Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Deutsch-russische Beziehungen
"Wir haben einen kalten Frieden"

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hofft, dass sich die deutsch-russischen Beziehungen bald entspannen werden. Sowohl der deutschen als auch der russischen Seite sei klar, dass das verkrampfte Verhältnis nicht im Interesse beider Staaten liege, sagte er im DLF. Um die Lage zu normalisieren, müsse aber unbedingt der Konflikt in der Ukraine gelöst werden.

Stephan Weil im Gespräch mit Peter Kapern | 03.09.2015
    Die Sanktionen gegenüber Russland könnten nur durch die Lösung des Ukraine-Konflikts beendet werden, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Deutschlandfunk. Die europäischen, die ukrainischen und die russischen Politiker müssten alles daran setzen, dass der in Minsk ausgehandelte, momentan brüchige Waffenstillstand zu einem stabilen werde.
    Die russische Wirtschaft habe ein schwieriges Jahr hinter sich und befinde sich in einer Krise. Das liege zum einen an den Sanktionen, aber auch der niedrige Ölpreis und aufgeschobene Sanktionen drückten die Wirtschaftsleistung. Weil hofft in diesem Zusammenhang auf eine baldige Entspannung der deutsch-russischen Beziehungen. Allen Beteiligten sei klar, dass sich die wechselseitige Verhärtung und Verkrampfung nicht ewig fortsetzen könne.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Die deutsch-russischen Beziehungen, die gedeihen ja derzeit etwa so prächtig wie die Yucca-Palme in unserem Newsroom. Es reicht zum Überleben, aber richtig gut geht's nicht. Der Ukraine-Konflikt hat Russlands Abkehr vom Westen belegt, die Sanktionen haben die vielen Kontakte auf allen Ebenen drastisch eingeschränkt. In einer solchen Zeit lässt es aufmerken, wenn ein hochrangiger Politiker aus Deutschland Russland besucht - so wie Stephan Weil, der Ministerpräsident Niedersachsens. Moskau und Tjumen, die Stationen seiner Reise. Vor der Sendung habe ich ihn in Tjumen ans Telefon bekommen und ihn gefragt, ob er möglicherweise der erste Vorbote eines Tauwetters in den deutsch-russischen Beziehungen ist.
    Stephan Weil: Nein, das wäre ganz sicherlich eine Überbewertung, abgesehen davon, dass ich mich freuen würde, wenn wir sehr schnell wieder zu normalen und auch freundlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Russland zurückkehren könnten. Mein Besuch hier dient in erster Linie der Pflege einer regionalen Partnerschaft, die Niedersachsen mit Tjumen hier in Westsibirien hat, seit 23 Jahren sehr erfolgreich, und an der möchte ich auch dann gerne festhalten, wenn die äußeren Bedingungen leider zwischendurch unerfreulich sind.
    Gute wirtschaftliche Beziehungen haben einen herben Dämpfer erhalten
    Kapern: Sie scheinen mir, jetzt Ihr Licht ein wenig unter den Scheffel zu stellen. Immerhin waren Sie auch in Moskau. Sie haben hochrangige Wirtschaftsvertreter und Politiker getroffen. Was ist Ihr Eindruck? Wie tief sitzt der Frost im Boden, auf dem die deutsch-russischen Beziehungen wachsen?
    Weil: Es ist richtig, dass ich natürlich eine Gelegenheit nutze, auch mich schlauzumachen in Moskau, wie dort eigentlich die Situation gesehen wird, insbesondere natürlich rings um den Ukraine-Konflikt, der ja nach wie vor - wie soll ich sagen? - wie Mehltau auf den deutsch-russischen Beziehungen liegt. Mein Eindruck ist der, dass wir im Moment tatsächlich eine wechselseitige Verhärtung, Verkrampfung haben, aber dass durchaus auch auf beiden Seiten die Erkenntnis da ist, dass sich das natürlich nicht bis in die Unendlichkeit fortsetzen kann. Wir haben im Moment so etwas wie einen kalten Frieden und das ist für beide Seiten schlecht und das drückt sich dann insbesondere auch in der Sanktionspolitik aus, die ja nicht nur auf der russischen, sondern auch auf der deutschen Seite dazu führt, dass wirklich gute wirtschaftliche Beziehungen der vergangenen Jahre inzwischen einen herben Dämpfer erhalten haben. Was ich mit einer solchen Reise nicht bewegen kann, auch nicht bewegen möchte, weil es die Verhältnisse gar nicht zulassen, das ist eine Lösung des Ukraine-Konflikts. Alle meine Gesprächspartner haben aber darin übereingestimmt, dass es wirklich ein hohes wechselseitiges Interesse gibt, diesen Konflikt nachhaltig zu lösen, weil man auf beiden Seiten auch wieder zu normalen Beziehungen zurückkehren will.
    Auf der Basis des Status quo nach einer Lösung suchen
    Kapern: Kann man denn - und das ist dann doch die Frage an den Außenpolitiker, der in Ihnen steckt -, kann man denn daraus schlussfolgern, dass auf der russischen Seite eine Spur von Bereitschaft existiert, den bisherigen Kurs in Sachen Ukraine zu verlassen?
    Weil: Das Schlüsselproblem in Sachen Ukraine besteht darin, dass auf beiden Seiten derselbe Sachverhalt sehr unterschiedlich hergeleitet wird. Während bei uns bekanntlich im Westen eine herbe Kritik an der Haltung Russlands herrscht, ist umgekehrt in Russland der Eindruck da, dass das ein Konflikt sei, der Russland auch mit aufgenötigt worden wäre. Daraus wird man nicht herauskommen, indem man versucht, eine gemeinsame Analyse und eine gemeinsame Erklärung zu finden, sondern man muss versuchen, auf der Basis des Status quo nach und nach eine Lösung zu finden, die es für beide Seiten möglich macht, diesen Konflikt dann auch wieder zu beenden. Das ist eine ungeheuer schwierige Aufgabe, vor der insbesondere der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier steht. Dass auf beiden Seiten daran ein Interesse besteht, das kann man, glaube ich, sagen.
    In der Ukraine muss ein stabiler Waffenstillstand her
    Kapern: Wie und wann kommt man aus der Sanktionsspirale heraus, Herr Weil? Sie haben eben gesagt, das kann man nicht bis in die Unendlichkeit fortsetzen.
    Weil: Am besten dadurch, dass man den Ukraine-Konflikt löst. Das Minsker Waffenstillstandsabkommen war ein großer Fortschritt. Das ist teilweise, glaube ich, auch in der Öffentlichkeit schlechter bewertet worden, als es in Wirklichkeit ist. Es ist ein brüchiger Waffenstillstand, aber es ist immerhin ein Waffenstillstand, der mehr oder weniger jetzt gehalten hat, und der nächste Schritt muss der sein, daraus einen wirklich stabilen Waffenstillstand zu machen, und der nächste Schritt muss der sein, dass man wechselseitig darüber redet, wie eigentlich das Problem der Ostukraine und übrigens auch der Krim vernünftig miteinander geregelt werden kann. Erst auf der Grundlage einer solchen nachhaltigen Lösung des Konflikts werden wir auch wirklich wieder zu entkrampften Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Russland zurückkehren können, fürchte ich. Aber daran wiederum gibt es ein sehr ausgeprägtes Interesse auf beiden Seiten.
    Kapern: Was haben Sie da von Ihren Gesprächspartnern in Russland gehört, von denen aus der Wirtschaft, von denen aus der Politik? Wirken die Sanktionen, die der Westen verhängt hat? Bewirken sie etwas?
    Weil: Die russische Wirtschaft hat ein ausgesprochen schwieriges Jahr. Das liegt allerdings in erster Linie an der Entwicklung des Ölpreises. Dazu kommen dann Auswirkungen der Sanktionspolitik, insbesondere übrigens bei der Kreditvergabe. Das führt dazu, wie mir berichtet wurde, dass in vielen Fällen notwendige Investitionen aufgeschoben worden sind, was sicherlich auf Dauer dann wirklich auch ein Nachteil für die russische Wirtschaft ist. Man muss aber auch nüchtern sagen, dass die Sanktionspolitik nach allem, was ich gehört habe, auch zu einer durchaus ausgeprägten Trotzreaktion in Russland führt. Ein Volk, das solche Leiden in seiner Geschichte erlebt hat wie das russische, das wird wahrscheinlich, so ist meine Annahme, sich nicht durch Sanktionen an dieser Stelle beugen lassen.
    Russischer Boykott trifft Milchbauern
    Kapern: Das heißt, die Sanktionen sind kontraproduktiv?
    Weil: Nein. Sie sind jedenfalls nicht anlasslos verhängt worden. Aber deswegen mein Plädoyer dafür, zielstrebig wirklich nach nachhaltigen Lösungen dieses Ukraine-Konflikts zu suchen.
    Weil: Nun sitzen ja im Flugzeug, mit dem Sie durch Russland reisen, auch Vertreter der deutschen Wirtschaft. Was sagen die denn? Wie lange sind die denn noch gewillt, diese Sanktionen hinzunehmen und dabei stillzuhalten, relativ stillzuhalten jedenfalls?
    Weil: Ich habe mich gestern in Moskau mit Vertretern vor allen Dingen niedersächsischer Unternehmen hier in Russland getroffen. Da gibt es natürlich den sehr ausgeprägten Wunsch, dass man bald zu einem Ende der Sanktionen gelangen möge, und das kann ich auch sehr gut verstehen. Vielleicht auch zusätzlich der Hinweis, dass durchaus auch auf der deutschen Seite entsprechende Kosten zu tragen sind. Wenn wir derzeit Demonstrationen der Milchbauern erleben wegen einem viel zu niedrigen Milchpreis, dann hört man aus der Branche, dass die Sanktionen bei Milchprodukten von der russischen Seite her etwa mit drei bis vier Cent pro Liter bei den deutschen Milchbauern zu Buche schlagen, und das ist durchaus etwas, was für viele kleinere Unternehmen über Sein oder Nichtsein entscheidet. Deswegen: Der Wunsch nach einem Ende der Sanktionen, den kann man sehr gut nachvollziehen. Er wird sich allerdings kaum erfüllen lassen, wenn wir nicht auf der politischen Ebene zu Fortschritten gelangen.
    Möglichst schnell Sanktionen verzichtbar machen
    Kapern: Also, um das Ganze zusammenzubinden und eine Summe zu bilden: Der Ministerpräsident Niedersachsens ist der Meinung, dass die Sanktionen beibehalten werden müssen, trotz des Schadens, den sie auch bei den deutschen Unternehmen, bei deutschen Landwirten anrichten?
    Weil: Ich glaube, das habe ich nicht gesagt. Der Ministerpräsident Niedersachsens wünscht sich sehr, dass schrittweise eine Lösung des Ukraine-Konflikts zustande kommt, dass wechselseitig das Vertrauen wächst und dass man auf dieser Grundlage auch möglichst schnell Sanktionen für verzichtbar halten kann. Das ist der eigentliche Wunsch des Ministerpräsidenten von Niedersachsen.
    Kapern: Gut, dass wir das noch mal klargestellt haben. - Stephan Weil, der Ministerpräsident Niedersachsens, auf einer Rundreise durch Russland. Danke, dass Sie Zeit für uns hatten und einen guten Tag noch.
    Weil: Ja, danke schön! Tschüss!
    Kapern: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.