzlich gelungen. Meist sind die Artikel sowohl für Rap-Fans und Rap-Interessierte als auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durchaus gut zu lesen.
Die Kapitel, die tiefgehende musikwissenschaftliche Analysen beinhalten, können von Menschen, die davon nichts verstehen, ohne schlechtes Gewissen überblättert werden. Auf den Seiten danach wird es sowieso wieder spannend.
Die Autorinnen und Autoren des Sammelbands schaffen es sowohl Wissenschaft als auch Öffentlichkeit ein Angebot zu machen. Sie schreiben kritisch, ohne zu verurteilen. Sie reflektieren und bleiben dabei fair. Anders als in vielen Artikeln und Beiträgen über Rap mögen auch hier die Lebensrealitäten der Forschenden und der Zu-Erforschenden auseinanderklaffen, allerdings leistet dieses Buch einen Beitrag zur Verständigung.
Der Sammelband von Heidi Süß "Rap und Geschlecht" ist im sozialwissenschaftlichen Fachverlag Beltz Juventa erschienen und kostet 29,95€.