Donnerstag, 28. März 2024

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Deutsch-russische Beziehungen
"Man muss eine Grundlage für Dialog schaffen"

Nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Susan Stewart gebe es momentan keine Anzeichen für eine Verschärfung der deutsch-russischen Beziehungen. Allerdings müssten sich Diskussionsforen wie der Petersburger Dialog wieder auf die ursprünglichen Ziele zurückbesinnen und den Dialog zwischen den Zivilgesellschaften fördern, sagte sie im DLF. Auf beiden Seiten sei da zur Zeit kein Wille zu erkennen.

Susan Stewart im Gespräch mit Michael Köhler | 10.07.2016
    Angela Merkel und Wladimir Putin bei einem Treffen im Mai 2015
    "Man muss erst mal eine gewisse Grundlage für Dialog schaffen", meint die Politikwissenschaftlerin Susan Stewart. (picture alliance / dpa / Maxim Shipenkov / Pool)
    Michael Köhler: Der NATO-Gipfel fand in Warschau statt und das ist längst so selbstverständlich, dass wir kaum bemerken, dass es mal der gleichlautende Name für Staaten des politischen Ostblocks war, des "Warschauer Paktes". In wenigen Tagen beginnt auch der Petersburger Dialog, ein deutsch- russisches Verständigungs- und Austauschforum. Ich habe mit Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik darüber gesprochen; sie ist im Bereich EU-Russland Beziehungen, Ukraine tätig. Sie habe ich gefragt: die deutsche Kanzlerin spricht sinngemäß von Abschreckung mit ausgestreckter Hand. Erleben wir gegenwärtig unter Bedingungen von russischer Krim-Annexion und islamistischem Terror das Ende einer sicherheitspolitischen Zurückhaltung Deutschlands, ein neues Selbstbewusstsein?
    Susan Stewart: Ich glaube nicht, dass diese Zurückhaltung gänzlich vorbei ist. Wir haben ja auf der einen Seite diese Aussagen, auf der anderen Seite sehe ich durchaus in vielen Kreisen in Deutschland, in politischen, in gesellschaftlichen, in Wirtschaftskreisen eine gewisse Angst und tatsächlich eine Zurückhaltung, wenn es darum geht, Abschreckungsmaßnahmen gegenüber Russland durchzuführen. Von daher denke ich, dass es noch ein gewisser Weg ist, bis man diese Zurückhaltung überwunden hat, wenn das überhaupt so kommen wird.
    "Eine gewisse Grundlage für Dialog schaffen"
    Köhler: Von Abschreckung und Dialog war da die Rede. Ich nenne das mal "Abschreckung mit ausgestreckter Hand". Jeder der Kinder hat weiß, dass das paradox ist: Man kann nicht mit der linken Hand jemanden maßregeln oder eine Tracht Prügel geben und mit der rechten jemand streicheln. Ich meine damit auf der einen Seite Sanktionspolitik, auf der anderen Seite aber Dialog anbieten. Wie passt das zusammen?
    Stewart: Ich denke schon, dass das im Fall Russland und wahrscheinlich auch in einigen anderen Fällen ganz gut zusammenpasst, weil man muss erst mal eine gewisse Grundlage für Dialog schaffen. Wenn die andere Seite sich verhalten hat in einer Art und Weise, die man inakzeptabel findet, muss man dann eben zeigen, das finden wir nicht akzeptabel und wir sind bereit, dagegen anzusteuern, und wir unternehmen auch Maßnahmen dafür. Auf der anderen Seite wollen wir eigentlich nicht, dass es dann auf dieser Basis so weitergeht, und deswegen finden wir, wir sollten darüber reden, über Probleme reden und über mögliche Lösungen reden und mit der Zeit zu Einigungen hoffentlich kommen. Aber wenn die andere Seite nicht erst mal sieht, wir meinen das ernst, dann ist, glaube ich, die Grundlage für einen ernsthaften Dialog nicht unbedingt gegeben.
    Köhler: Aber wie soll das gehen, wenn beispielsweise die NATO vor zwei Jahren beschlossen hat eine strategische Neuausrichtung auch auf die Ostflanke hin? Der Führungsstab in Stettin kann beispielsweise militärische Übungen im östlichen NATO-Bündnisgebiet jetzt leichter führen. Wir hören davon, dass die Stationierung von rotierenden Bataillonen beabsichtigt ist. Das erleichtert doch keinen Dialog mit Russland, oder?
    Stewart: Das zeigt Russland, dass die NATO bereit ist, Artikel fünf einzuhalten und die Staaten auf NATO-Gebiet zu schützen und zu verteidigen, und ich denke schon, dass das im Hinblick auf das, was Russland getan hat, nicht nur in Bezug auf die Ukraine, sondern auch diese sogenannten Nadelstiche in Bezug auf bestimmte NATO-Länder, diese Handlungen machen es notwendig zu zeigen, dass die NATO kein Papiertiger ist.
    Immer wieder auf die Ziele eines Dialogs schauen
    Köhler: Lassen Sie uns über den Petersburger Dialog sprechen, den Kanzler Schröder und Präsident Putin vor 15 Jahren eingerichtet haben. Er findet nächste Woche wieder statt. Unter welchen Vorzeichen passiert das, wenn gerade in Warschau der NATO-Gipfel ist? Was für ein Zeichen geht davon aus? Einfach wird das doch nicht!
    Stewart: Nein, es wird nicht einfach. Aber wir haben jetzt gerade von Abschreckung uns unterhalten und es geht auch um die andere Seite, den Dialog. Und wie Sie gesagt haben: Dieser Dialog existiert schon lange. Allerdings gibt es auch damit bestimmte Schwierigkeiten, auch in der Vergangenheit, und ich denke, es lohnt sich zwar, das zu versuchen, aber man sollte auch nicht vergessen, dass man immer wieder auf die Ziele eines Dialogs schaut. Der Petersburger Dialog soll im Wesentlichen ein Dialog zwischen den Zivilgesellschaften der beiden Länder sein und das ist es eigentlich nur bedingt. Da spielt die Politik bislang eine große Rolle, auch die Wirtschaft spielt da eine große Rolle. Man sollte sich immer wieder zurückbesinnen auf die ursprünglichen Ziele und fragen, inwiefern diese tatsächlich verfolgt und erreicht werden.
    Köhler: Das wäre meine nächste Frage nämlich gewesen, ob es nicht am Ende doch ein reines Wirtschaftstreffen ist, oder etwas spitzer formuliert, ob es Verständigungskosmetik ist durch Jugendaustausch, durch wissenschaftlichen Austausch, Forscheraustausch, Rohstoff-Forum, Sozialforum, Kulturforum und so weiter und so weiter.
    Stewart: Ich sehe diesen Dialog mit einer gewissen Ambivalenz, weil auf der einen Seite gibt es auch gute Tendenzen. Es gibt auch sicherlich auf der deutschen Seite Versuche, den Dialog zu verjüngen, auch andere Akteure mit einzubeziehen, auch in Bezug auf das Steuerungsgremium, das erweitert wurde auf deutscher Seite. Auf der russischen Seite hat man ein paar kleine Änderungen gesehen, aber ob der Wille da ist, auch auf beiden Seiten wirklich auf Änderungen hin zu diesen ursprünglichen Zielen hinzuwirken, da bin ich mir unsicher. Da gilt es, darauf einen Blick zu haben, weil es ist tatsächlich so, dass die wirtschaftlichen Akteure in diesem Dialog bislang einen ziemlich großen Einfluss hatten, auch weil der Hauptveranstalter auf deutscher Seite ja das Deutsch-Russische Forum ist, was ja enge Beziehungen zu bestimmten Wirtschaftsbranchen und Unternehmen hat.
    "Ich sehe nicht unbedingt momentan Zeichen für eine Verschärfung"
    Köhler: Wer sich in Sanktionen begibt, kommt darin um. Wie sinnvoll sind Sanktionen unter der gegenwärtigen Bedingung noch? Sie sollen ja aufrecht erhalten werden von der EU. Ist das einem Dialog förderlich? Ist es nicht eher hinderlich? Verschärft es nicht eher das Misstrauen?
    Stewart: Bei Sanktionen würde ich sagen, das hat gewisse Ähnlichkeiten zu dieser Debatte Abschreckung und Dialog. Weil wenn wir uns erinnern, was der ursprüngliche Ansatz der EU gewesen ist: Nach der Annexion der Krim und nachdem der Krieg im Donbass begonnen hat, hatten wir die Sanktionen. Wir hatten auch eine Unterstützung für die Ukraine und wir hatten auch den Dialog mit Russland. Von daher sind diese Sanktionen auch eine solche Maßnahme, ähnlich der Abschreckung, dass man zeigt, damit sagen wir Russland, was Russland getan hat in der Ukraine geht nicht und deswegen gibt es auch eine Reaktion. Und da es keine militärische Reaktion gibt, blieben eben nur die Sanktionen, und ich denke, das ist schon so: Wenn die EU glaubwürdig bleiben möchte, dann geht es darum, das zu tun, worauf die EU sich geeinigt hat. Und bislang steht in den Dokumenten: Nur wenn die Minsker Vereinbarungen vollständig implementiert werden, können die Sanktionen, die Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden. Und man sollte sich daran halten, es sei denn, die ganze EU führt eine Diskussion und entscheidet, dieses Kriterium zu ändern. Aber bis das passiert, bis alle jetzt noch 28 Mitgliedsstaaten sich darauf geeinigt haben, denke ich, dass es sehr wichtig ist, diesen Beschluss zu verwirklichen.
    Köhler: Frau Stewart, Sie beschäftigen sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien viel mit den Fragen des Verhältnisses von Ost und West. Bleibt das Verhältnis der EU zu Russland zerrüttet, oder sehen Sie Auswege, sehen Sie Anzeichen für eine Lockerung? Im Moment sehe ich eher Zeichen für eine Verschärfung.
    Stewart: Ich sehe nicht unbedingt momentan Zeichen für eine Verschärfung. Wir müssen uns daran erinnern: Obwohl auf hoher Ebene jetzt die Gipfel, bestimmte Verhandlungen ausgesetzt worden sind, was ein neues Abkommen zwischen der EU und Russland angeht, oder was Visafragen angeht, dennoch haben wir auf niedrigeren Ebenen durchaus weiterhin einen Dialog unter Experten, teilweise mit Hinzuziehung von Beamten. Wir haben einen technischen Dialog zwischen der EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion, technische Gespräche, kein institutionalisierter Dialog. Aber immerhin auf diesen Ebenen sind die Kontakte noch vorhanden. Von daher glaube ich, es wird manchmal vielleicht übertrieben, wenn Sie sagen, das Verhältnis ist zerrüttet. Es ist in einem sehr schweren Zustand, das stimmt, und ich sehe, was Auswege angeht, eigentlich nur die Möglichkeit, praktisch auf diesen niedrigeren Ebenen eine Weile lang zu versuchen auszuloten, wo es potenzielle Möglichkeiten zur Kooperation gibt. Auf den höheren Ebenen oder was jetzt den großen Wurf angeht in Bezug auf die europäische Sicherheit oder irgendwelchen Wirtschaftsraum zwischen Lissabon und Vladivostok, dafür sehe ich momentan keine Voraussetzungen. Ich denke, es geht tatsächlich um strategische Geduld. Die Gefahr, die ich sehe, ist: Russland hat eher die Strategie des Abwartens, bis die andere Seite ermüdet ist und sich darauf einlässt, was Russland eigentlich von vornherein wollte, und ich denke, es gilt, das zu vermeiden, insofern, als Russland immer noch möchte, dass eine Einfluss-Sphäre in der sogenannten gemeinsamen Nachbarschaft, eine Einfluss-Sphäre Russlands anerkannt wird. Ich denke, es geht wirklich darum, auf Sparflamme weiterzumachen und zu schauen, ob nicht mit der Zeit bestimmte Fenster der Gelegenheiten entstehen, wo man auf eine andere Ebene den Dialog und das Verhältnis heben kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.