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Deutsche Einheit
Niedriglohnland Ostdeutschland

Die Deutsche Einheit - ein Glücksfall, so der Tenor der Feierlichkeiten rund um 30 Jahre Mauerfall. Doch viele Ostdeutsche fühlen sich immer noch als Menschen zweiter Klasse - sie machen das auch an ihrem Verdienst fest. Eine Gebäudereinigerin erzählt.

Von Christoph Richter | 02.10.2019
Eine Mitarbeiterin des Theaters in Meißen (Sachsen) reinigt mit einem Staubsauger die Sitze im Zuschauersaal des Theaters.
Gebäudepflegerin Elke Bobles fordert eine gerechte Entlohnung für ein "menschenwürdiges Leben", wie sie sagt. Mit monatlich 1.200 Euro sei das nicht möglich. (picture alliance / Arno Burgi)
"Also ich arbeite in einer Kindertagesstätte und bin dort als Reinigerin tätig, dass die Räumlichkeiten sauber sind…", erzählt die Magdeburgerin Elke Bobles. Eine resolute Mit-Fünfzigerin, Mutter zweier Kinder. Nach der Wiedervereinigung wurde die kaufmännische Post-Angestellte arbeitslos. Jetzt schlägt sie sich - fast 30 Jahre schon - irgendwie durchs Leben, wie sie sagt.
"Ich bekomme den Branchenmindestlohn von 10,05 Euro die Stunde.."
Frage des Reporters: "Und was kommt dann am Ende raus?"
"Bei Lohnsteuerklasse 1 sind das 1.200 Euro netto. Wenn man dann die Fixkosten sieht, Miete, steigende Strompreise, da habe ich am Monatsende - wenn ich gut bin - noch 100, 150 Euro über. Dann darf aber nichts kaputt gehen, dann sieht es bös' aus."
Noch lange nicht gleichberechtigt
Unwürdig sei das, sagt die Gewerkschafterin noch. Sie muss tief atmen, ist wütend.
"Kommt nach Sachsen-Anhalt, wir zahlen die niedrigsten Löhne, damit hat Sachsen-Anhalts Landesregierung über Jahre geworben. Das ist eine bodenlose Frechheit. Wenn ich jünger wäre, dann würde ich meine Koffer packen und gen Westen ziehen. Und das sollten alle jungen Leute tun…"
Elke Bobles machen die Lohnunterschiede zwischen Ost und West schier verrückt.
"In Bezug auf Lohnbedingungen haben wir die Einheit noch lange nicht erreicht. In den Köpfen der Menschen wird es erst eine Einheit geben, wenn diese Unterschiede abgeschafft sind."
Starkes Lohngefälle zwischen Ost und West
In Sachsen-Anhalt arbeitet mehr als ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten für einen Niedriglohn unter 2.200 Euro brutto, heißt es beim DGB. Das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle – kurz IWH - spricht von einem deutlichen Lohn-Gefälle. Im Osten liege er bei 81 Prozent des westdeutschen Durchschnittslohnes von 3.209 Euro.
Reint E. Gropp vom IWH in Halle warnt aber davor jetzt den Kopf in den Sand zu stecken. Das Land sei vereinter als je zuvor. Doch wenn die Wirtschaft im Osten sich dem Westen angleichen wolle müsse man in den ostdeutschen Staatskanzleien umdenken. Und müsse die urbanen Ballungs-Räume stärken.
"Wenn sie die ländlichen Regionen stärken wollen – nehmen wir mal die Region Halle/Leipzig – dann strahlt das aus auf die Umgebung. Genauso wie Berkeley oder Silicon Valley auf die Umgebung ausstrahlt. Aber umgekehrt sollte man nicht versuchen, mit Gewalt auf dem Land Strukturen zu schaffen, die es in der Stadt eigentlich schon gibt."
Doch genau dieser Vorschlag erzeugt bei den ostdeutschen Ministerpräsidenten einen Aufschrei. Es heißt, Wirtschaftswissenschaftler Gropp vom IWH in Halle wolle die ostdeutschen ländlichen Regionen fallen lassen. Ganz im Gegenteil, es gehe darum, den Osten zu stärken, sagt Gropp. Bisher habe man viel zu stark auf die old economy, auf Industriearbeitsplätze gesetzt, statt sich in Ostdeutschland auf High-Tech, Künstliche Intelligenz, eben zukunftsträchtige Branchen zu konzentrieren.
"Ich glaube nicht, dass die Zukunft in Deutschland in der Industrieproduktion liegt, das kann China eindeutig billiger. Und da haben wir keine Chance. Deswegen sollten wir uns auf wissensbasierte Sachen konzentrieren, Entwicklung und Forschung. Da hat der Osten immer noch Aufholbedarf."
Hartz 4 als Wendepunkt
Ökonom Gunther Schnabl von der Universität Leipzig sieht die Schuld an der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Ostens in den Hartz IV-Reformen. Sie hätten lediglich geholfen, die Langzeitarbeitslosigkeit einzudämmen. Und hätten Leiharbeit und Minijobs gebracht, die aus Ostdeutschland ein Niedriglohnland gemacht haben.
"Seit den Hartz-Reformen wurden die Löhne in ganz Deutschland, aber insbesondere Ostdeutschland stark gedrückt. Und damit wurden die Export-Erfolge von vielen westdeutschen Firmen auch auf die Lohnzurückhaltung im Osten aufgebaut. Ich denke an BMW, Porsche. Große Ansiedlungen in Leipzig, die mit billigen Löhnen Autos produzieren, die dann von den westdeutschen Firmen teuer exportiert werden."
Gewerkschaften und Linkspartei fordern jetzt als Kompensation einen Mindestlohn von knapp 13 Euro. Die richtigen Anreize müssten gesetzt werden, um den Osten nach vorne zu bringen, sagt Sachsen-Anhalts Linken Landeschef Stefan Gebhardt.
"Wir brauchen das, was über Jahre privatisiert wurde und dem kommerziellen Sektor unterworfen wurde, dem Profit unterworfen ist, das muss zurück in die öffentliche Hand. Das Gesundheitswesen liegt mir da besonders am Herzen. Fast sämtliche Krankenhäuser in Sachsen-Anhalt sind privatisiert. Und wenn man es sich genau anschaut: Eine Krankenschwester verdient dort monatlich 500 bis 600 Euro unterhalb des Tarifs."
Dem müsse Einhalt geboten werden, notfalls mit Enteignungen, so Sachsen-Anhalts Linken-Chef Stefan Gebhardt weiter. Er kommt aus Hettstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz. Hier verdienen Menschen im Durchschnitt monatlich 2.413 Euro, damit rangiert man bundesweit auf den letzten Plätzen. Im Gegensatz dazu das bayrische Regensburg: Hier liegt der monatliche Verdienst um 1.400 Euro höher, bei etwa 3.800 Euro. Ein Beispiel, das die Einkommensschere zwischen Ost und West offenlegt. Ähnlich sieht es bei Geldvermögen aus. Studien belegen, dass Westdeutsche höhere Vermögen erben. Das bedeutet, dass sich die Vermögensunterschiede zwischen Ost und West auch in Zukunft so schnell nicht auflösen werden.
Wenn der Job gerade so zum Leben reicht
Zurück nach Magdeburg. Gebäudepflegerin Elke Bobles fordert eine gerechte Entlohnung für ein "menschenwürdiges Leben", wie sie sagt. Mit monatlich 1.200 Euro sei das nicht möglich.
"Leben kann man davon nicht. Man kann davon existieren, es ist immer noch mehr als die Grundsicherung. Aber unter einem würdevollen Leben stelle ich mir andere Löhne vor. Da stelle ich mir vor: Dass ich von dem Lohn, den ich mir hart erarbeite auch in den Urlaub fahren kann, dass ich mir eine Konzertkarte leisten kann, ohne dass ich dafür ein halbes Jahr drauf sparen muss."