Dienstag, 19. März 2024

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Deutsche Besatzung in Frankreich
Chanson als Teil des Widerstands

Frankreich feiert in diesen Tagen und Wochen 70 Jahre Befreiung von der Naziherrschaft. In allen Stadtteilbibliotheken, in den Museen, auf den Bühnen landauf, landab, wird das Thema künstlerisch aufbereitet. Auch an die Chansons der Zeit wird erinnert - an die deutschen und die französischen.

Von Ursula Welter | 15.08.2014
    Die Sängerin Edith Piaf vor einem Bild von Maurice Chevalier im Jahr 1947.
    Die Sängerin Edith Piaf vor einem Bild von Maurice Chevalier im Jahr 1947. (AFP)
    Szenenapplaus in der "Halle der Chansons". Ein staatlich gefördertes Theater in Paris, das sich der jahrhundertealten Liedtradition Frankreichs widmet.
    "Das Chanson macht es möglich, selbst harte Geschichten mit einer gewissen Geschmeidigkeit und Milde zu erzählen",
    erklärt Direktor, Serge Hurreau. "Die harte Geschichte", das heißt in diesem Fall: Unterdrückung durch die Nazis, Besatzungszeit zwischen 1940 und 1944, Chansons in totalitären Zeiten.
    "Wir versuchen, uns dem politischen Engagement der Künstler zuzuwenden."
    Olivier Hussenet ist der Star an diesem Abend. Er singt die Lieder, die aus den Radiogeräten kamen, als in Paris die Hakenkreuze wehten und in Vichy die französischen Kollaborateure am Werk waren.
    "Die Propagandamethoden waren in diesem Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten sehr, sehr effizient."
    Ein Teil der Propaganda
    Die Chansons waren Teil der Propaganda. Maurice Chevalier beschwichtigte mit seinem Maurer-Lied die verängstigte Bevölkerung. Durchhalteparolen gingen über den Äther, "der Eiffel-Turm steht doch noch, alles ist gut, habt keine Angst".
    "Jemand wie Edith Piaf stieg in dieser Zeit weiter auf. Wenn sie auch nicht direkt Politik machte, sie war ja eigentlich gegen die Besatzung, so hat sie ihre Karriere aber auch nicht unterbrochen in der Nazi-Zeit."
    "Unter den nicht politischen Chansons gab es dennoch eine Art passiver, politischer Aktivität, denn singen hieß, akzeptieren, was passierte."
    Die Schauspieler auf der Bühne lassen "Radio Paris" erklingen, das Propagandainstrument der Nazis. "Radio Paris lügt", "Radio Paris ist deutsch", nahezu jeder Franzose kennt bis heute die Parole der Gegenseite, verbreitet von "Radio London". Gelächter im Saal, als André Montagards Hymne auf das Vichy-Regime des Marschall Pétain erklingt: "Maréchal, nous voilà ...".
    Anbiederung an das Nazi-Regime auf der einen, versteckte Widerstandsbotschaften auf der anderen Seite. Charles Trenet etwa, dem die Gestapo auf den Fersen war, ermunterte seine Landsleute, aufzuwachen: "Reveille-toi ..."
    Schreckliche Politik, schöne Sprache
    Und natürlich gab es für das französische Publikum zwischen 1940 und 1944 dies:
    "Nur nicht aus Liebe weinen ..."
    "Wir singen also Lieder von Zarah Leander, dem Star der Nazis, aber zeigen eben auch, dass in der deutschen Sprache auf der anderen Seite auch so etwas wie ‚Das Lied der Moorsoldaten' gesungen wurde. Wir wollen zeigen, es waren nicht DIE Deutschen, es waren die Nazis, das ist eben nicht dasselbe."
    Der junge Schauspieler stammt aus der Bretagne, hat sich auf den Bühnen von Rennes einen Namen gemacht. Für diese Aufführung in Paris über die Chansons in Zeiten der deutschen Besatzung Frankreichs hat Olivier Hussenet viel gelesen, zugehört, geforscht.
    Chansons in deutscher Sprache vor französischem Publikum zu singen, in der Stadt, die in diesem Sommer die Befreiung groß feiert, für Hussenet steckt darin auch eine politische Botschaft. Denn nicht selten, so sagt er, heiße es in Frankreich: Deutsch sei eine harte, gutturale, beinah gewalttätige Sprache. Selbst junge Leute pflegten dieses Vorurteil.
    "Die Gewalt, die Härte steckt aber nicht in der Sprache. Die steckte in der Politik der Nazis. Die Sprache ist darüber erhaben. Und Deutsch ist eine schöne Sprache, es ist Zeit, diese Seiten der Vorurteile umzublättern."