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Deutsche Extremisten
Zweite Chance für Dschihadisten

Rund 120 ehemalige Dschihadisten sind mittlerweile aus Syrien und dem Nordirak nach Deutschland heimgekehrt. Verfassungsschützer warnen vor einer Anschlagsgefahr, die von den kampferprobten und traumatisierten Männern ausgeht. Doch es gelingt auch, radikalisierte Muslime zu resozialisieren.

Von Isa Hoffinger | 07.10.2014
    Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat, angeblich in Mossul aufgenommen
    Bei vielen der Rückkehrer handelt es sich laut dem Sprecher der Stadt Dinslaken um "junge Leute, die desillusioniert sind, weil sie erlebt haben, dass sich doch alles nicht in so schönen, rosigen Farben darstellt." (afp)
    Ein sonniger Herbstnachmittag im Ruhrgebiet. Im Dinslakener Stadtteil Lohberg ruft der Imam der Türkisch-Islamischen Gemeinde die Muslime zum Freitagsgebet. Draußen, in der alten Bergarbeitersiedlung mit den grauen und braunen Reihenhäusern, fegt der Wind die gelben Blätter von den Platanen am Straßenrand. Drinnen, im gekachelten Gebetsraum, sitzen etwa zwei Dutzend Männer auf dem rot-gemusterten Teppich. Sie wirken scheu, in sich gekehrt.
    Früher, seit den 1950er-Jahren, arbeiteten viele Türken in der nahe gelegenen Zeche. Nach der Stilllegung im Jahr 2005 eröffneten ihre Kinder und Enkel kleine Friseurläden, Schneidereien, Reisebüros und Imbissbuden. Seit ein paar Monaten gilt Lohberg als "Problemviertel": Eine Gruppe radikalisierter Muslime brach von hier aus in den Dschihad auf, unter ihnen Mustafa, ein junger Mann mit einem schwarzen Vollbart. Mustafa brüstete sich in einem YouTube-Video mit Gewalttaten: Er hielt einen abgeschnittenen Kopf in eine Handykamera.
    Philip, ein anderer junger Mann aus Lohberg, soll im Irak mit einem Lastkraftwagen voller Sprengstoff auf einen kurdischen Posten zugefahren sein und dabei 20 Peschmerga und sich selbst in die Luft gejagt haben. Özkan Yildiz vom Vorstand der Ditib-Moschee in Lohberg macht es traurig, dass seine Religion und seine Heimat Lohberg durch die Taten der Dschihadisten in Verruf geraten sind.
    "Wir wollen nix unter den Teppich kehren, wir wissen um die Probleme, die es in Lohberg gibt, die wollen wir gemeinsam lösen, also nicht jetzt als Moscheeverein, sondern als Lohberger Bürger, und als ein Teil dieser Gesellschaft wollen wir uns auch da beteiligen."
    Anschlagsgefahr von traumatisierten Männern?
    Zusammen mit anderen Moscheegemeinden aus Dinslaken haben die Lohberger Muslime ein Bündnis gegen Gewalt ins Leben gerufen. Bei einem Aktionstag Mitte September unterzeichneten Lokalpolitiker, Kirchenvertreter und Muslime einen Appell gegen Hass. Vier der Lohberger Dschihadisten sind inzwischen zurückgekehrt. Einige Lohberger haben eine klare Vorstellung, was mit ihnen passieren soll.
    "Erschießen! Einfach erschießen."
    Horst Dickhäuser von der Stadt Dinslaken sagt, dass es in drei Fällen gelungen sei, die radikalisierten Muslime wieder zu resozialisieren. Sie hätten jetzt Arbeit und dem Dschihad abgeschworen:
    "Bei diesen vier Rückkehrern haben wir es mit zwei Kategorien zu tun. In einem Fall: Mit einem jungen Mann, der extrem traumatisiert ist und in drei Fällen - junge Leute, die desillusioniert sind, weil sie erlebt haben, dass sich doch alles nicht in so schönen, rosigen Farben darstellt wie es diese Hassprediger ihnen erklärt haben und die Familien haben große Anstrengungen auch finanzieller Art unternommen, um diese jungen Leute auszulösen."
    Auf dem Marktplatz in Lohberg erzählt man sich, der Onkel eines jungen Mannes sei an die syrisch-türkische Grenze gefahren, um seinen Neffen freizukaufen. Angeblich soll er 100.000 Euro bezahlt haben. Was generell mit den rund 120 ehemaligen Dschihadisten passieren soll, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, darüber streiten Politiker seit Monaten. Verfassungsschützer warnen vor einer Anschlagsgefahr, die von kampferprobten und traumatisierten Männern ausgehe. Burkhard Körner vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz:
    "Wir gehen von einer sehr hohen abstrakten Gefahr aus, aber wir haben keinen Sachverhalt, wo wir wissen, hier besteht eine konkrete Anschlagsplanung. Jeder dieser Rückkehrer - muss man jedenfalls mit rechnen, dass er hier diese Ideologie mitnimmt, dass er weiter dem Gedanken des Dschihad anhängt und den Dschihad auch in westlichen Staaten umsetzen will."
    Das Bundesamt für Verfassungsschutz will mit einer Wanderausstellung Lehrer, Sozialarbeiter und weitere Multiplikatoren sensibilisieren. "Die missbrauchte Religion - Islamisten in Deutschland" heißt die Ausstellung. Gezeigt werden unter anderem Kofferbomben, die bereits 2006 in Regionalzügen deponiert worden waren. Auch der Beamte Michael Utsch warnt vor Attentaten in Deutschland:
    "Die Anschläge damals in Madrid - so ähnlich hätte das dann in Deutschland auch ausgesehen, wenn diese Bomben hier 2006 auch tatsächlich detoniert wären. Zur Funktionsweise - im Prinzip sind das alles Sachen, die kann man im Baumarkt kaufen, eine Propangasflasche - vorne an dem Ventil, da war eine kleine Sprengkapsel angebracht, die sollte gesteuert werden durch diesen grünen Wecker, und das war so geplant, dass die Bombe hochgeht in dem Moment, in dem der Zug in den Bahnhof einfährt. Um natürlich möglichst viele Ziele zu erreichen."
    "Einsperren bringt gar nichts"
    72 Ermittlungsverfahren gegen Rückkehrer und Dschihad-Unterstützer laufen derzeit. In München wird der Fall von Harun P. verhandelt. Als Mitglied der Dschihad-Truppe Junud ash-Sham kämpfte Harun P. im Norden Syriens. Er nahm an einem Großangriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil, bei dem mehrere syrische Soldaten getötet wurden. Harun P. gilt als gewaltbereit. In der Münchner Innenstadt soll er einem Politiker der islamfeindlichen Partei "Die Freiheit" damit gedroht haben, ihm den Kopf abzuschneiden. Özkan Yildiz von der Ditib-Moschee in Lohberg glaubt, dass der Umgang mit den radikalisierten Männern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei:
    "Ich meine, die Lösung müsste gemeinsam gefunden werden, mit Wohlfahrtsverbänden, und Moscheen, Kirchen, und die Verbände, die Jugendarbeit treiben, müssten gemeinsam eine Lösung suchen und dann gucken, wie wir die wieder in die Gesellschaft einnehmen können."
    Auch Horst Dickhäuser von der Stadt Dinslaken hält von reinen Haftstrafen wenig:
    "Einsperren bringt gar nichts. Einsperren ist ja auch die einfachste und bequemste Art. Es geht darum, dass man gerade in diesen Fällen den jungen Leuten wieder eine Perspektive gibt, damit sie auch erkennen, dass sie auf einem Irrweg waren; die bedauern das ja auch, dass sie diesen Heilsversprechern auf den Leim gegangen sind. Und wenn sie den festen Vorsatz haben, sich wieder hier zu reintegrieren, dann muss man ihnen dabei helfen, denn alles andere würde ja heißen, sie ins Abseits zu drängen, und wir können uns überhaupt gar nicht leisten, dass wir irgendwen, egal, ob es ein normaler Straftäter ist oder ob es jetzt politisch motivierte Täter sind, wir können es uns nicht leisten, die ins Abseits zu stellen. Das würde heißen, wir geben sie auf und überlassen sie wem auch immer, das wäre eine verhängnisvolle Fehlentwicklung."