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Deutsche-Bank-Chefvolkswirt: Banken können Euro-Austritt Griechenlands verkraften

Thomas Mayer, Leitender Ökonom der Deutschen Bank, erwartet keine größeren Probleme des Finanzsektors, wenn Griechenland aus der Eurozone austräte. Handlungsbedarf sieht Mayer allerdings bei größeren Ländern wie dem hoch verschuldeten Italien.

Thomas Mayer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 03.11.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, die haben Griechenland gestern vor eine klare Alternative gestellt: entweder für den Euro oder gegen den Euro. Weitere Kredite liegen auf Eis, bis das Ergebnis der geplanten Volksabstimmung vor uns liegt.
    In der griechischen Regierung, da gibt es unterschiedliche Einschätzungen offenbar zu den Folgen des geplanten Referendums. Der Finanzminister Venizelos, der meinte, eine Zugehörigkeit zum Euro stehe nicht zur Disposition.

    Telefonisch sind wir jetzt verbunden mit Thomas Mayer, er ist Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Schönen guten Morgen!

    Thomas Mayer: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Mayer, bricht die Euro-Zone jetzt auseinander?

    Mayer: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Ich meine, jetzt kommt es zum Schwur. Wir hatten ja jetzt gerade gehört, dass Papandreou zwei Hürden nehmen muss. Zum einen muss er die Vertrauensabstimmung am Freitagabend gewinnen und zum zweiten muss er das Referendum gewinnen. Und wenn er das nicht tut, wenn er das Referendum verliert, dann sehe ich allerdings hier eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland dann den Euro verlassen wird.
    Heckmann: Eine hohe Wahrscheinlichkeit, oder ist das sicher? Der griechische Finanzminister, der hat ja schon gesagt, jetzt ganz aktuell, die Volksabstimmung, die habe mit der Euro-Zugehörigkeit nichts zu tun.

    Mayer: Richtig. Wenn man aber bedenkt, was das bedeutet, wenn Griechenland das Hilfspaket, das Rettungspaket, die Maßnahmen, die damit verbunden sind, ablehnt, dann kann man nur daraus folgern, dass das auch bedeutet, dass Griechenland dann den Euro verlassen muss, denn man kann nicht beanspruchen, dass dann der Rest der Euro-Zone einem weiterhilft, wenn man die mit der Hilfe verbundenen Maßnahmen nicht durchführen möchte.

    Heckmann: Mit welchen Folgen dann für die Griechen selbst?

    Mayer: Für die Griechen würde das bitter sein, denn es würden natürlich damit dann der freie Kapitalverkehr zum Erliegen kommen, es würde wahrscheinlich Rückschläge für den Handel bedeuten, es würde sicherlich die Wirtschaftsentwicklung sehr, sehr stark belasten. Also für die Griechen wäre das ein ziemliches Desaster.

    Heckmann: Und für die Europäer, für den Rest der Europäer, für die Euro-Zone, auch für die europäischen Banken, was bedeutet das?

    Mayer: Es wäre nicht schön, das ist klar. Aber man muss auch natürlich ins Auge fassen, dass man einen Austritt Griechenlands verkraften könnte. Das Land ist klein, gemessen am gesamten Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone nur 2,5 Prozent. Inzwischen haben sich die Banken, der Finanzmarkt darauf eingestellt, dass es zu einer griechischen Umschuldung kommt. Also man würde das durchaus überleben. Es wäre also in erster Linie schlecht für die Griechen.

    Heckmann: Aber vor einer Pleite Griechenlands wurde ja immer wieder gewarnt wegen der Ansteckungsgefahren anderer Länder: Frankreich, Spanien, Portugal, Italien. Jetzt sind die europäischen Partner ja dabei, den Euro-Rettungsschirm zu stärken. Aber reicht das aus, was da bisher beschlossen worden ist?

    Mayer: Ja leider ist diese Ansteckung eben schon passiert. Die Taktik, das griechische Problem zu verschieben, Umschuldungen immer hinauszuzögern, hat leider nicht gefruchtet. Seit diesem Sommer ist Italien unter Druck der Finanzmärkte. Und was man jetzt versucht, hier zu tun, durch eine sogenannte Hebelung des EFSF hier die Instrumente der Situation anzupassen, wird meines Erachtens nur bedingt klappen. Letztendlich, das muss man sehen, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, hier die größeren Länder wieder zu stabilisieren. Nummer eins: Diese Länder müssen von sich aus die notwendigen Anpassungsmaßnahmen durchführen, und im Falle Italien heißt das umfangreiche Strukturreformen für die Wirtschaft, ein umfangreiches Fiskalanpassungsprogramm, also eine Agenda 2020 für Italien. Das ist der erste Punkt. Und zweitens wird man nicht umhin kommen, um die Märkte zu beruhigen, auch weiterhin die EZB einzusetzen.

    Heckmann: Und wenn diese Agenda 2020, von der Sie sprechen, wenn die nicht kommt, denn die Lage, die politische Lage in Italien beispielsweise, sieht ja nicht unbedingt danach aus?

    Mayer: Ja, das ist das Problem. Italien ist zu groß, als dass man da mit Hilfsprogrammen der anderen Länder eingreifen könnte. Letztendlich würde dann die EZB in die Pflicht genommen, dann würde die EZB wie die Federal Reserve in den USA große Mengen italienischer Bonds aufkaufen mit potenziellen schwerwiegenden Folgen für die Preisstabilität und die Stabilität des Wechselkurses des Euros in der Zukunft.

    Heckmann: Das sagen Sie so relativ mit leichter Hand. Das heißt, die EZB würde praktisch die Gelddruckmaschine anwerfen, das, was Deutschland immer wieder verhindern wollte?

    Mayer: So ist es. Das wäre ein Risiko, wenn Italien es nicht schafft, sich selbst zu helfen. Die Zukunft des Euros ist eng verbunden mit dem, was in Italien passiert.

    Heckmann: Welche Folgen hätte das für die Deutschen, wenn es so käme?

    Mayer: Langfristig würde natürlich in Deutschland dann die Akzeptanz des Euros sinken, insbesondere dann, wenn in Deutschland die Inflation steigen und sich der Wechselkurs des Euros gegenüber anderen Währungen deutlich abschwächen würde.

    Heckmann: Das heißt, auch politisch würden die Kräfte erstarken, die sich gegen den Euro aussprechen würden?

    Mayer: So ist es. Deshalb ist es so wichtig, dass innerhalb des Europäischen Rats Einigkeit darüber besteht, dass Italien alles Notwendige macht, um das Land zu stabilisieren, um die Wirtschaftskräfte zu stärken und die Fiskalkonsolidierung fortzuführen.

    Heckmann: Herr Mayer, Sie haben bereits vor einem Jahr uns ein Interview gegeben, im Mai 2010, vor mehr als einem Jahr also. Sie haben damals gesagt, man müsse sich Gedanken machen, was wir tun, wenn das Griechenland-Programm nicht funktioniert. Für einen solchen Notfall muss man vorplanen. Hat die Politik sich ausreichend Gedanken gemacht?

    Mayer: Na ja, inzwischen schon. Ich hätte mir gewünscht, dass man sich auf diese Situation etwas früher vorbereitet, denn wenn man sich mit der Lage Griechenlands befasst hat, dann konnte man nicht darauf vertrauen, dass sich alles zum Guten wendet, sondern es war schon relativ früh klar, dass es enorm schwierig sein würde, die griechische Wirtschaft zu stabilisieren. Sie müssen sich das vorstellen, das ist eine Aufgabe, die vielleicht ähnlich der ist, die neuen Bundesländer nach der Vereinigung Deutschlands in die deutsche Wirtschaft zu integrieren. Das erfordert umfangreiche Maßnahmen auf der Angebotsseite der Wirtschaft. Das kann nicht in einem ein-, zwei- oder dreijährigen IWF-Programm erledigt werden.

    Man ist jetzt in der Zwischenzeit weit gekommen. Man hat so etwas Ähnliches, eine Vorstufe eines europäischen Währungsfonds gebaut. Sie werden sich vielleicht erinnern, das hatte ich damals auch ins Gespräch gebracht. Man ist also weit gekommen und in gewisser Weise ist es natürlich jetzt auch verständlich, dass die Griechen, die jetzt eine sehr schwierige Zeit vor sich haben, dass die noch einmal eine Rückversicherung, ein Mandat wollen vom Volk, um auf dieser Strecke weiterzugehen.

    Heckmann: Kommen wir noch zum Schluss zum Thema Finanztransaktionssteuer, ein Thema, das die Bundesregierung heute in Cannes auch vorantreiben möchte als Konsequenz der Finanzkrise von 2008. Der britische Premierminister David Cameron, der hat gestern gesagt, so schnell werde es eine Finanztransaktionssteuer nicht geben, und wenn, dann nur weltweit. Schützt also der britische Premier die Interessen der Deutschen Bank besser als die deutsche Kanzlerin?

    Mayer: Na ja, lassen Sie mich das mal als Volkswirt kommentieren. Ich kenne keine wissenschaftliche Studie, die der Finanztransaktionssteuer eine positive Wirkung auf die Finanzmärkte oder auf die Staatseinnahmen bescheinigt. Insofern kann ich als Volkswirt diese Vorliebe insbesondere in Berlin, aber auch in Paris für eine Finanztransaktionssteuer nicht nachvollziehen.

    Heckmann: Das heißt, diese Dynamisierung, dass tagtäglich Milliarden wirklich hin- und hergeschoben werden innerhalb von Sekunden, das muss man einfach so akzeptieren?

    Mayer: Na ja, man muss sich natürlich überlegen, ob man gewisse Arten des Hochfrequenzhandels nicht einschränken sollte. Aber mit einer Finanztransaktionssteuer - das ist ein sehr, würde ich mal sagen, grobes Instrument, das ist wie eine Steinaxt -, damit erreichen sie nicht, meines Erachtens erreichen sie nicht, was sie eigentlich wollen.

    Heckmann: Argumentieren Sie auch deshalb so, weil Ihre eigene Bank, die Deutsche Bank, davon betroffen wäre?

    Mayer: Schauen Sie, als Volkswirt kann ich mir und als Leiter hier des Research kann ich mir eine gewisse Unabhängigkeit von den Geschäftsinteressen erlauben. Infolge der Internet-Blase wurde das uns sogar von den Aufsichtsbehörden hier auferlegt. Und daher nehme ich mir die Freiheit, hier als Volkswirt zu argumentieren, und nicht im Interesse der Bank zu sprechen.

    Heckmann: Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der sieht das anders. Er sagt, auch notfalls ohne Großbritannien eine Finanztransaktionssteuer. Ist er da falsch beraten, oder hat er da irgendwas nicht verstanden?

    Mayer: Meiner Meinung nach liegt Herr Schäuble und der Befürworter der Finanztransaktionssteuer falsch.

    Heckmann: Klare Aussage von Thomas Mayer, dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Ich danke Ihnen für das Interview.

    Mayer: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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