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Deutsch-sowjetische Annäherung

Mitten im Kalten Krieg führte Willy Brandts Ostpolitik 1970 zur Unterzeichnung des "Moskauer Vertrages". Er war die Grundlage für den ersten Besuch des mächtigsten sowjetischen Politikers in der Bundesrepublik Deutschland – 28 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Von Klaus Kuntze | 18.05.2013
    "Herr Generalsekretär. Wir freuen uns, dass Sie zu uns gekommen sind, dass der Besuch des ersten Mannes der Sowjetunion hier in der Bundesrepublik Deutschland möglich geworden ist. Eine leidvolle Geschichte hat uns den Weg zueinander schwer gemacht, aber wir haben einen neuen Anfang gewagt."

    Freitag, 18. Mai 1973. Flughafen Köln-Wahn. Mit einer Iljuschin 62 war Leonid Breschnew angekommen. Begrüßt von Bundeskanzler Willy Brandt, einer Ehrenkompanie und einem Musikkorps der Bundeswehr. Auf dem Hauptstadtflughafen erklang erstmals die sowjetische Hymne, aber der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion bekam keine Salutschüsse, die er, wie für ein Staatsoberhaupt üblich, kurz zuvor im großzügigeren Paris erhalten habe - kritisierte Egon Bahr, der damalige Staatssekretär. Breschnew ließ es sich nicht verdrießen.

    "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren. Wir alle sind sehr dankbar für das herzliche Willkommen. Ich komme jetzt zum ersten Mal in die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben einen guten Vertrag, den Vertrag von 1970."

    Formell hatten die Nachkriegsbeziehungen zwischen beiden Staaten bereits 1955 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer begonnen.

    "Als Ergebnis der Reise nach Moskau haben wir beschlossen, mit der Sowjetregierung diplomatische Beziehungen aufzunehmen."

    Es waren Beziehungen, die vom Misstrauen des Kalten Kriegs gekennzeichnet waren. Bonn sah sich während der Adenauer-Zeit in der einseitigen Westverankerung bestätigt.
    Erst die sozialliberale Koalitionsregierung begann die jahrelange Erstarrung und das gegenseitige Misstrauen abzubauen. Die schwierigen Verhandlungen mündeten im Moskauer Vertrag, den Bundeskanzler Willy Brandt und Außenamtschef Walter Scheel im August 1970 mit dem sowjetischen Premier Alexej Kossygin und Außenminister Andrej Gromyko im Kreml unterzeichneten.

    Nach weiteren zwei Jahren steckte die CDU/CSU-Opposition ihren Widerstand gegen die neue Ostpolitik im Bundestag zurück und der Vertrag konnte ratifiziert werden.
    Breschnew bei seinem Besuch im Mai 1973.

    "Nun brauchen wir auf diesem Fundament ein festes Gebäude gutnachbarlicher Beziehungen zwischen unseren Völkern."

    Konkret waren drei Abkommen entworfen worden: zur wirtschaftlich-technisch-industriellen sowie zur kulturellen Zusammenarbeit, außerdem ein Luftverkehrsprotokoll.
    Der damalige deutsche Botschafter in Moskau, Ulrich Sahm, der den sowjetischen Besucher begleitete, schrieb in seinen Memoiren:
    Mitten im Kalten Krieg führte Willy Brandts Ostpolitik 1970 zur Unterzeichnung des "Moskauer Vertrages". Er war die Grundlage für den ersten Besuch des mächtigsten sowjetischen Politikers in der Bundesrepublik Deutschland – 28 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

    "Während Breschnew die Freundlichkeit des Empfangs und die ihm erwiesenen Ehrungen offensichtlich genoss, fanden im Hintergrund stundenlange und quälende Auseinandersetzungen über den Wortlaut des Schlusscommuniqués, der gemeinsamen Erklärung, statt. Schließlich fanden Bahr und Gromyko in letzter Stunde einen Formelkompromiss."

    Aber mehr als Dokumente zählte, achtundzwanzig Jahre nach Kriegsende, der Umstand, dass dieser Besuch überhaupt stattfand. Auch die sowjetischen Medien berichteten lückenlos und erstmals ohne Feindbild-Klischee über die Bundesrepublik. Dort wie hier mangelte es an Kenntnis über das jeweils andere Land. Nach einem Essen für Breschnew notierte Egon Bahr:

    "Plötzlich wurde es ernst, als der Generalsekretär von Erlebnissen an der Front berichtete, Kämpfen, Toten, einer Feuerpause und deutschen Kriegsgefangenen. Leonid Iljitsch war sichtlich und ehrlich bewegt. Es knisterte."

    Der damals bereits achtzigjährige evangelische Theologe Martin Niemöller drückte eine verbreitete Hoffnung aus:

    "Der Besuch von Breschnew ist sicher ein erster lebendiger Ausdruck, dass eine neue Phase begonnen hat. Und ich persönlich hoffe, dass dieser Besuch von Breschnew das, was an Resten von Kalter-Kriegs-Stimmung noch lebendig ist in der Bevölkerung, dass das jetzt erheblich einen Stoß bekommt und auf die Seite geht."

    Und Valentin Falin, der sowjetische Botschafter in Bonn, hielt fest:

    "Der Besuch wurde zur Apotheose der sowjetisch-deutschen Annäherung auf der Basis einer grundsätzlichen Wendung des Blicks nach Osten."