Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Deutsche Flüchtlingspolitik
Zurück zum alten System

Unbemerkt hat Deutschland die Dublin-Regeln für syrische Flüchtlinge wieder in Kraft gesetzt. Danach kann das Land Asylbewerber wieder in andere EU-Länder zurückschicken, über die sie in die Europäische Union eingereist sind. Zurückgeschickt wurde bislang aber noch niemand. In der Politik sorgte die unbemerkte Wiedereinführung für Kritik.

Von Gudula Geuther | 11.11.2015
    Flüchtlinge laufen eine Straße in Budapest entlang.
    Wer nicht in Deutschland zuerst EU-Boden betreten hat, den will die Bundesregierung wieder wegschicken. Im August hatte sie das Dublin-Verfahren ausgesetzt, nach dem wie hier in Budapest tausende Flüchtlinge nach Deutschland weiterreisen konnten. (picture alliance / dpa / Zoltan Balogh)
    Am Nachmittag kommt im Bundestag die Opposition zu Wort. In einer Aktuellen Stunde wollen Grüne und Linke die neuesten Überlegungen in der Koalition zu Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik kritisieren. Auf der Tagesordnung stehen die Einschränkungen im Familiennachzug für Syrer, wie mindestens die Union sie will. Der Antrag wurde inzwischen von der Wirklichkeit und neuen Verschärfungen überholt.
    Gestern Abend war bekannt geworden, dass Deutschland das Dublin-Verfahren für Syrer wieder anwendet - und zwar bereits seit drei Wochen. Als massiven Verstoß gegen die Grundsätze einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik wertet das die Innenpolitikerin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. In Ländern wie Ungarn, Kroatien oder auch Österreich drohe bei einer Durchsetzung der Dublin-Regeln eine Katastrophe. Und am Abend kritisierte Grünen-Chef Cem Özdemir in der ARD:
    "Es ist doch abenteuerlich, dass die Bundesregierung quasi en passant an dem Tag, wo wir alle über den Tod von Helmut Schmidt trauern, kurz mal da im Windschatten diese Information da verkündet."
    Auch die SPD kritisiert ihren Koalitionspartner und Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Auch sie konzentriert sich dabei allerdings vor allem auf die Kommunikation.
    "Es wäre schön gewesen, wir hätten davon erfahren, dass das jetzt wieder anders herum laufen soll", so der Innenpolitiker Rüdiger Veit. Und Partei-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel wirft Thomas de Maiziere "Null-Kommunikation" vor, spricht von einem neuen Stolperer jeden Tag und warnt, das erhöhe nicht die Handlungsfähigkeit der Regierung.
    Bundesregierung wendet Ausnahmeklausel nicht mehr an
    Die Dublin-Regeln sehen vor, dass Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl oder Flüchtlingsschutz beantragen müssen, das sie zuerst erreichen. Dort ist auch das Verfahren durchzuführen. Ende August hatte der damalige Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Manfred Schmidt angekündigt, dieses Verfahren für Syrer nicht mehr anzuwenden. Seitdem hatte Deutschland von einer Ausnahmeklausel im Vertragssystem Gebrauch gemacht und sich selbst für zuständig erklärt.
    Dass das seit Mitte Oktober nicht mehr der Fall ist, hatte das zuständige Bundesinnenministerium tatsächlich bisher nicht kommuniziert. Es gab lediglich in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage einen Hinweis auf mögliche Planungen ohne Datum und Konkretisierung.
    In der Sache freilich zeigt sich die SPD abwartend. Das mag auch daran liegen, dass die Wirkungen des Dublin-Verfahrens derzeit gleich Null sind. Der CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt am Morgen im Deutschlandfunk über Syrer und ihre Behandlung nach den Dublin-Regeln:
    "Erstens: Wir schieben sie nicht zurück nach Griechenland ab. Und der zweite Punkt: Wir können sie nur dann in ein Land zurückschieben, wenn sie dort registriert worden sind. Und da die meisten Menschen auf dem Weg zu uns nicht registriert worden sind, reden wir über eine relativ kleine Gruppe."
    Weiter keine Abschiebungen nach Griechenland
    Von heißer Luft um nichts spricht deshalb Heiko Maas. Nach Angaben von Teilnehmern sagte der Bundesjustizminister in der gestrigen SPD-Fraktionssitzung, seit dem 21. Oktober* seien von den Dublin-Regeln genau vier Personen betroffen. Ganz anders die Wertung von Johanna Mikl-Leitner. Im ZDF sprach die österreichische Innenministerin der Bundesregierung ihren Respekt aus:
    "Es ist dies eine politische Kehrtwendung, und Deutschland tut damit das, was notwendig ist. Aber die Frage stellt sich, ob diese Nachricht auch jetzt noch in der Welt ankommt und Auswirkungen sind. Aber: Diese Nachricht kann auf alle Fälle Teil der Lösung sein."
    Österreich nimmt Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, nicht zurück. Dass nach Griechenland als dem Land, in dem die meisten zuerst EU-Boden betreten, nicht abgeschoben wird, liegt an den Bedingungen für Flüchtlinge dort. Deutsche und europäische Gerichte hatten Abschiebungen für nicht zumutbar erklärt.
    * In der Audiofassung heißt es "15. Oktober", richtig ist jedoch der 21. Oktober.